Buy the stars

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"Tut mir leid", hebt er reuevoll die Hände. Der Streit mit Carrie war unnötig und er gesteht seine Mitschuld daran ein. Er lässt die Fingerknochen angespannt knacken, also dränge ich ihn nicht. Er hat sowieso vor, mir zu erzählen, warum es ihn vorhin überkam und was mit ihm los ist. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was es sein könnte und erlaube mir keine Spekulationen. Davor habe ich zu viel Angst. Bei Universal wird einem beigebracht immer vom worst case scenario auszugehen und was Stean angeht wäre das - "Katja hat mir auf die Mailbox gesprochen."
"Wie bitte?!"
Wow, ich habe mit vielem gerechnet, aber damit nun ehrlich nicht. Gut, das ist geflunkert. Zugegebenermaßen hat er gerade den Gedanken ausgesprochen, der mich unmittelbar als allererstes ansprang.
Katja ... Oh, fuck it.
Okay, ich habe damit gerechnet, weil ich es bereits ahnen konnte, aber ich habe trotzdem gehofft, es wäre etwas anderes, das er mir mitteilen müsste. Hilfe! Was mache ich denn jetzt? Seit ich Stean kenne, also seit fast sechs Jahren, ist diese Frau eine solide, unüberwindbare Mauer inmitten unserer Freundschaft. Es ist seltsam an meine erste Begegnung mit ihr zurückzudenken.

Ich kam mit Carrie, Aleks und Luk zu Bastians Party, knapp einen Monat nachdem der Kokainklan mit mir Bekanntschaft gemacht hatte. Unterwegs sammelten wir Zoe ein, Aleks Philosophie-Kommilitonin. Mit im Schlepptau hatte die ihre Mitbewohnerin und beste Freundin - Katja. Sie waren gemeinsam von Braunschweig nach Berlin gezogen.
Stean hatte Katja noch in seiner Heimat kennengelernt, bei einer Club-Eröffnung. Sie steckte ihm ihre Nummer zu, aber sie schoben keine Nummer an dem Abend; sie haben sich bloß unterhalten und die sexuell aufgeladene Stimmung genossen. Er vergaß den Zettel in seiner Hosentasche, stopfte seine Klamotten in die Waschmaschine und der einzige heiße Draht zu Katja war nach dem Schleudergang natürlich futsch. Von seinem Pech in dieser Angelegenheit berichtete er mir am Ende unseres zweiten Aufeinandertreffens im Studio der Jungs. Sein Missgeschick lag da schon einige Monate zurück.
Dass ich an jenem schicksalhaften Abend neben exakt dieser Frau in der U-Bahn Platz nahm, als wir wenige Wochen später zu Bastian fuhren, wusste ich nicht. Das erfuhr ich erst, als die beiden längst ein Paar waren.

"Sie hat ihre Nummer unterdrückt und meinte, sie hätte vielleicht lange mit mir geredet, wenn ich rangegangen wäre."
Das ist mit ziemlicher Sicherheit wahr.
"Wusstest du, dass sie inzwischen zwei Kinder und einen Mann hat?", guckt er mich völlig entfremdet an, während ich nichts weiter als nur den gebrochenen Mann in ihm sehe, der er nicht sein will. Doch ich richte wahrscheinlich voreilig über ihn. Noch ist er nur verwirrt, nicht gebrochen.
"Nein, woher sollte ich das wissen?" Das klang schärfer als beabsichtigt. Wieso bin ich heute eigentlich so schnippisch? "Sie hätte also mit dir geredet?", verlege ich mich auf einen weicheren Ton und schaue ins Tal hinab; Stean in die Augen zu schauen würde mir das Herz brechen. Es würde mich mit in den Sumpf ziehen, in dem er knietief drinsteckt, aber ich muss echt lernen, mich von seinen Problemen zu distanzieren. Also klammere ich mich an die hinreißende Landschaft um uns herum wie an einen rot-weißen Rettungsring.
Die Hütte die Mama und Thoralf für die Feier ausgesucht haben ist eine Mischung aus rustikal und modern. Gewöhnungsbedürftig, aber wenn man den unverwechselbaren Charme erstmal erkannt hat, ist er nicht zu übersehen. Der Ausblick von der windgeschützten, mit Heizpilzen bestückten Terrasse ist unglaublich ... Für Stean spielt das alles keine Rolle.
"Sie ist nicht glücklich. Sie liebt ihre Kinder, aber nicht ihren Mann."
"Bei dir war sie auch nicht glücklich", spreche ich aus, was er nicht hören möchte, aber hören muss.
"Davon hat sie nichts erwähnt."
"Es war so, Stean", gieße ich Spiritus ins lodernde Feuer. "Eure Lügen waren immer dazu da, euch voneinander zu trennen und jetzt seid ihr am Lügen, um die Nähe zueinander aufzubauen, die ihr verloren habt. Du warst glücklich, aber das war einfach keine Lösung für die Ewigkeit und ihr wusstet es alle beide. Deshalb habt ihr überhaupt die Bereitschaft gefunden, ein Paar zu werden: Weil ihr das wusstet. Ihr seid euch zu ähnlich. Ihr seid Spiegelbilder; ihr wart aus narzisstischen Motiven zusammen, ich bitte dich, du bist doch nicht dumm, Stean. Ihr habt euch verändert. Du hast dich in ihr gesehen und sie sich in dir und ihr konntet einander nicht ausstehen, weil ihr euch selbst nicht lieben konntet. Es ist deine Aufgabe zu entscheiden, welche Frau zu dir passt. Aber wenn ich dir etwas raten darf: Katja ist es nicht. Sie war nicht allein dein Mädchen mit den Sternenaugen, sie war ein Stern. Sie gehörte nie dir, sie gehört niemandem und sie wurde es leid, dass du sie besitzen wolltest. Du wolltest die Kontrolle über dich selbst und dafür hast du sie gebraucht. Dafür hast du sie benutzt. Dein letztes Argument war, dass du der beschissene Star bist und sie deswegen selbstverständlich bei dir bleiben muss. Ihr wurdet Egomanen, habt einander geliebt und euch selbst gehasst."
"Was soll das heißen? Dass sie nicht die Eine ist? Dass ich auch eine Frau, die ich nicht liebe, heiraten und mit ihr Kinder in die Welt setzen soll, wo ich ihr doch so ähnlich bin?", blitzt er mich feindselig an.
"Doch, sie ist die Eine. Es hat bloß nicht funktioniert. Leider gibt es mit der Einen genauso wenig Erfolgsgarantien wie mit den anderen. Vielleicht solltest du einfach eine Frau heiraten, die dich liebt. Und ob du dann mit ihr Kinder in die Welt setzt, überlasse ich dir", bleibe ich ruhig.
"Irgendeine, logisch, kein Ding", lacht er hysterisch auf. "Wie würde es dir gefallen, wenn ich deine Schwester heiraten würde?", reagiert er absolut irrational.
"Die liebt dich nicht, sie redet es sich nur ein. Verdammt, du glaubst sogar, dass sie gar keine Liebe für niemanden empfindet, weder für Henry, noch für Bastian oder Maurice!" Seufzend drehe ich ihm halb den Rücken zu. Meine Wut ist fast abgeklungen, aber zielsicher trifft er genau das Thema, dass sie wieder heraufbeschwören kann. Natürlich schafft er es, dass ich tatsächlich wieder sauer auf ihn bin! Wir streiten so selten. Wenn es mal wieder soweit ist, wie jetzt, kann ich mein Temparament kaum zügeln. Er nutzt es dann immer aus, dass er meine Schwachstellen ganz genau kennt und es macht mich rasend. Mein wunder Punkt ist unfehlbar der Gedanke, den er mir zuvor eingepflanzt hat, nämlich der, dass meine Schwester nicht zur Liebe im klassischen Sinn fähig ist. "Carrie zu heiraten wäre bloß der Beginn einer neuen Ära des Nachtrauerns für dich. Hältst du das für angemessen?" Hoffentlich sieht er in dem Tränenschimmer der sich über meine grüne Iris legt, dass es mir um ihn geht. Darum, dass er Abschied von Katja nimmt, die sich nie von ihm verabschiedet hat. Stean braucht schließlich Liebe. Die Art, die er verdient, die ich ihm aber nicht geben kann.
"Katja liebt mich und ich liebe sie. Warum kann ich nicht sie heiraten?", schmollt er regelrecht. Es muss ihn verrückt machen. Er will sich nicht verloben, das ist totaler Quatsch, was er da sagt. Alles was er tut ist sich an seinen seinen Verflossenen festzukrallen. Eigentlich ist es erbärmlich.
"Weil du dich dann gleich selbst heiraten könntest", fasse ich knapp zusammen, was Sache ist. "Außerdem denke ich sie würde nein sagen." Ich atme tief durch, denn ich hasse es, diese Karte spielen zu müssen, damit er es endlich begreift.
Mir schießen die Bilder automatisch durch den Kopf. Die Filmkassette spielt mein Gedächtnis immer noch manchmal ab, wenn ich abends im Bett liege und über meinen besten Freund nachdenke. Der Diamant schimmert im Licht, das aus dem Badezimmer in den Flur fällt. Stean lässt den Wasserhahn laufen, um sein Schluchzen zu übertönen. Manchmal ist das Ende einer Beziehung wirklich, wirklich grausam. Die Hingabe meines besten Freundes wurde nie belohnt. Lange hatte er mit sich selbst gerungen und dann die schrecklichste Form der Zurückweisung erfahren.
"Wie sie damals nein gesagt hat", hauche ich vorsichtig. Man müsste meinen vom Heiraten hätte er seitdem die Schnauze voll, aber hier steht er, mir direkt gegenüber, und schlägt vor wahlweise meine Schwester oder seine Ex-Freundin zu ehelichen.
Steans Augen werden riesig. "Davon habe ich dir nie erzählt. Ich habe dir nie von dem Antrag erzählt. Fuck, woher weißt du davon?", verzieht er das Gesicht.
"Ich habe den Ring bei dir gefunden, in deiner Jackentasche." Fast ist es, als würde die Luft zum Atmen dünner. Entweder liegt es an der Höhe des Berges, auf dem die Hütte trohnt oder mir schnürt mein Geständnis die Lungen zu. "Mir war instinktiv klar, was passiert sein musste, als du nachts bei mir aufgetaucht bist und ich konnte verstehen, wieso du nicht reden wolltest. Niemand kennt dich, wie ich dich kenne", umarme ich ihn.
Mama war nach dem Elternabend mit Mikas Mutter Essen gegangen. Stean schlich sich rein und morgens raus, bevor sie aufwachte. Sie wäre explodiert, hätte sie etwas davon mitbekommen.
"Du hast mir verschwiegen, dass du Bescheid wusstest? Jahrelang?", wispert er fassungslos. Seine Arme baumeln beinah leblos links und rechts von mir. Er hat meine Umarmung nicht erwidert.
"Ich hätte die Wunde aufgerissen, die ich mühevoll genäht hatte", senke ich die Augenlider. "Du musst diesem Post-Katja-Zeitalter entkommen", flehe ich ihn an.
"Fuck, Iara. Fuck!" Er wirft sein Glas auf den Boden, dass auf dem Beton zerschellt.
"Beruhige dich", bewahre ich die Contenance.
"Stean, geht's dir gut, Alter?", schlendert Tua, die Hände in den Hosentaschen, zu uns. Wachsam; passiv und gleichzeitig bedrohlich: mein persönlicher Bodyguard. Mika und Tim folgen ihm. Super, wenn Tua gleich ein Fass aufmacht, war's das endgültig mit dem entspannten Fest, das mich vom Stress bei Universal hätte ablenken sollen.
Stattdessen ist Stean enttäuscht und wütend auf mich. "Verräterin", spuckt mein bester Freund mir vor die Füße und umrundet das Haus.
"Niemand läuft ihm nach", halte ich Mika harsch an der Schulter zurück, der nach vorn zuckt. "Er wird weinen, aber er wird nicht wollen, dass es irgendwer sieht", sage ich ernst zu ihm.
Mika nickt zögerlich. Er weiß, dass es bescheuert wäre sich in eine Diskussion einzumischen, von der er keine Ahnung hat.
"Wird er jetzt über sie hinwegkommen?", höre ich Carries weinerliche Stimme plötzlich dicht bei uns. Sie sieht mitleiderregend aus. Ihr Kleid ist verrutscht, ihr Make Up verschmiert.
"Schwesterherz, gehen wir uns gemeinsam die Nase pudern?", tapse ich zu ihr und berühre sie leicht am Arm.
So läute ich die zweite Therapie-Sitzung heute ein. Die hoffentlich letzte.

ÜbergangslösungWhere stories live. Discover now