I lacked the things you love the most

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Wenn ich an Tarik denke, laufen unendlich viele unterschiedliche Szenen vor meinem inneren Auge ab. Unschöne Streits, die wir ausgefochten haben, wunderschöne Momente der Zufriedenheit und Harmonie, die wir miteinander geteilt haben. Eine Menge aufbauender Gespräche, in denen mal ich ihn hochgezogen habe, mal er mich. Wir kennen uns seit ich vierzehn bin. Es sind fünf Jahre vergangen und drei von ihnen, war ich seine beste Freundin und er mein bester Freund. Es fing an, nach diesem furchtbaren Streit mit Niko an, als Betty sich geoutet hat als dreckige Nutte, die mir das Leben zur Hölle machen wollte. Danach ging es nur noch bergauf mit uns, eine immer stärkere Freundschaft etablierte sich in all der Zeit. Eine Freundschaft, erwachsen aus Steans Abwesenheit, Tariks Einsamkeit nach seiner Trennung von Michelle, dem ständigen Alleinsein, weil plötzlich jeder unserer gemeinsamen Freunde sich irgendwie abkapselte. Er hat zu mir gehalten, ausnahmslos, und ich habe zu ihm gehalten. Und manchmal, da hatten wir nur einander. Vielleicht sind wir deswegen so vertraut miteinander, verhalten uns so selbstverständlich treu. Mit Freunden ist es leichter als mit Freunden. Auf meinem Weg in die neue Wohnung, in die Jenn uns Tarik gezogen sind, schwelge ich in Erinnerungen an diese Erlebnisse und mir geistert durch den Kopf, dass ich ihm dermaßen viel zu verdanken habe, dass ich es nichtmal mehr mit Gold aufwiegen könnte. Tarik ist mein Teddy, mein Schutzengel.

"Du bist ein wundervolles Wesen", falle ich ihm um den Hals, kaum dass er die Tür geöffnet hat.
"Hört, hört", lacht er und das Vibrato, das er dabei erzeugt, erfasst mich ebenfalls.
"Komm rein!", fordert er mich auf und führt mich in sein Novum von geräumigem Heim, in dem er sich von heute an mit seiner Freundin arrangieren muss.
"Was riecht lecker?", schnuppere ich abgelenkt.
"Das ist Gemüseauflauf, den hat Jenn gestern gekocht, ich wärm ihn bloß für uns auf."
"Oh, Junge!", freue ich mich. "Das duftet gar köstlich", imitiere ich Luks piekfeine Art zu reden.
"Erzähl mir von deinem Tag. Oder sollte ich besser nach deiner Nacht fragen?"
Schüchtern drehe ich eine Locke zwischen meinen Fingern. "Koks ist nicht mein Fall", beginne ich.
Tarik schüttelt den Kopf. "Stean hat dich zigmal angerufen, du bist nie rangegangen. Nachts gegen eins hat er bei mir durchgeklingelt. Ist dein Handy aus?"
Ertappt nicke ich.
"Beruhig den Ärmsten erstmal", befehlt er und ich befolge seinen Rat. Heidewitzka - Gleich zehn verpasste Anrufe werden mir sofort angezeigt, neben fünf Nachrichten, die nach und nach verzweifelter klingen.
Schnell wähle ich die Nummer meines vor Sorge vermutlich schon klinisch toten Seelenverwandten.
"Bist du des Wahnsinns?!", fährt er mich ohne Umschweife an.
"Entschuldige, der Abend war scheiße, ich habe anfangs noch daran gedacht, dich zurückzurufen und dann ist es mir wohl irgendwie entfallen", piepse ich.
"Es ist dir wohl irgendwie entfallen?! Du müsstest meine Fingernägel sehen, die sind blutig runtergekaut bis auf die Kuppen!" Stean atmet tief durch. "Gut. Berichte mal, was war los?"
Um Tarik nicht auszuschließen, stelle ich auf laut.
"Ich war bei Universal, bis ich mich mit Betty angelegt habe und Niko mich nach Hause geschickt hat, wo ich, weil ich allein war, eine Runde gekifft habe zu Stevia und schließlich losgezogen bin, als Andi mich in einen Club eingeladen hat. Dort hab ich eine Line gezogen und wir waren untdrwegs zu ihm, aber ich bin in die Spree gefallen und er ist mir hinterhergesprungen und hat mich rausgezogen. Bei ihm hab ich mich umgezogen, wir haben beide beschlossen, dass wir mit den Treffen aufhören, und bin zu einem neuen Kumpel, Tim, mit dem ich fast geschlafen hätte, wobei ich von Tränen übermannt wurde und Tua schrecklich vermisst habe und Tim hat mich gebeten zu gehen und zu Hause hat Bastian mich als Schlampe bezeichnet, woraufhin ich ihn einfach stehen gelassen habe und kein Wort mit ihm gesprochen habe", rattere ich meinen Tagesablauf runter.
Weder Tarik noch Stean äußern sich dazu.
"Und?", hake ich vorsichtig nach.
"Du brauchst ganz dringend Tua zurück", meint Stean und Tarik pflichtet ihm stumm bei. Seine teddybärbraunen Augen strahlen es für ihn aus.
"Das weiß ich", versichere ich beiden.

Tarik und ich reden auch beim Essen weiter darüber.
"Nur damit ich das richtig verstehe: Du bist bereit, Tua seinen Fehler zu verzeihen."
"Seine Lüge, natürlich, ich meine, ich war kein Engel in der Zwischenzeit. Er hat eine zweite Chance verdient, ich bin diejenige, die sich ihre eigentlich verspielt hat. Eigentlich kann ich mich glücklich schätzen, sollte er mich jetzt noch zurücknehmen."
"Er will dich auf jeden Fall zurück, der Typ geht doch unter ohne dich, dass du das nicht merkst." Tarik schüttelt den Kopf. "Jenn sagt, es kotzt ihn an, dass du überreagiert hast und es kotzt ihn an, dass du ihm anscheinend nicht mehr vertraust, weil du etwas über seine Vergangenheit herausgefunden hast, dass er hinter sich gelassen hat, als du aufgetaucht bist. Einmal hat er mir erzählt, dass die Bilder, die er vor Augen hatte, wenn er seine Songs auf der Bühne singt, sich verändert haben. Er sieht nicht mehr die Frau, für die er sie ursprünglich geschrieben hat vor sich, Iara, er sieht dich. Das, was Tua mehr als alles andere auf dieser Welt braucht, ist Verständnis, das bringst du ihm entgegen. Du verstehst ihn. Das hast du immer. Außer am Abend eurer Trennung. Finde das Verständnis wieder und finde deine Reife wieder. Tua liebt dich. Er liebt die Iara, die einem manchmal vorkommt, als wäre sie mindestens hundert Jahre alt, er liebt die Iara, die ihn versteht, die Iara, auf die man sich verlassen kann, die Iara, mit der er in eine Beziehung gefallen ist, die beide Seiten nicht wollten und doch auf einmal hatten. Ihr seid ein ungleiches Paar und trotzdem gebt ihr dem anderen das, was er am dringendsten braucht. Nichtmal in Steans Nähe wirkst du so entspannt wie in Tuas. Er lässt dich deinen Stress vergessen und in dir hat er geglaubt, endlich jemanden gefunden zu haben, der ihn auf einer anderen, tieferen Ebene versteht. Du hast ihm verwährt, was er am dringendsten brauchte, von der einen auf die andere Sekunde."

ÜbergangslösungWhere stories live. Discover now