Ein rauer Umgangston

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Um acht Uhr müssten wir uns eigentlich auf den Weg zu Pari begeben, um noch irgendwie pünktlich bei ihr und Ivo anzukommen. Leider habe ich die Rechnung ohne Tua gemacht.
"Kannst du dich bitte beeilen?", klopfe ich gegen die Badezimmertür.
"Jetzt nerv nicht, Iara. Das dauert so lange wie's eben dauert", weist er mich ab.
"Lass mich wenigstens rein", stöhne ich. "Mir ist langweilig."
"Du wirst dich ja wohl mal fünf Minuten mit dir selbst beschäftigen können."
"Ja, fünf Minuten sind kein Problem, aber du bist seit einer halben Stunde da drin und ich wollte mich eigentlich noch schminken, bevor wir aufbrechen", verdrehe ich die Augen.
"Ha, ich sollte öfter das Bad blockieren, wenn du dann aufhörst, dein Gesicht zu verunstalten."
"Hallo? Verunstalten?", leugne ich meine Empörung in keinster Weise.
Der Schlüssel dreht sich im Schloss und eine Hand reicht mir meine Mascara raus.
"Wow, wie großzügig von dir", murre ich ironisch und tapse zum Spiegel um mir die Wimpern zu tuschen. "Hast du's dann bald mal?", rufe ich nebenbei.
Die Tür knarrt beim Aufgehen leise und als ich mich umdrehe, bin ich für einen kurzen Moment sprachlos.
"Gut Ding will Weile haben", zupft er den Ärmel seines Pullovers zurecht, der wie angegossen sitzt und sieht schließlich zu mir. Sein Bart ist auf Vordermann gebracht, er sieht gesund aus und die starke Wintersonne der letzten Tage hat ihm eine sanfte Bräune gewährt. Die dunkle Hose scheint, als wäre sie für ihn geschneidert worden, und ich werde automatisch ganz schön neidisch, weil seine Klamotten wie Maßanfertigungen wirken, während ich in jeder Botique bloß Teile erwerbe, die, zwar an unauffälligen Stellen, aber dafür eindeutig, nicht passen.
"Bist du fertig?", fragt er und die Sekunden ultamativer Bewunderung verstreichen von ihm unbemerkt.
Statt zu antworten, werfe ich ihm seine Lieblingssneakers zu und ziehe meine eigenen an. Tua hilft mir in die Jacke und wir laufen die Treppen runter.

"Ach, mein Lieblingsnachbar und seine bezaubernde Freundin", lächelt uns Frau Felder entgegen. Entweder liegt es am Kompliment der alten Dame oder daran, dass jemand das Fenster im Hausflur geöffnet hat, jedenfalls erröte ich zart. Auf meiner etwas dunkleren Haut zeigt sich das fast nie, doch die Wintermonate lassen mich etwas ausbleichen und deshalb ist es ausnahmsweise klar ersichtlich. Mein Freund registriert es grinsend und küsst mich auf den Haaransatz.
"Sie beide habe ich lange nicht mehr zusammen gesehen", zwinkert die Seniorin, der er sonst die Einkäufe hochträgt.
"Wir hatten eine heftige Auseinandersetzung", sagt Tua die Wahrheit. "Jetzt ist alles wieder in Ordnung."
Beim zustimmenden Nicken kribbelt es besonders warm in meinem Bauch. Gott sei Dank, ist die Sache endlich ausgestanden.
"Außerdem sind wir spät dran", füge ich entschuldigend hinzu.
"Natürlich", meint Frau Felder verständnisvoll und lässt uns vorbei. "Johannes, ich bestehe darauf, dass Sie mal wieder einen Tee bei mir trinken!"
"Liebend gern", bestätigt er und schiebt mich langsam, aber bestimmt, die Stufen runter.
"Sie ist eine verdammt niedliche Omi", schmunzele ich. "Trotz ihrer Steinkekse."
Tua lacht und schlingt einen Arm um meine Taille und wir laufen zur S-Bahn und reden völlig ungezwungen miteinander.

Bei Pari angekommen, sitzt sie neben Tim auf dem kleinen Steinmäuerchen vor dem Haus. Sie winken uns freundlich zu.
"Hey", begrüße ich die Zwei. "Tim, das ist Tua; Tua, das ist Tim", mache ich die Männer miteinander bekannt und bin Tua sehr dankbar, dass er sich die größte Mühe gibt, sein Misstrauen zu verbergen. Man könnte es für allgemeine Müdigkeit halten.
Sie wechseln ein paar Worte und Pari zieht mich ein Stück von ihnen weg. Ohne etwas zu sagen, fächelt sie sich mit ihrer Hand Luft zu.
"Sag ich doch", grinse ich triumphierend und bedeute den Kerlen, dass wir losmarschieren.
"Wenn's heute Abend Spaß macht, können wir das wiederholen in der Konstellation", plane ich voraus.
"Wenn", betont Pari. "Er ist nett, aber interessiert ist er anscheinend nicht", zuckt sie ratlos die Schultern.
"Na und? Was nicht ist, kann ja noch werden."
"Forcier es nicht", warnt sie mich ernst.
"Keine Sorge, tu ich nicht", hebe ich unschuldig die Hände. "Wo ist Ivo, wollte der nicht mit?"
"Der ist schon da. Übrigens ist Timmi auch in der Bar."
"Was ist mit Andi?", schlucke ich.
Pari schüttelt den Kopf.
"Immerhin", murmele ich.

Wir brauchen nur wenige Minuten und im gemütlichen Innern, fühle ich mich zum Glück ziemlich wohl. Was vor allem an Stean liegt, auf den ich prompt zustürme und auf dessen Schoß ich mich mit einem Freudenschrei werfe.
"Stean!", kreische ich fröhlich und zugegebenermaßen total überdreht.
"Iara!", kreischt er zurück.
"Ich hab dich so vermisst", nuschele ich in sein T-Shirt, das nach seinem Axe-Deospray riecht. Sein Duft ist vertraut und katapultiert mich in die Vergangenheit, als ich vierzehn war und wir uns gerade anfreundeten.
"Ich dich auch, Misty, ich dich auch", flüstert er und drückt mir einen lieben Kuss auf die Wange.
"Hi Iara", ertönt es hinter mir und ich blicke mich um. Tatsächlich. Timmi hat gesprochen. "Habt ihr noch Platz?", fragt er mit einem schiefen Lächeln, das sich nicht bis in seine Augen hochzieht.
"Zwischen uns passt leider kein Blatt mehr, aber der Platz neben Stean sieht recht frei aus." Ich kann nich vermeiden, dass meine Stimme etwas monoton klingt. Es ist ungewohnt mit Timmi zu reden.
Er sinkt in die Polster und nippt still an seinem Bier.
"Möge der Herr uns beistehen, Stean und Iara sind vereint", meldet sich ein Dritter zu Wort.
"Luk", grinse ich unwillkürlich.
"Na, du", wuschelt er mir durchs Haar und setzt sich zu Timmi.
"Dass ich euch alle auf einem Haufen erleben darf", sinniere ich.
"Albumarbeit", schaltet sich nun der bisher fehlende Bastian ein.
"Verstehe", wende ich mich kühl an ihn.
"Komm mal", fordert er mich auf.
"Nö", verneine ich.
"Bitte, Iara, komm mal", insistiert er grimmig. "Ich will das aus der Welt schaffen."
"Auf geht's", gestikuliere ich.
"Tut mir leid", brummt er.
"Sag's nie wieder."
"Nie wieder", erwidert er.
Also stehe ich auf und umarme ihn kurz.
"Kommst du nach Hause heute?", will er wissen.
"Wenn du das möchtest", entscheide ich.
Bastian stimmt zu.
"Jungs, ich bin gleich zurück", widme ich mich denen, mit denen ich herkam.

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