Was bisher geschah ...

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Originaler Kapiteltitel: "Reden wir uns schön, was nicht schönzureden ist"

Mikas Rat, mich an die weniger bekannten Leute zu halten, bestimmt meinen Dienstag. Statt wie sonst in den Neunten zu fahren, mache ich bei Tina Halt und hole mir zuerst meine Aufgaben. Anscheinend bin ich heute komplett Annenmaykantereit zugeteilt, was mir entgegen kommt. Mit der Band habe ich die kleinste freundschaftliche Verbundenheit bei Universal, wenn man Paul aus dem Ranking rausnimmt. Ich stoppe bei Kris, die mir die Hälfte ihres Croissants mit Erdbeermarmelade spendiert und im Gegensatz zu so vielen anderen nicht über Tua mit mir sprechen will. Wir reden über Make Up und es endet damit, dass sie mir einen perfekten, scharfkantigen Eyeliner zieht.
"Steht dir", lächelt sie. "Mit ein bisschen Übung bekommst du den selbst hin."
"Sieht hübsch aus", gebe ich zu.
"Na dann, Darling. Kopf hoch und bezaubere die Welt", hebt sie mein Kinn an. "Jetzt raus aus meinem Büro, ich muss arbeiten", zieht sie mir den Stuhl weg und schubst mich in den Flur.
Wir strecken uns gegenseitig die Zunge raus und lachen über unsere Albernheit. Grinsend stolpere ich in den Fahrstuhl, wo ich Maeckes begegne.

"Oh, hi." Mein Lächeln verflüchtigt sich.
"Hey", meint er und einer seiner Mundwinkel schnellt nach oben und hinterlässt ein schiefes Schmunzeln in seinem Gesicht.
"Geht's dir gut?", fragt er und ich glaube, die Frage hat einen Hintergedanken.
Seufzend falle ich gegen die Stahlwand. "Beschissen, aber ich kann es mir schönreden", bin ich ehrlich.
"Musst du es dir schönreden?"
"Ja. Tua ist absolut wütend auf mich und es ist sein gutes Recht. Wenn ich mir nicht alles schönrede, kann ich mir genausogut gleich einen Strick knoten", antworte ich bitter.
"Ich bin nicht der richtige um Suizidgedanken loszuwerden", mahnt er mich erschrocken.
"Keine Sorge", lache ich vorgeblich unbeschwert auf. "Aber warum nicht?", erkundige ich mich, um von mir abzulenken.
"Weil ich nicht wie du bin", begründet er und das reicht ihm wohl, denn er starrt bloß die Anzeige für die unterschiedlichen Stockwerke an und rauscht ohne ein weiteres Wort in seine Räumlichkeiten, als wir oben ankommen.
Nachdenklich mache ich es mir in der Lounge gemütlich und schreibe Ben von meinem privaten Account aus eine Mail. Erstens kenne ich ihn seit ich zehn bin, er und Marten sind Teil meiner Familie, und zweitens will ich den Kontakt zu meinem Umfeld nicht gänzlich verlieren, obwohl ich mich eine Weile aus einigen Kreisen zurückziehen werde. Das soll es für heute dann aber auch gewesen sein. Ich gehe seit langer Zeit mal wieder bloß meiner Arbeit nach und bemerke, dass sie mir eigentlich doch ziemlich Spaß macht. Organisation liegt mir und diese Fähigkeit möchte ich weiter ausbauen. Ob bei Universal oder woanders sei dahingestellt.

"Sieh an, Mail an Benjamin Griffey", grunzt Betty mich von der Seite an. Sie muss sich angeschlichen haben.
"Auch noch von deiner privaten Adresse." Sie schüttelt missbilligend den Kopf.
"Musst du das nicht direkt an Tina verpetzen?", sage ich gelangweilt. "Geh mir aus der Sonne."
"Ist Andi so schlecht im Bett?"
Boom - Das lässt mich aufhorchen.
"Woher weißt du das?"
"Ach, Iara, ich bitte dich. Der gesamte Betrieb zerreißt sich das Maul über dich und Tua und dass er dabei war, als du vor Maurice mit Andi geprahlt hast, weiß mittlerweile jeder. Der arme Tua, du stellst mir quasi die Weichen, um an ihn ranzukommen."
Geschockt starre ich sie aus großen Augen an. "Hast du das Gerücht verbreitet?"
"Ich habe es auf jeden Fall gehört. Du hattest doch wirklich was mit Andi, oder?"
"Betty, lass den Scheiß, ich bin nicht stolz darauf! Ich habe vor niemandem angegeben!"
"Also war da echt was. Autsch. Armer, armer Tua", wiederholt sie.
"Du lässt die Finger von ihm!" Und ehe ich mich versehe, habe ich sie gegen die Wand gepresst und schnüre ihr die Luft ab.
"Iara?!" Sinan springt mit einem Satz zu uns und zerrt mich grob von Betty weg.
"Du bist verrückt", kreischt sie und klappt einen Taschenspiegel auf. Die Untersuchung ihres Halses ergibt: Rote Flecken, dort wo ich zugepackt habe. "Das ist Körperverletzung!", schrillt sie.
"Komm klar, Betty, weißt du, wie sehr solche Sätze verletzen können?! Das tut mehr weh als jedes Würgemal dieser Erde", heischt Sinan sie an und nimmt mich mit sich ins Zimmer von FIA, bevor ich mich wehren kann. Niko mustert die Szene verwundert. Tarik und Maurice sind nicht da.

"Bist du irre?!", zischt meine Eskorte.
"Und wenn sie es schafft?", bricht es aus mir heraus. "Was ist, wenn sie mit ihm schläft?" Ich ziehe unappetitlich die Nase hoch.
"Wer? Was?", guckt Niko entgeistert von mir zu Sinan.
"Tua würde Betty nichtmal mit 'ner Kneifzange anfassen, Iara", stöhnt Letzterer. "Begreifst du das langsam mal?"
"Menschen machen die seltsamsten Dinge, Sinan. Sieh mich an, ich bin das lebende Beispiel. Ich habe mich von Tua getrennt, weil er mich angelogen hat, und anstatt mit ihm darüber zu reden, lass ich mich von Andi ficken", führe ich einen Monolog.
"Das liegt an dir, Iara, es war deine Entscheidung", erinnert er mich.
"Mag ja sein, dass es ihre Entscheidung war, Sinan", schreitet Niko plötzlich ein. "Aber sie ist nicht der einzige Mensch der Dummes zu verantworten hat."
"Wenn alle leiden ist das also besser, als wenn einer leidet?", kontert Sinan.
"Stell dir mal vor, du wärst dieser eine!", ruft Niko. Er ist aufgestanden und nimmt mich in den Arm. "Geh nach Hause, Iara", flüstert er mir zu. "Das ist kein Ort für dich heute."
Ich schüttele den Kopf. "Zu Hause kann mich gar nichts mehr ablenken."
"Dann geh woanders hin, mir egal. Wir denken uns was aus. Aber ich will nicht, dass du hierbleibst. Das verkraftest du wahrscheinlich nicht." Zögernd willige ich ein. "Sagt den Jungs von Annenmaykantereit, dass ich nachmittags nochmal reinschaue und mich den Dingen widme, die übrig geblieben sind."
Niko nickt und begleitet mich bis runter ins Foyer.
"Ich hab dich lieb, okay?", betont er. "Und Sinan hat dich auch lieb. Hast du jemandem, zu dem du kannst?"
Momentan noch nicht - "Ja, klar."
"Gut. Wir sehen uns dann später nochmal. Und hilfst du mir morgen ein Geburtstagsgeschenk für Vic auszusuchen?"
"Natürlich."
"Tschüss, Kleine."
"Tschüss, Niko."

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