Zerstritten, vertragen, versöhnt

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"Als Mama mir mitteilen wollte, dass sie ein zweites Mal heiraten würde, platzte sie bei meinem Mitbewohner Bastian und mir einfach rein, während ich gerade in eine wilde Knutscherei verwickelt war, mit Tua, den ich Mama als einen Freund vorstellte und im Anschluss daran höflich rausjagen musste, weil ich nicht wollte, dass sie sich Theorien über uns ausmalt. Da hörte ich von Thoralf. Wohlgemerkt hatte meine Mutter ihren Ehemann vorher lange Zeit getroffen, ohne ein Wort über ihn zu verlieren. Bei dem Essen, an dem Tag, als wir Schwestern Thoralf das erste Mal trafen, wollte Carrie ihn ärgern. Du bist manchmal so gemein." Sie grinst. "Aber Thoralf hat sich nicht ärgern lassen", fahre ich fort. "Es war ihm ein Leichtes, sich in unser, nun ja, spezielles Umfeld zu integrieren ... Ich wünsche mir das, was Mama und Thoralf haben, eines Tages", beende ich meinen Bericht mit einer wichtigen persönlichen Erkenntnis. Irgendwann will ich heiraten. Irgendwann will ich nicht mehr nur durch eine einfache Beziehung an jemanden gebunden sein, sondern durch etwas Intensiveres. Überwältigt von der Offenbarung, die ich gerade hatte, reiche ich das Mikrofon an meine Schwester weiter.
Carries Worte fallen ähnlich aus wie meine eigenen. Wir sagen nicht allzu viel. Um Mitternacht werden wir eine gemeinsame Rede zu Ehren des Paars halten, zeitgleich mit der spektakulären Einfuhr der pompösen Hochzeitstorte. Überhaupt ist alles viel glamouröser als ich erwartet habe. Die Tischdeko allein ist aufwändig und mit handgeschriebenen Platzkärtchen herzlich an die Gäste adressiert. Mamas Geschmack hat sich verändert.
Emily und Stean flüstern miteinander, Pari und Tim mustern sich abwechselnd, während Carrie spricht, verpassen aber den Blick des anderen stets um Haaresbreite, Kitty bringt Mika wortlos das Serviettenfalten bei und lacht sich scheckig bei seinen ungelenken Versuchen. Tua küsst mich auf die Schläfe und lässt sein Feuerzeug aufflammen, um mir zu sagen, dass er gleich draußen eine rauchen gehen will. "Vovo, Papa, du und ich wollten eh raus", erinnere ich ihn.

Es kommt mir vor, als hätte ich den Satz gerade erst ausgesprochen, obwohl ich schon zwei Stückchen Kuchen und eine Tasse Tee hatte, da legt mein Vater mir auch schon eine Hand auf die Schulter. Meine Oma widmet sich begeistert Tua. Es hat offenbar Klick gemacht bei ihnen.
"Bevor ich etwas anderes sage, entschuldige ich mich, in Ordnung?", fragt mein Papai. "Entschuldigung. Ich habe mich benommen wie ein Teenager und dabei warst du der Teenager damals. Du hast sehr erwachsen reagiert und ich bin so stolz auf dich, weil ich eine mutige, kluge junge Frau zur Tochter habe. Ich war an einem dunklen Punkt in meinem Leben und es war dumm von mir, dich mit in die Sache reinzuziehen und darauf zu setzen, dass sich meine Probleme dadurch schlichtweg in Luft auflösen würden. Weißt du, ich habe in der Pharma-Branche jahrelang Gott gespielt und im selben Zug alles verspielt, was mein Leben bis dato ausgemacht hat: Meine Kinder, meine Frau, meine Ideale ... Das war nie geplant. Es ist passiert. Wenn ich es im Nachhinein ändern könnte, ich würde nicht zögern."
Perplex starre ich ihn an. "Das ist furchtbar", sage ich piepsig.
"Ja ..." Seine Traurigkeit lastet augenblicklich auf mir.
"Iara, wenn du noch nicht bereit bist mir zu vergeben, dann ist das vollkommen legitim. Ich wäre nur gerne wieder dein Papai. Mit allen Verpflichtungen."
"Du hast nie aufgehört mein Papai zu sein", umarme ich ihn fest. Er drückt mich und ich könnte neun sein in diesem Moment, wenn ich es nicht besser wüsste. "Kannst du mir einen Gefallen tun?", frage ich ihn leise.
"Alles." Er sieht ehrlich aus. Vielleicht war ich die Böse, nie er.
"Entschuldige dich bei Stean", verlange ich, werde aber unterbrochen.
"Iara", lacht Tua plötzlich ganz nah an meinem Ohr. "Deine Oma ist der witzigste Mensch der Welt, was ist bitte los mit ihr?" Er wischt sich ein Tränchen aus dem Augenwinkel.
"Freut mich, dass ihr euch versteht", lache ich angesteckt und wahrscheinlich ein bisschen zu laut, weil ich nicht fassen kann, dass mein Vater mir gerade diesen Vortrag gehalten hat, der wie einstudiert, aber ernst gemeint klang.
"Du hast gute, große Mann Freund", lobt Vovo mich. "Er ist hubsch. Hubsch, sagt man?"
"Hübsch", korrigiere ich.
"Hubsch. Ó, está errado ... Uma palavra mais difícil", beschwert sie sich.
"Hallo", reicht Tua meinem Vater die Hand.
"Stimmt, wir hatten uns noch gar nicht begrüßt. Ich bin Zé", stellt er sich vor.
"Johannes."
"Bevor du dich wunderst", schreite ich rasch ein. "Tua ist mein Freund und wird von mir und den Leuten in unserem Alter Tua genannt, also bei seinem Spitznamen. Aber Mama und Thoralf kennen ihn als Johannes", erkläre ich.
"Wie habt ihr euch kennengelernt?"
Ich bin überrascht von meinem Vater, der die Karriere doch sonst als so wichig erachtet, nicht zuerst die Frage nach Tuas Job zu hören. Vielleicht ist an den Gerüchten über seine erneute Veränderung wirklich was dran.
"Bei Universal", antwortet Tua für mich.
"Deine Mutter hatte erzählt, dass du dort inzwischen deine Ausbildung machst", nickt Papai.
"Ja." Mehr bringe ich zu dem Thema nicht raus. Nicht ihm gegenüber, nicht wo unsere Versöhnung erst so frisch ist.
"War das eine spontane Sache oder hat es länger gedauert, bis ihr zueinander gefunden habt?", fragt er uns weiter aus.
"Beides", grinst Tua mich von der Seite an.
"Ja, wir ..." Wie soll ich das bloß in Worte fassen, die ich meinem Vater auftischen kann. "Wir haben uns vorher öfters getroffen und haben uns erst relativ spät dazu entschieden, eine Beziehung draus zu machen."
"Getroffen also", wackelt er mit den Augenbrauen.
"Papai, o qué éstas falando?", werde ich rot.
"Do amor", zwinkert er mir zu. "Du sprichst gutes Portugiesisch, kein bisschen eingerostet."
"Ach, oft mit Carrie, ansonsten nur sehr selten", rücke ich mein Licht unter den Scheffel, obwohl ich nicht sagen kann, warum mir das Lob unangenehm ist.
"Weißt du, dass du dich auf die brasilianische Wassergöttin eingelassen hast?", wendet er sich an Tua.
"Ich wusste von Anfang an, dass ich mich auf eine brasilianische Göttin einließ. Den Teil mit dem Wasser habe ich erst vor Kurzem erfahren."
"Spinner", lache ich. Es ist mir ein Rätsel, wie Tua, der unverbesserliche Misanthrop einen dermaßen guten Draht zu Menschen aufbauen kann und dann fällt mir ein, das mein Vater wie Tua ein ziemliches Arschloch sein kann und Arschlöcher dazu tendieren, sich gut miteinander zu verstehen.
Vovo fragt, ob wir uns vertragen haben und ich antworte ihr, dass ich es zumindest glauben will.

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