Fehlercode Ausbeutung

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Sie sitzen an der Bar und haben sich Getränke bestellt. Tua nippt an einer Cola, Tim beginnt den Abend mit Gin Tonic und Ivo, der gerade Bardienst hat, mixt für Pari einen Cocktail, wahrscheinlich einen Zombie, den sie liebt und der sie erstaunlicherweise trotz ihrer geringen Körpergröße und seines verdammt hohen Alkoholgehalts nicht umhaut. Sie hat sich die Eigenschaft, trinkfest zu sein, über die Jahre antrainiert. Da sie selbst neben ihrem Studium in einer Bar jobbt, weiß sie einiges über Spirituosen und Bastian hat ihr mehrfach angeboten, hier zu arbeiten. Einmal habe ich sie gefragt, warum sie sich weigert, obwohl sie besser bezahlt würde, als dort, wo sie momentan angestellt ist. Ihre Antwort war, dass sie das Klientel in ihrer Bar dem in der Kokainklan-Bar vorzieht, was ich gut verstehen kann, wenn ich mir die Leute anschaue, die hier ein- und ausgehen. Auch heute sitzt eine Menge Gesindel in den Ecken und lässt sich volllaufen. Die Fans der Band, mit der ich jetzt seit über fünf Jahren befreundet bin, variieren ziemlich krass. Durch die Bank weg findet man intelligente und strohdumme Exemplare, Akademiker, die promovieren, und Schulabbrecher, die bei McDonald's arbeiten. Meistens sind sie nett, dann stößt man auf diejenigen, die sich selbst und den Kokainklan mit seinen provokanten Texten zu ernst nehmen und denen geht man besser aus dem Weg, denn mit ihnen ist wirklich nicht gut Kirschen essen.

Meine Aufmerksamkeit gilt ganz Tua, als ich mich bei ihm erkundige: "Meinst du, wir können später zu Bastian und mir? Der will mich daheim haben und wir haben uns vor ein paar Tagen gestritten und mit der Versöhnung eben möchte ich symbolisch nach Hause heute." Abwartend lege ich den Kopf leicht schief und kraule ihn im Nacken.
"Wenn du willst. Du hast übrigens einen sehr poetischen Ansatz, wenn du symbolisch nach Hause kommen willst. Zu viel Zeit mit Maecki verbracht?", nimmt er einen Schluck aus seinem Glas.
"Eher mit Ben", lächele ich.
"Casper?"
"Ja, wir haben gemailt. Fast als würden wir uns Briefe schreiben."
"Wenn's dir geholfen hat", zuckt er die Schultern und hievt mich auf seinen Schoß.
"Na", sage ich zu Tim und stupse ihn an.
"Na", erwidert er.
"Hast du Spaß?", vergewissere ich mich skeptisch.
"Noch schwanke ich zwischen Verwirrung und Belustigung, aber das hängt vom Pegel ab." Er hält seinen Gin Tonic zur Verdeutlichung hoch und prostet mir zu. "Wer war der Kerl, den du angesprungen hast?"
"Das ist Stean", nicke zu Erwähntem rüber, der mir sein bestes bescheuertes derpy face schenkt, woraufhin ich hinter vorgehaltener Hand tatsächlich ein wenig Kichern muss. "Mein allerbester Freund auf der ganzen, weiten Welt", ergänze ich an Tim gewandt.
"Jedenfalls benimmst du dich niedlich in seiner Gegenwart", blickt Tim ebenfalls zu Stean, der seine Augen längst wieder auf den Fernsehbildschirm gerichtet hat, wo er Smash Brothers mit einem der Barbesucher zockt. Scheinbar spürt er nur meine Blicke.
"In Steans Gegenwart wirst du zu Zucker", bestätigt Tua, um sich am Gespräch zu beteiligen.
"Ich bin immer Zucker", zicke ich empört.
"Nee", prustet Tua. "Vieles bist du immer, bloß Zucker nicht."
Verärgert schlage ich auf seinen Unterarm.
"Meinen Glückwunsch und mein Beileid zu deiner Freundin", lacht Tim.
"Beileid?!", haue ich auch ihn auf den Unterarm.
"Iara", schiebt Pari mir meinen Standarddrink rüber, Wodka O, und schmunzelt.
Tua und Tim tauschen einen High Five aus, bevor Pari Tim etwas fragt, das ich akustisch nicht verstehe, und er sich wegdreht. Eingeschnappt schmolle ich Tua stumm an. Er küsst mich lächelnd.

Kurz danach kehre ich in den Kreis der Jungs beim Fernseher zurück.
"Wie geht's Aleks und meiner Lieblingscoco?", hake ich mich bei Luk unter und beobachte Stean dabei, wie er seinen virtuellen Gegner kräftig vermöbelt.
"Denen geht's prächtig. Am besten kommst du einfach vorbei und überzeugst dich selbst. Coco freut sich, wenn jemand anders zum Spielen da ist und Aleks freut sich, wenn sie sich auf dem Sprachlevel Erwachsener unterhalten kann", erzählt er.
"Zum Reden solltest du für sie da sein", schaue ich minimal vorwurfsvoll zu ihm hoch.
"Bin ich", gebärdet er sich unschuldig.
Misstrauisch hebe ich eine Augenbraue.
"Ehrlich", beschwört er mich.
"Schön", lasse ich die Maske der Skepsis fallen.
"Wie läuft's bei dir? Stean hat angedeutet, du fühltest dich nicht besonders."
"Schnee von gestern", winke ich ab und das ist nicht mal gelogen.
"Und bei Universal?"
"Uh", verziehe ich die Miene. "Das ist 'ne andere Sache."
"Die behandeln dich nicht ordentlich, stimmt das?"
"Ausbeutung ist meines Erachtens nach nicht ordentlich. Ich arbeite lange und viel und alles, was ich bekomme ist mein Auszubildendengehalt und nervige Aufgaben. Weißt du", seufze ich, "irgendwer muss den Papierkram erledigen, aber als Ausgleich dafür würde ich gerne öfters zu Interviews oder Videodrehs mitkommen."
Luk zeigt sich verständnisvoll. "Hast du darum gebeten, öfter die angenehmeren Dinge erledigen zu dürfen?"
"Meine Ausbilderin reagiert mittlerweile sehr allergisch auf mich und generell auf jegliche Bitte. Betty hat sie um den Finger gewickelt." Frustriert exe ich meinen Wodka mit Orangensaft.
"Betty?", wirft Luk überrascht ein. "Die, die dich in der Schule schon hintergangen hat?"
"Jep."
"Das is' ja böse", murmelt er und trinkt seine Bierflasche aus. "Echt 'ne intrigante Fotze", schiebt er hinterher.
"Jep", wiederhole ich.
"Bist du nicht demnächst mit deiner Ausbildung fertig?"
"Träum weiter, anderthalb Jahre muss ich noch ackern", schnaube ich.
"Und wenn du abbrichst?"
Erstaunt starre ich ihn an.
"Hey", lacht er. "Ist kein Weltuntergang, irgendwas abzubrechen."
"Ist es echt nicht", mischt Timmi sich ein, der wohl die ganze Zeit lang die Ohren gespitzt hatte. "Schule abbrechen war überhaupt das beste, was ich früher machen konnte. Wenn's nicht passt, passt es nicht."
"Er hat Recht", pflichtet Luk ihm bei. "Mag sein, dass es vergnüglicher war, als du dein Praktikum gemacht hast", fährt er fort. "Mag sein, dass die Arbeit für Universal dir nur Freude bereitet, sofern sie dir kaum etwas bezahlen müssen und du mit Leuten auf Tour gehen kannst."
"Auf Tour gehen ist scheiße anstrengend, das müsstest du doch wissen", halte ich dagegen.
"Erzähl mir nicht, dass dir das weniger Spaß gemacht hat, als das Sortieren und Auswerten irgendwelcher Akten." Luk schaut mich warnend an und ich muss zugeben, dass er einen durchaus klugen Standpunkt vertritt.
"Denk darüber nach, auszusteigen. Dir geht's nämlich nicht prickelnd mit dem Job und man merkt es", rät er mir.
"Ich denk drüber nach."

ÜbergangslösungWhere stories live. Discover now