Iari

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In Windeseile rase ich im Raum umher, ziehe mein Kleid wieder an, kämme mir die Haare durch und fluche, weil Pari nicht da ist. Sie könnte sie mir neu hochstecken und das auch noch in einem Bruchteil der Zeit, die ich dafür bräuchte.
Als ich mit allem fertig bin und nach meiner Tasche greife, fällt mir ein, dass ich meinen nackten Freund im Bett vergessen habe, der keine Anstalten gemacht hat, sich irgendwie zu bewegen. Die Decke ist ihm abhanden gekommen. Absichtlich, vermute ich.
"Nee, Tua, aufstehen", verdecke ich meine Augen.
Es raschelt und im nächsten Moment spüre ich seine Hand auf meinem Oberschenkel, die den Saum meines Kleides hochschiebt. "Untersteh dich!", klatsche ich fest auf seinen Arm.
"Geh doch schonmal vor, ich muss wenigstens dreißig Sekunden kalt duschen." Er lässt mich stehen und ich starre seine Rückseite an. Hin- und hergerissen trete ich vom einen Fuß auf den anderen, während ich auf meiner Unterlippe herumkaue.
"Ich auch", rufe ich schließlich und folge ihm ins Bad.

Fünfzehn Minuten zu spät gelangen wir in die Hotellobby. "Da haben wir die Letzten", nickt Thoralf in unsere Richtung. Carrie lächelt verschmitzt und gesellt sich zu mir.
"Na, wie macht sich das Bett?"
"Fast so gut wie die Dusche", antworte ich trocken. Wie große Schwestern eben sind, versucht sie mich ständig aufzuziehen, aber im Laufe der Jahre entwickelt man seine eigenen Strategien. Meine Taktik ist die Provokation.
Ich hake mich bei Pari unter und wir laufen direkt hinter Mama und Thoralf her. "Was hast du bis eben gemacht?", erkundige ich mich. "Mika, Kitty und Tim haben bei mir mit im Zimmer gechillt. Wir hatten überlegt, ob wir euch dazuholen wollen, aber ihr wart anscheinend beschäftigt."
"Ist das Hotel hellhörig?", beiße ich mir auf die Unterlippe.
"Nein, es ist ein Fünf-Sterne-Hotel, man hört keinen Mucks", lacht sie. "Hab's mir bloß gedacht. Was machst du nach dem Kaffeetrinken?"
"Vovo hat Tua ins Herz geschlossen, ich gehe mit ihr, ihm und meinem Vater nachher spazieren."
"Wie ist das eigentlich mit deinem Vater und dir jetzt?"
"Irgendwie hege ich die dumpfe Vorahnung, dass ich überreagiert habe, wann immer wir uns gesehen haben. Er ist mein Vater, natürlich sorgt er sich um mich, natürlich sorgt er sich um meinen Umgang. Und dafür, dass er so aufbrausend ist, kann er auch nicht wirklich was. Das ist das brasilianische Temperament, davon ist schließlich was an mir haften geblieben, also kann ich ihn verstehen. Er hat Stean Dinge an den Kopf geworfen, die ich ihn nie wieder sagen hören will. Aber meine Mutter und er haben noch regen Kontakt; heißt, unaushaltbar schlimm kann es nicht sein. Ich vermute fast, dass er einfach endlich seine Midlife-Crisis hinter sich gebracht hat, die anfing, als er uns verließ."
"Auf deine Vermutungen was Menschen anbelangt ist in den meisten Fällen Verlass." Sie sieht mich mit diesem "Du bist so erwachsen geworden"-Blick an.
"Hey, Mädels", drängelt sich Stean zwischen uns.
"Blödmann", boxe ich ihn.
"Warum denn gleich so aggressiv?", schnalzt er mit der Zunge. "Tua, Iara braucht's wütend!", ruft er über seine Schulter.
"Würde mich wundern, sie buckelt beim Laufen", antwortet mein Freund in etwas moderaterer, aber noch immer höllischer Lautstärke.
"Er ist anstrengend sexy", verdrehe ich die Augen.
"Du läufst ja echt geknickt", fällt meine minimal gekrümmte Haltung Stean auf.
"Wenn die Fanfictions über Bastian und dich real wären, dann würdest du laufen wie ich und sitzen könntest du gar nicht", murre ich.
"Richte ihm von mir aus, dass er dich nicht kaputtficken soll."
"Psst! Mein Gott, Stean, das ist die Hochzeit meiner Mutter, halt dein hässliches Froschmaul", zische ich. "Geh zu Emily, schnapp sie dir, Tiger", fasse ich ihn an den Schultern und drehe ihn in Richtung von Thoralfs Nichte.
"Du willst mich abwimmeln. Wieso?"
"Weil ich dich ganz doll lieb habe", drücke ich ihn. "Ach ja, und weil wir Pari ausschließen." Pari winkt Stean freundlich, um zu zeigen, dass sie auch noch da ist.
"Dann werde ich mit Tua über dich lästern", zieht er ab.
"Ihr seid seltsam", konstatiert Pari.
"Waren wir von Anfang an", pflichte ich ihr bei. "Pari, was wäre, wenn ich kündigen würde?"
"Bei Universal? Willst du das?" Im groben weiß sie Bescheid über meine Zwickmühle.
"Ich bin unglücklich!", jammere ich. "Dort stehe ich unter Dauerbeschuss. Mit Aufgaben und bösen Bemerkungen von Tina und Betty. Andauernd mache ich blau, weil ich nicht hingehen will. Irgendwann können mich die FIA-Jungs nicht mehr decken. Ich liebe die Musiker dort, sie zu betreuen ist traumhaft, aber ich betreue sie sowieso schon 24/7. Ihren Papierkram zu erledigen und gleichzeitig ihre Freundin zu sein erscheint mir inzwischen unmöglich. Zumindest halbwegs ... Organisation macht mich glücklich, aber nicht auf diese Art und Weise."
"Iara." Pari bleibt stehen, nimmt meine Schultern und schaut mir tief in die Augen. "Du hast es verdient glücklich zu sein. Du verdienst Tua, hoffentlich hast du das endlich begriffen. Du verdienst die Freundschaft von FIA und vom Kokainklan. Du verdienst einen Job, in dem du glücklich bist. Bei Universal bist du nicht glücklich und das ist etwas, das du nicht verdienst."
Sie umarmt mich und ihr blumiges Parfüm, das sie seit Jahren nachkauft erinnert mich an den Tag, an dem sich unsere Wege trennten und ich auf dem berliner Hauptbahnhof geweint habe, weil sie nach Hamburg zog. "Wenn ich nur dich habe, bin ich glücklich", flüstere ich.
Zwei Arme legen sich um unsere umschlugenen Körper und Mika schnurrt uns leise an. Wir lachen und in diesem Moment ist alles irgendwie gut, obwohl alles irgendwie scheiße ist.

Ehe wir uns versehen sitzen wir wieder im Café, wieder in der Konstellation von vorhin an einem Tisch, nur tummelt sich der Rest der Hochzeitsgesellschaft um uns.
Emily steht mit Stean am Fenster und lässt sich von ihm Quatsch über die Bäume in der Gegend erzählen, von denen er keine Ahnung hat. Sie lächeln, aber Stean lächelt nur mit dem Mund. Mir fehlt sein sternenhelles Funkeln in den Augen. Aber ich schätze, Katja hat es mit nach Washington verschleppt. Wie lange ist das her? Drei oder vier Jahre ... Und manchmal, wie jetzt, wirkt es als würde er noch immer darunter leiden. Er lächelt mir kurz zu und ich lächle zurück und es fühlt sich an als würde ich ihn belügen, weil ich es nicht schaffe Besorgnis in meinen Blick zu legen.
"Iara?" Verwirrt wende ich mich von Stean ab und Kitty zu. Sie hat ein Mikrofon in der Hand.
"Gibt es etwas, dass du über Thoralf und deine Mutter erzählen möchtest?"

ÜbergangslösungWhere stories live. Discover now