Er ist nunmal

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* Neu *

Nachdem sich Andis und meine Wege getrennt haben, rufe ich Tim an. Es ist die gleiche Masche, die ich sonst immer mit Luk abziehe, wenn ich nachts allein unterwegs bin, aber er schläft wahrscheinlich und ich will ihn nicht wecken. Er hat ein Kind, Tim hingegen hat keine plausible Ausrede, die ihn vor meinem Telefonterror bewahren würde. Arbeit lasse ich nämlich nicht gelten.
"Iara? Es ist mitten in der Nacht", meint er erstaunlich munter.
"Dafür klingst du verdammt wach", kontere ich.
"Was ist denn los?"
"Ich bin freiwillig von Andi abgehauen. Er hat mich mehr oder minder weggeschickt, also mir geraten, zu gehen und mich mit Tua zu vertragen."
"Du meinst, er hat dir den Rat gegeben, den ich dir schon davorgegeben hatte", grummelt Tim.
"Hätte ich mit dir geschlafen und nicht mit ihm, dann hätte ich vielleicht sogar auf dich gehört", spotte ich selbstironisch.
"Selber schuld, ich hätte mich nicht dagegen gewährt."
"Wo bist du?"
"Zu Hause."
"Kann ich vorbeikommen?"
"Wenn du unbedingt möchtest."
Ich möchte unbedingt.

Also sitze ich einige Minuten später auf Tims Couch und lasse mir einen Schluck Rum in meinen Tee schenken.
"Bestimmt bin ich zu stolz", überlege ich laut.
"Um zu Tua zurückzugehen?"
"Ja. Er hat mich immerhin angelogen, ich will ihm nicht einfach so verzeihen, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen für ihn hat", schmolle ich.
"Du hast mit einem anderen geschlafen, das halte ich für eine ziemlich drastische Konsequenz. Man könnte es auch eine Strafe nennen."
Es sind die seltsamsten Wege, die das Verlangen, die Lust, manchmal einschlägt. Gelenkt von Alkohol und anderen Drogen. Er wird sich nicht wehren. Mein Körper übernimmt die Kontrolle und ich küsse ihn. Zwar ist er überrascht, doch einige Sekunden später geht er darauf ein. Sein T-Shirt schwindet, mein/Andis Pullover folgt. Und dann fange ich auf einmal bitterlich an zu weinen. Nur in meinem BH sitze ich da auf seinem Schoß und versuche mühevoll mich zu beruhigen, obwohl es nicht klappen will.
Tim lächelt wissend, reicht mir meinen Pullover, den ich wieder anziehe, wirft sich selbst sein Oberteil von gerade über und zieht mich an sich, wobei er mich einmal auf den Haaransatz küsst, wie Stean das manchmal macht, wenn ich weine.
"Tut mir leid", schluchze ich an seiner Brust.
"Schon okay", streicht er mir über den Rücken. "Hab keine Angst vor dem Alleinsein", murmelt er. "Du bist erwachsen, du kannst das regeln, wie du es für richtig hältst, aber das hier hältst du nicht für richtig und deshalb musst du damit aufhören. Du tust ihm weh."
"Er hat mir auch wehgetan!", schniefe ich empört.
"Denk mal drüber nach, was dir mehr wehtut: Eine Notlüge, nach der dein Partner sich hintergangen fühlt, oder die Ausrede deines Ex-Freunds, dass er bloß mit anderen schlafen würde, weil er dir diese Notlüge nicht einfach so vergeben kann."
Heulend vergrabe ich mich an seiner Schulter. "Tim, ich bin ein schlechter Mensch."
"Sind wir das nicht alle?"
"Nein, du bist ein guter Mensch", widerspreche ich.
"Wichtig ist doch, wann wir gute oder schlechte Menschen sind."
"Es ist immer der falsche Zeitpunkt, wenn ich ein schlechter Mensch bin", klage ich.
"Das hier ist der richtige Zeitpunkt, um ein schlechter Mensch zu sein. Sei ein guter Mensch, wenn du rausgehst. Dort nützt es etwas, wenn du mal kein schlechter Mensch bist. Rede mit Tua."
"Er will ja nicht!"
"Natürlich will er, er war bloß verletzt, aber er sollte seine Wunden mittlerweile geleckt haben. Geh, Iara. Geh und sprich mit ihm."
"Du hast gut reden", brumme ich und komme nicht umhin mir auszumalen, wie viel simpler alles wäre, wenn ich bleiben würde, um Tim zu knuddeln und mich nicht mit Tua oder Andi oder diesem Abend oder irgendeiner anderen Scheiße auseinanderzusetzen. Tim riecht auch gut. Nicht Tua-gut, aber gut. Mit dem Geruch könnte ich auch weiterleben.
Im nächsten Moment schiebt er mich von sich weg. "Ich wäre zum unpassendsten Zeitpunkt ein sehr schlechter Mensch, wenn ich dich nicht gehen lassen würde."
"Warum?" Mit großen Augen schaue ich ihn fragend an.
"Weil ich keine Onenightstands kenne."
"Wäre eine Beziehung mit mir so schlimm?", meine ich empört.
"Iara, sieh es doch ein: Du liebst einen anderen. Welche Chancen sollte ich je bei dir haben? Ich will mir das nicht antun."
"Wenn er nicht wäre, hättest du welche", versichere ich ihm.
"Aber er ist nunmal. Mach mir keine Hoffnungen, wo ich keine haben muss."
"Schon gut, tut mir leid. Ich wollte bloß, dass du das weißt."
Tim warf einen Blick auf sein Handy. "In ein paar Stunden muss ich arbeiten", bat er mich indirekt zu gehen.
"Ich bin weg", nickte ich, stand auf, so wie er auch, und umarmte ihn noch einmal kräftig. "Danke", murmelte ich. "Das war ein gutes Gespräch."
"Findest du?"
"Ja, total."
"Meldest du dich bei Tua?"
"Wahrscheinlich. Vielleicht schon morgen. Ich bin mit meinem besten Freund verabredet, also einem von beiden. Der gibt seinen Senf dazu und dann schauen wir, was wir mit mir anstellen." In Gedanken bin ich schon längst bei Tarik. Wenn nix dazwischen kommt, könnte ich dem morgen endlich ein Ende setzen. Wenn - Leise seufze ich und lächele Tim an. "Wirklich: Danke", wiederhole ich.
"Nichts zu danken", erwidert er und begleitet mich zur Tür.

Zu Hause angekommen trete ich einem ziemlich übermüdeten Bastian unter die Augen.
"Hey", begrüße ich ihn überrascht.
"Wo warst du?", fragt er.
"Bei einem Freund", antworte ich.
"Warst du bei Karate Andi?"
"Unter anderem", bestätige ich und er verpasst sich einen Facepalm.
"Verdammt, Iara, muss ich dich jetzt auf Schritt und Tritt verfolgen, damit du die Finger von dem Kerl lässt?", regt er sich auf.
"Entschuldige bitte, dass dich meine Trennung so mitnimmt", grummele ich sarkastisch.
"Nein, darum geht es nicht. Ich kann eine Freundin gebrauchen, aber eine Schlampe wird nicht in meinem Haus wohnen."
Stumm sehe ich ihn an. Hat er das gerade tatsächlich gesagt?
"Du weißt, dass das einfach nur ein gesellschaftliches Problem ist."
"Gott, du klingst wie deine Schwester."
"Und du klingst wie der Typ, den sie abserviert hat. Gute Nacht, Bastian."

ÜbergangslösungWhere stories live. Discover now