Play, stop, repeat, breakdown

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Bereits veröffentlicht in Nichts wichtiges unter dem Kapteltitel "continue"

Seit einigen Tagen hänge ich wieder viel mit Mika und Pari ab. Hauptsächlich, weil es Spaß macht, aber auch, um die anderen nicht sehen zu müssen. Diese ständigen Vorwürfe bringen mich um. Ich bin doch in Gedanken eh ständig bei Tua, was soll das dann? Bastian ist noch nicht wieder zu Hause, er wird bei Julie bleiben, hat er mir geschrieben. Über die Zwei will ich mich jetzt nicht beschweren, dazu bleibt kein Platz in meinem Kopf.
Heute können meine Freunde nicht, dabei ist Samstag. Jap, ich arbeite selbst samstags hin und wieder für Universal. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, mir Tim einzuladen, als Niko mich für befreit hat und hatte sogar vorsichtig bei ihm angefragt, aber er muss arbeiten. Geld verdient sich nicht von selbst. Leider. Sonst hätte ich längst gekündigt und versucht, mein Leben ernsthaft so aufzufädeln, das ich eine Kette und kein verknotetes Garnknäuel rausbekomme.
Hier hocke ich also, allein und kiffend, auf meinem Bett, während Stevia aus meiner Stereoanlage schallt. Gras bringt nichts.
Ich stehe auf und plündere Bastians Barschrank. Statt den sanften Klängen der Stimme meines Ex-Freunds, lege ich das Album einer unbekannten Punkband ein, die meine Schwester mir empfohlen hat. Den Joint tausche ich gegen eine normale Zigarette. Die Packung lagert für Notfälle in meinem Nachtschrank. Ungewollt denke ich daran, dass einer dieser Notfälle die Zigarette danach war, die Tua gerne genossen hat, wenn er bei mir war. Die drei nebeneinander hängenden Fotos an meiner Wand zeigen uns auf Jenns Geburtstag. Behutsam nehme ich sie ab und breite sie vor mir aus. Ich war so glücklich an damals ...
Der Nachrichtenton meines Handys schreckt mich auf. Andi hat geschrieben und lädt mich zu einer Party ein.
Ist das eine gute Idee? Nein. Werde ich trotzdem hingehen? Ja. Wieso? Weil mir eine bessere Idee fehlt. Lässt das jeden an meiner Intelligenz zweifeln? Absolut; mich eingeschlossen.
Entschlossen erhebe ich mich und trage roten Lippenstift auf. Schon dabei komme ich mir lächerlich vor.
"Stell dir vor, du würdest mich küssen und hättest dann überall schmieriges Zeug im Gesicht."
"Was bin ich froh, dass du keinen Lippenstift benutzt."
"Du brauchst das nicht, Iara, du bist wunderschön."
"Und du bist ein Schleimer, Tua. Trotzdem danke."
Was ist denn nur passiert zwischen uns, warum kann nicht alles sein wie vorher? Ich wische mir über den Mund, doch ein paar Farbreste bleiben hängen und verunstalten die Zigarette, die ich aufrauche, bevor ich sie im Aschenbecher ausdrücke. Die Navy-Jacke passt perfekt ins Bild von Jogginghose und kurzem Hoodie. Das Tanktop darunter blitzt grau hervor. Tiefste Gleichgültigkeit hat von mir Besitz ergriffen. Meine Haare sehen aus wie ein Vogelnest, aber was kümmert mich das. Ist ja bloß Andi, nicht Tua, mit dem ich feiern gehe ...
Den Club, in dem die Fete steigt, kenne ich gar nicht. Er ist groß, nicht überfüllt. Andi sitzt wie angekündigt in der Lounge geradezu mit ein paar Kerlen, die mir mal in Bastians Villa über den Weg gelaufen sind.
"Setz dich", rutscht er beiseite und drückt mir ein Bier in die Hand.
"Hol mir was stärkeres, Scotch wäre gut", fordere ich ihn auf.
"Hol's dir selbst."
"Dann besorg's dir auch selbst heute Nacht, ciao", richte ich mich auf, aber Andi hält mein Handgelenk fest. "Bleib noch ein bisschen, Weib, du kriegst deinen Scotch."
Er drückt mich aufs Sofa und ich lasse mir Feuer von einem der anderen Typen geben. Sie reden nicht mit mir, was mir ganz recht ist. Eigentlich will ich mich gar nicht zu lange drinnen aufhalten, das Mädchen links von uns mit ihren fünfzehn Jahren sieht aus, als würde sei gleich auf die Tanzfläche kotzen.
Andi kommt zurück und stellt das versprochene volle Glas auf dem runden Tisch ab. Er ignoriert mich weitestgehend und hilft einem Kumpel mehrere Lines zu legen. Schweigend trinke ich meinen Scotch.
"Iara, zieh mit", wendet er sich dann an mich.
"Hab noch nie, wie funktioniert's?", frage ich.
"Sieh hin und lerne." Er nickt seinem Bekannten zu, der das Koks in einer schnellen, geübten Bewegung konsumiert.
Andi hievt mich auf seinen Schoß und leiht mir sein Ziehröhrchen. Ich beuge mich vor und ahme nach, was man mir gezeigt hat. Als ich fertig bin, beobachte ich Andi, der sich selbst versorgt, und mache es mir in seinem Schoß halbwegs bequem. Es dauert nicht lange, bis die Musik gedämpft wird und die Aktivität in meinen Fingerspitzen zu kribbeln beginnt. Ich werde selbstbewusster, lauter, aufgedrehter; tanze, bis ich schweißbedeckt bin, und schlage Andi vor, dass wir zu ihm aufbrechen. Er ist drauf, demnach willigt er widerstandslos ein und wir hangeln uns an Straßenlaternen entlang. Alles okay, dann ein Gefühl, als würde ich fliegen und der Aufprall. Mediumswechsel, nicht länger Luft, jetzt Wasser. Sehr kaltes Wasser. Wie geht schwimmen nochmal? Timmi flüstert mir zu: Don't do drugs.
Plötzlich hat das Sinken ein Ende. Mein Körper erfährt Auftrieb, Druck lastet auf meiner Taille. Langsam werden die Umrisse meiner Umgebung scharf. Ein Husten hinter mir.
"Was machst du da?", sage ich zu Andi.
"Na, was wohl?! Dir das Leben retten!", regt er sich auf. "Wenn du die Balance nicht halten kannst, kannst du genauso wenig schwimmen."
Er packt mich und zieht mich zum Spreeufer, wo wir aus dem Wasser robben und uns schwer atmend auf den Boden legen.
"Danke", meine ich ehrlich.
"Dafür nicht", lehnt er ab.
"Ich sollte gar nicht hier sein." Fröstelnd schlinge ich beide Arme um mich und mache eine mentale Notiz, dass Luft das Element ist, das eher für die Lunge geschaffen ist als Wasser.
"Solltest du wirklich nicht. Los, komm, wir gehen zu mir, es sind Minusgrade und wir sind nass. Ich kann dir trockene Klamotten geben."
Unsicher sehe ich zu ihm rüber. Er sieht stur zurück. Seine Wohnung ist näher als meine und eine halbe Stunde im Winter nass durch Berlin zu fahren, wird sich bestimmt nicht positiv auf meine Gesundheit auswirken ...
Andi reicht mir ein Handtuch und zieht sich um. Ein paar Minuten später trage ich eine frische Boxershorts von ihm und einen schwarzen, schmalen, klassischen Wollpullover und kuschele mich unter die Decke mit einer Tasse Pfefferminztee in den Händen. "Danke", wiederhole ich.
"Glaubst du, ich lass dich verrecken?"
"Nein."
Er fällt zu mir auf dir Matratze und schließt die Augen. "Wenn du nachher gehst, will ich, dass du die Sache mit deinem Freund auf die Reihe bekommst. Solange du ihn liebst, hast du sowieso keinen Spaß und was soll ich damit anfangen?"
"Heißt: Wir sehen uns nicht mehr?"
"Du willst doch gar nichts von mir", legt er die Stirn in Falten. "Also lass es bleiben."
Ich trinke den letzten Schluck aus und überprüfe, ob meine Kleidung inzwischen getrocknet ist. Jacke, Hose - Alles in Ordnung. Nur meine zwei Oberteile sind nach wie vor klamm.
"Behalt den Pullover", erteilt Andi seine Erlaubnis vom Bett aus.
"Wozu?"
"Damit du mich in angemessener Erinnerung behältst. Egal, was dein Freund dazu sagt. Der hasst mich garantiert wie die Pest, aber lass ihn ruhig wissen, dass ich dich aus dem Fluss geholt habe und nicht er."
"Das reib ich ihm nicht unter die Nase, vergiss es", schnaube ich.
"Trag den Pullover einfach, wenn du abhaust und schmeiß ihn dort in den Müll, wenn dir das lieber ist, und jetzt mach dich auf die Socken, ich bin müde."
Und das ist es. Das Ende von Andi und mir. Man wird uns nie wieder zusammen sehen.

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