Ich und ich und ich und ich

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Im Winter sind berliner Parks trostlos. Kein Grün blitzt auf, die Wege sind vom Schneematsch schmutzig und andere Spaziergänger sucht man vergeblich. So kam es mir immer schon vor, wenn ich einsam und allein durchgegangen bin, durch die Parkanlagen meiner Umgebung; nur ich, eins mit mir selbst. Da hatte keiner Platz an meiner Seite, sonst hätte ich nie meine Gedanken ordnen können. Das dachte ich damals, mit dreizehn. Obwohl genau das mein Ziel ist, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen, ist Stean, der neben mir läuft, dabei nicht hinderlich. Bevor ich ihn kannte, dachte ich, die Stille, die die Konzentration fördert, müsste eine Stille der absoluten Isolation sein, abgekapselt von allem. Allerdings dachte ich damals auch, Betty wäre eine gute Freundin von mir und ich dachte, ich wäre unsterblich in Robin aus der Parallelklasse verknallt. Nur ein Jahr später war alles anders für mich und ich hing nicht mehr mit den gleichen Leuten rum, viel öfter mit Bastian, Julie, Luk, Ivo und Aleks, mit Tarik, Sinan, Niko und Maurice und vor allem mit Stean und mit Timm, zu denen ich abwechselnd an den Wochenenden fuhr. Und ich war ganz bestimmt nicht in Robin verschossen, sondern in Timms jüngsten Bruder, an den ich ab und an denke, wenn Tua und ich wieder gestritten haben, weil Harvey simpler gestrickt war und das alles einfacher gemacht hat. Lange ist das nicht her, dass wir zusammen waren. Manche Menschen machen nicht halb so viele Veränderungen in ihrem Leben durch wie ich. Manchmal wünschte ich, ich wäre einer von ihnen.

Beide hängen wir unseren eigenen Problemen nach, jeder stumm und für sich, bloß Arm in Arm, damit unsere Sorgen uns nicht von hier auf jetzt verschlucken.
Stean ist wieder Single. Natürlich weiß ich das nicht sicher und ansprechen will ich es erst recht nicht. Die Vermutung liegt nahe, weil er nicht über Luna geredet hat, wie sonst immer, wenn wir miteinander telefoniert haben und weil ich mittlerweile doch ziemlich sicher bin, dass er nicht der Typ für Beziehungen ist. Null eigentlich. Er war definitiv der Typ für eine Beziehung mit Katja. Seit sie in Amerika lebt, ist Hopfen und Malz verloren; seit sie sich getrennt haben, vermisst er sie und tut das, was er am besten kann: Frauen verführen und jede Menge Sex haben. Dass er seine gegenwärtige Freundin betrogen hat, kann ich mir nicht vorstellen, Stean ist sehr loyal, aber ein Genießer, was das Single-Dasein betrifft. Mein Gefühl verrät mir, dass er bald Schluss machen wird, wenn er es nicht längst getan hat.
Es ist eine Phase, das wird uns nicht umbringen, glaube ich. Uns kann sowieso nichts umbringen. Oder unsere Freundschaft wohl eher. Klar, das zieht runter, wenn er schlecht drauf ist, weil irgendwas in seinem Leben nicht so toll funktioniert hat, wie er sich das ursprünglich vorgestellt hat. Sein Kanal dafür ist die Musik, sind seine Songs.

"Bist du noch mit Luna zusammen?", breche ich dennoch das Schweigen.
Müde schüttelt er den Kopf. "Es war vergiftet. Wir haben die Liebe hinter uns, das muss jetzt fürs restliche Leben reichen und das wird es, aber sie ist mir nicht genug für mein restliches Dasein. Umgekehrt ist es genauso, hoffe ich."
"Hast du explizit mit ihr Schluss gemacht?"
"Nicht konkret, aber sie hat sich danach nicht mehr gemeldet. Sie hat es kapiert."
Nickend stoppe ich und umarme ihn einmal fest.
"Ich wünsch dir mehr Glück als mir, Iara", murmelt er in meinen Anorak und ich drücke noch kräftiger.
"In ein paar Monaten", beginne ich zögerlich, "werde ich bei Bastian ausziehen."
"Willst du mit Tua zusammenziehen?", fragt er erschrocken.
"Nein, du Idiot", lache ich. "Nein, ich ziehe mit Mika und Pari in eine WG."
"Warum?"
"Bastian und ich streiten irgendwie nur noch und mit Pari und Mika hat es besser geklappt in letzter Zeit."
"Iara, ich glaube, Bastian ist sehr einsam, Ausziehen ist das nicht unbedingt das Beste", überlegt Stean und mustert mich nachdenklich.
"Wie kommst du darauf?"
"Er ist leicht reizbar und er arbeitet fürchterlich viel."
"Ich muss da aber trotzdem raus -"
"Um dich geht's gar nicht. Es geht um Bastian und darum, dass es ihm nicht gut geht."
"Kann ich daran etwas ändern?"
"Frag doch nicht nach dir", meckert er. "Frag nach ihm. Er braucht Zuwendung, Aufmerksamkeit, jemanden, der sich kümmert. Das warst immer du für ihn, aber momentan bist du so auf dich fokussiert, du blendest alle aus."
"Dich blende ich nicht aus", widerspreche ich.
"Ja, weil du es nicht kannst. Ebenso wenig, wie ich dich ausblenden kann. Aber Bastian ist ein anderes Kaliber. Er hat das alles initiiert. Er wollte dich in unseren Freundeskreis integrieren, er. Nicht Luk oder ich, geschweige denn Timm. Er wollte dich dabei haben. Ohne ihn, wären wir Fremde. Ein Nichts. Zwei Leute, die sich mal bei einem Meet&Greet begegnet sind."
"Wirfst du mir fehlende Dankbarkeit vor?"
"Nein - Na ja, weißt du, eigentlich doch. Das ist genau, was ich dir vorwerfe. Tu ihm den Gefallen und regle das mit dem Arschloch."

Wie wir hergekommen sind, weiß ich nicht. Wir stehen vor dem Eingang zu Lilles Haus, haben den Park komplett hinter uns gelassen.
"Woher weißt du, dass er hier wohnt, Stean?", frage ich bitterböse. Es macht mich wirklich sauer, dass der kleine Spaziergang nur ein Vorwand war, um mich hierherzulocken.
"Er steht im Telefonbuch", versucht Stean gar nichts zu verleugnen.
"Wieso bringst du mich her? Wieso musstest du das tun?", haue ich ihm auf die Brust.
"Du drückst dich vor unangenehmen Aufgaben, Iara, das wissen wir beide."
"Das stimmt doch überhaupt nicht!"
"Ich rede nicht von deiner Arbeit. Ich rede von Menschen. Du drückst dich selbst vor Timmi, der sich dir gegenüber längst wieder normal verhält. Er ist freundlich zu dir, du solltest das mehr wertschätzen. Du drückst dich davor, Bastian von deinen Umzugsplänen zu erzählen, du hast dich vor Tua gedrückt und stattdessen mit Karate Andi geschlafen, du drückst dich ständig! Hör auf damit. Geh verdammt nochmal zu deinem angeblichen Kumpel nach oben und mach kurzen Prozess. Der Typ hat nichts in deinem Leben verloren, wenn er dich so darstellt, wenn er irgendjemanden so darstellt."
Tränen der Wut steigen mir in die Augen. Wie gemein er ist, dass er alle diese Dinge zu mir sagt und für Wahrheiten verkauft. Wie gemein er ist, wo er doch weiß, dass ich gezwungen bin, ihm zu glauben, wo er mich doch nie anlügen würde. Wie gemein er ist, dass er das ausnützt, um mein Leben wieder gerade zu biegen.

ÜbergangslösungWhere stories live. Discover now