Die vierte Gewalt

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Leider hat Pari Recht, Tim zeigt nicht wirklich Interesse an ihr. Aber das ist es nicht, was mir den Abend verleidet.
"Iara", winkt Bastian mich ungewohnt ernst zu sich.
"Hey, es ist doch alles geklärt zwischen uns", versichere ich ihm nochmal.
Er schüttelt bloß den Kopf. "Darum geht's nicht."
"Was ist denn?"
Bastian hält mir schweigend sein Handy vor die Nase und ich starre aufs Display. Das ist ein Chat mit Karate Andi. Nicht weiter dramatisch, Bastian und Andi sind befreundet, sie kommen gut miteinander klar, weil sie ähnlich ticken. Andis letzte Nachricht springt mir ins Auge:

Andi: Hast du das gesehen? Ich schwöre dir, ich war's nicht. Die Kleine tut mir leid.

Darüber ein Screenshot eines Artikels mit dem geistreichen Titel Famehure. Ich überfliege den ersten Absatz. Dort steht mein vollständiger Name, gleich am Anfang, ein Foto, das ich mal auf Instagram gepostet habe, thront darunter. Danach beginnt die Tirade. Über mich wird hergezogen wie nichts Gutes in dem Text und ich kann kaum glauben, dass sich jemand derart abfällig über mich äußert. Dazu gibt es doch überhaupt keinen Anlass.
"Was ist das?", frage ich tonlos. Mich erschüttert die Gemeinheit viel zu sehr, ich fühle mich taub. Meine Kehle ist wie zugeschnürt.
"Ein Blogeintrag. Der Typ kommt mir irgendwie bekannt vor." Bastian scrollt nach oben und zeigt mir ein Foto von jemandem, dem ich erst vor kurzem einen Korb erteilt habe.
"Lille", meine ich fassungslos. Wieso schreibt er sowas über mich? Er war es, Lille Sunder steht im Banner der Website. Einmal hat er auch erwähnt, dass er einen Blog hat, auf dem er regelmäßig Anekdoten aus seinem Leben berichtet. Das kommt gut an bei den Leuten, schließlich ist er eine interessante Persönlichkeit, mit seinen Wurzeln in Schweden, seinem Schauspielstudium, das er zurzeit absolviert, seinem Nebenjob als Model für Hollister. Und nun schreibt er über mich, nur nichts Positives. Eher ganz im Gegenteil.

"Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber das Ding geht gerade viral", murmelt Bastian, als wollte er sich entschuldigen, was sinnlos ist, er hat ja nichts verbrochen.
"Fuck", piepse ich. "Kann man da nicht irgendwie gegensteuern?"
"Wie denn? Das ist das Internet, da herrscht Meinungsfreiheit und was einmal drin landet, wird auf ewig gespeichert."

"Was ist los?", lässt mich eine altbekannte Stimme hinter mir aufhorchen.
Rasch klammere ich mich an Stean fest.
"So ein Idiot verbreitet Scheiße über Iara im Netz", antwortet Bastian für mich. Anscheinend hat er bemerkt, wie blass ich bin und wollte mich von meinem hilflosen Rumgestotter erlösen.
Angelockt von meinem ängstlichen Blick, gesellt sich Tua zu uns.
"Alles okay?", erkundigt er sich besorgt.
Bastian reicht ihm wortlos sein Handy.
"Was soll ich jetzt tun?", wende ich mich verzweifelt an meinen besten Freund.
"Gib mir seine Adresse", verlangt Stean.
"Der hat damals von mir aufs Maul bekommen", knurrt Tua. "Mein lieber Herr Gesangsverein, der traut sich was, der Wichser." Dieser Satz klingt, als müsste Luk ihn aussprechen.
"Ich rede mit ihm", versichert Stean mir. "Gib mir einfach seine Adresse und ich regle das für dich."
"Dann gehe ich mit", mischt Tua sich ein.
Stean nickt ihm zu.
"Leute, nein", wehre ich ab und massiere mir die Schläfen.
Verdammter Stress, kannst du mich nicht mal fünf Minuten in Ruhe lassen - "Lasst mich erstmal mit ihm reden", seufze ich und fluche innerlich.
"Aber zacki-zacki", gibt Bastian zu bedenken. "Die Kommentare quellen über und vorhin haben einige Fans Andeutungen in deine Richtung gemacht."
"Klasse, Herr Krüger, bloß keine Panik", verdrehe ich die Augen.
"Er hat nur gesagt, du sollst dich beeilen", streicht Stean mir beruhigend über den Rücken. Ihn anfahren, dass er sich das Beeilen sonstwo hinschieben kann, das unterdrücke ich zum Glück rechtzeitig. Es reizt mich trotzdem unheimlich, ihm das an den Kopf zu werfen.
"Ruf ihn an und sprich direkt mit ihm", schlägt Tua vor.
"Will ich nicht", schüttele ich müde den Kopf. "Darf ich nicht einfach den Abend vernünftig genießen?" Schnaubend drehe ich mich von ihnen weg und kehre zu Tim und Pari zurück, die sich an der Bar unterhalten.

Ihr Gespräch ist nicht abgebrochen, das ist immerhin etwas, sie scheinen miteinander reden zu können und ich sehe die typischen Anzeichen dafür, das Pari flirtet. Sie fährt sich durchs Haar, sitzt leicht vorgebeugt, das volle Programm.
Eigentlich will ich nicht stören, andererseits muss ich wohl in der Nähe der beiden Personen sein, die mich runterbringen. Die Verleumdung regt mich richtig auf und ich merke, dass sich eine Menge Wut in mir aufstaut.
Tim sieht es und guckt mich fragend an, aber er konzentriert sich weiter auf Pari, die gerade von Laya, ihrer kleinen Schwester, erzählt. Dabei fällt es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich vielleicht mit meiner eigenen Schwester reden sollte, bevor ich etwas unternehme. Wie früher. Überhaupt vernachlässige ich Carrie total. Das Festival, auf dem sie mir gestanden hat, dass sie damit zwar gerechnet, aber nicht angenommen hatte, dass ich es so schnell passieren würde, ist eine Ewigkeit her.
"Iara, du siehst aus, als könntest du noch was vertragen", lächelt Ivo.
"Einen Shot", verlange ich.
Pari streicht über meine Schulter. "Alles okay bei dir?" Ihre großen braunen Augen durchbohren mich förmlich.
Erschöpft schüttele ich den Kopf und kippe das Gläschen, das Ivo mir reicht.
"Hey", tippt Tua mir auf die Schulter.
"Was ist?", frage ich lustlos.
"Ich wollte eine rauchen gehen draußen. Magst du mitkommen?" Meine Miene strahlt kein Fünkchen Begeisterung aus.
"Frische Luft wird dir gut tun", probiert er es dennoch.
Ergeben rutsche ich vom Stuhl und trotte hinter ihm raus.
Er zündet die Kippe an und ich sage: "Weißt du, früher hab ich's wie die Pest gehasst, wenn jemand neben mir gequalmt hat. Besonders Bastian."
"Wieso jetzt nicht mehr?"
"Keine Ahnung. Ich hab scheinbar kapiert, dass es Wichtigeres im Leben gibt, als den Geruch, der in der Luft liegt."
Tua zieht mich zu sich und umarmt mich. "Es gibt auch Wichtigeres im Leben, als das, was über dich im Internet steht."
"Ich hatte gerade wieder ein wundervolles Leben, es war, als würden alle mich mögen. Außer Timmi vielleicht."
"Wer von allen gemocht wird, ist sterbenslangweilig. Vertrau mir, du wärst zu glatt. Dann wären du und ich gar nicht zusammen. Ich würde abrutschen an deiner Spiegeloberfläche."
"Sei nicht kitschig", schmunzle ich gegen meinen Willen. Niedergeschlagen bleibe ich leider erstmal.

ÜbergangslösungWhere stories live. Discover now