Und wieder zerstritten

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Normalerweise stehen die Raucher vor dem Café. Wir nähern uns jedoch von hinten und ich höre Carries schrille Stimme, bevor ich sie sehe; und ich höre Steans sonoren Tenor, bevor ich Zeugin davon werde, wie sie ihr Weinglas wütend auf den Boden wirft und ihm entgegenschreit: "Du hast es nicht gewollt, versuch nicht mir die Schuld in die Schuhe zu schieben!" Die Scherben glitzern auf den Pflastersteinen.
"Was heulst du mir hinterher, Carrie?! Ich heule selbst jemandem hinterher, es ist ein Teufelskreis, wie oft habe ich dir das gesagt?! Wir können nicht alle jemandem hinterher heulen! Du hängst an mir, wie du an Bastian und Maurice hängst! Du hängst an uns allen, weil du dich nicht festlegen willst, nicht einmal auf deinen Freund, der dich liebt! Und je häufiger du behauptest, du würdest nix mehr mit niemandem von uns zutun haben wollen, umso gelogener ist es, denn du willst immer das, was du nicht haben kannst und du weißt, dass es bei mir ganz genauso ist! Wie soll ich mich ein zweites Mal auf dich einlassen, wenn ich weiß, dass ich es könnte? Nur deswegen haben wir diese Beziehung miteinander angefangen und, mein Gott, mach die Augen auf, es war eine schlechte Idee." Zum Ende hin ist mein bester Freund ruhiger geworden.
"Meinst du, es ist ein guter Moment, um sich bei ihm zu entschuldigen?", raunt mein Vater mir zu, aber sein schlechter Humor kann mir gerade gestohlen bleiben. Ich lasse ihn stehen und laufe stattdessen zu den Streithähnen.
"Will mir vielleicht einer von euch erklären, warum ihr auf Mamas Hochzeit die Probleme einer längst beendeten Beziehung wieder ausgrabt?", funkele ich sie böse an.
Beide schweigen betreten.
"Oh, bitte nicht alle auf einmal", heuchle ich ironisch.
"Du hast Recht, es ist Mamas Hochzeit." Carrie hebt ihre Clutch vom Boden auf, wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und will gehen.
"Tut mir leid", meint Stean zu mir und meine Schwester schnaubt, als hätte sie sich davon angesprochen gefühlt, dann huscht sie davon. Wäre das eine Entschuldigung an sie gewesen, hätte sie sie offenbar nicht angenommen.
"Ihr könnt das doch nicht in aller Öffentlichkeit machen", rüge ich Stean fassungslos.
"Denkst du, das war meine Idee?", grummelt er und ich ohrfeige ihn leicht.
"Das ist meine Schwester, mit der du hier Wortgefechte führst", erinnere ich ihn zischend. "Was war das?", frage ich, wobei ich sogar mit den Zähnen knirsche. Nichts sollte Mama ihre Hochzeit ruinieren, aber ein Streit zwischen Carrie und Stean hätte durchaus Potential dazu.
"Sie hat gefragt, ob ich ihr kurz bei was helfen kann draußen", fährt er sich durch die braunen Haare. "Ich dachte, es ginge um irgendeine Überraschung für deine Mutter und deinen Stiefvater", verteidigt er sich. "Und dann hat sie mich plötzlich gefragt, weshalb wir vor drei Jahren Schluss gemacht haben und was ich glauben würde, weswegen sie mit Henry zusammen wäre."
"Sag nicht, du hast ihr gesagt, dass du glaubst, dass ihre Beziehung mit Henry nur kaschieren soll, dass sie eigentlich dich will." Drohend umschließe ich sein Handgelenk fest mit meinen Fingern. Weiße Ränder zeichnen sich auf seiner Haut ab, an den Stellen, an denen ich zudrücke. Diesmal bin ich wirklich sauer auf ihn.
"Das musste ich nicht, da kam sie von allein drauf", spielt er es herunter.
"Oh, Stean, du minderbemittelter Arsch!", stöhne ich und mir ist mehr denn je bewusst, dass ich mich - mit Ausnahme von Vovo - in der netten Gesellschaft dreier Arschlöcher befinde. Fantastischer Umgang, den ich da pflege.
"Iara, weißt du eigentlich, wie gerne deine Schwester die Reife und Unerschrockene spielt?", entreißt sich Stean ärgerlich meinem Griff. "Sie ist nicht die Feministin, für die du sie hältst, sie ist einfach ein Mädchen mit einem endlos angekratzten Selbstbewusstsein, die sich gar nicht helfen lassen will. Deswegen hat sie diese Fick-Geschichte mit Bastian nicht abgebrochen, deswegen hat sie sich von Maurice vögeln lassen - Um sich zu beweisen, dass jemand wie Maurice das Bedürfnis hat, sie flachzulegen."
Mein Magen zieht sich bei diesen Sätzen zusammen. Kenne ich meine Schwester überhaupt? Früher waren wir mal so eng und inzwischen hat Universal mein Privatleben einfach gefressen. Abgesehen von Tua beschränken sich meine sozialen Interaktionen außerhalb der Arbeit auf ein Minimum. Mika und Pari lassen das häufiger anklingen, aber bisher habe ich dem nie wirklich Bedeutung beigemessen. Wie nah bin ich vielleicht daran, meine Freunde und meine Familie zu verlieren? Mein erster Impuls ist trotzdem zu leugnen, dass meine Schwester ihre Schattenseiten hat, von denen ich angeblich keine Ahnung habe. "Hast du Carrie studiert oder was?", zicke ich deshalb rum und sehe Stean die Augen verdrehen.
"Wir haben untereinander über deine Schwester gesprochen; Maurice, Bastian und ich."
"Wie passt du dann in das Schema? Ihr wart monatelang ein Paar!" Wie kann er es sich erlauben, völlig unverblümt negativ über sie zu sprechen?!
"Ich trauere Katja nach und ihr nächster Erfolg wäre es gewesen, einen Kerl für sich zu begeistern, der eigentlich an einer anderen hängt. Deine Schwester sucht Bestätigung und es interessiert sie nicht die Bohne, dass Henry sie vergöttert und ihr die Welt zu Füßen legt. Sie langweilt sich!", knallt er mir die Wahrheit um die Ohren. "Aber sie glaubt allen Ernstes, sie wäre der Typ für eine feste Beziehung und Bastian, Maurice und ich versuchen ihr klar zu machen, dass sie sich von dieser Vorstellung des lieben Frauchens lösen muss, denn das ist sie nicht."
"Was weißt du schon über feste Beziehungen?", schüttele ich den Kopf, als würde mir dadurch die Erkenntnis, dass er Recht hat, aus dem Hirn fallen.
"Ich hatte eine, genau wie du im Moment eine hast." Sein Blick ist hart und lässt keine Widerrede zu. Wenn es um Katja geht, ist der Spaß für ihn ohnehin gestorben. Ich traue mich meistens nicht, dagegen aufzubegehren. Ganz selten sage ich etwas dazu und gebe mir viel Mühe besonders einfühlsam zu sein. Jetzt bin ich nicht in der Lage, diese Mühe aufzubringen.
"Deine Schwester hatte keine feste Beziehung. Sie liebt Henry nicht wie er sie liebt. Fakt ist, Carrie hat noch nie irgendwen geliebt, nicht einmal sich selbst." Er verschränkt die Arme vor der Brust, als sei das letzte Wort in dieser Sache gesprochen. "Mit Ausnahme von dir vielleicht", fügt er doch noch hinzu und der Kloß in meinem Hals wiegt dadurch zum Glück weniger schwer.
"Was du Liebe nennst, kennt sie nicht. Das versucht sie mit allen Mitteln zu überspielen."
Wieso lasse ich mir von ihm überhaupt etwas über meine Schwester erzählen?! "Du bist doch bescheuert", zeige ich ihm einen Vogel und folge Carrie ins Innere, die bei Mama und Thoralf steht und mit ihnen lacht. Der Streit mit Stean scheint fast nie stattgefunden zu haben, bloß die restlichen Grashalme an ihrer Tasche verraten den ungemütlichen Zusammenstoß.

ÜbergangslösungWhere stories live. Discover now