Zu einigen Zeiten stimmt der Zeitpunkt

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"Das ist Jenn", springt Tarik von der Couch und stürmt zu seiner Freundin in den Flur, als er das Geräusch des sich im Schloss drehenden Schlüssels vernimmt. Lächelnd sehe ich ihm hinterher, bevor ich mich wieder der Schüssel Butterpopcorn zuwende, die wir eben noch zubereitet haben, um sie während des laufenden Films genießen zu können. Auf dem Fernsehbildschirm küssen sich die zwei von Anfang an füreinander Bestimmten inniglich und ich versuche die Szene zu ignorieren, aber das lästige Ziehen in meiner Herzgegend macht mir dabei einen Strich durch die Rechnung.

"Iara."
Kennt ihr dieses Gefühl, wenn euch allein der Klang einer bestimmten Stimme angenehm erschauern lässt? Im Türrahmen steht Tua und sieht mich aus seinen großen Augen an und ich kann nicht anders, ich starre bloß zurück.
"Das kommt mir zwar dumm vor, aber scheiß drauf", nuschelt er in Richtung Boden. "Irgendwie hatte ich bis jetzt Angst, dir zu begegnen. Na ja und das Einzige, das es zu sagen gilt, ist, dass ich dich liebe. Und dass es mir leid tut, dass ich dich angelogen habe", entschuldigt er sich, klar in meine Richtung diesmal.
Mir erscheint es wie Zeitlupe. Impulsiv stehe ich auf, gehe auf ihn zu und umarme ihn einfach. Sein Geruch hüllt mich endlich ein, sodass ich fast weinen möchte. "Mir tut es auch so, so leid", flüstere ich. "Vor allem, dass ich was mit Andi -"
"Schsch", unterbricht er mich. "Lass ihn aus dem Spiel, um den Idioten geht's doch gar nicht", unterdrückt er spürbar seine Aggression.
Nickend erwidere ich: "Ich liebe dich, Tua."
Er küsst mich auf die Stirn, dann werde ich langsam gewahr, wo ich mich noch immer befinde. "Ist 'ne schöne Wohnung", lächle ich Jenn an und löse mich zeitgleich von Tua.
"Danke, seh ich genauso", grinst sie. Tarik schnappt sich meinen wohl nun Ex-Ex-Freund und schubst ihn in den Flur.

Jenn und ich fallen gemeinsam aufs Sofa.
"Tua war ein Arschloch, aber er würde die Scheiße bei dir nicht durchziehen", erläutert Jenn fachkundig. Sie muss als seine beste Freundin schließlich wissen, wie er tickt. Wenn sie der Meinung ist, dass er mich niemals betrügen würde, dann sollte ich auch dieser Meinung sein.
"Hast du die Nachrichten gelesen, die ich ihm auf Tour geschickt habe?", frage ich, weil ich mich durchaus lebhaft daran erinnere, dass Tua ursprünglich überhaupt nicht mit mir reden wollte.
"Ich war dabei, er hat dir keine meiner Antworten geschrieben", bestätigt sie meinen Verdacht.
"Ich habe auch Fehler gemacht." Gedankenverloren fummele ich an meinem T-Shirt herum.
Jenn weiß, dass Andi gemeint ist. "Hey, guck uns an, Tarik und mich", versucht sie mich aufzuheitern. "Wir haben Scheiße erlebt und trotzdem sitzen wir jetzt hier in unserer gemeinsamen Wohnung."
"Ihr müsst euch nur ordentlich aussprechen, dann wird das schon wieder", mischt sich Tarik ein, der an uns herantritt.
Er unterhält sich weiter mit seiner Freundin, während ich über Tua und mich nachdenke. Vielleicht wird es tatsächlich reichen, sich einfach auszusprechen.
Mich holt Jenns für sie untypische Aktion zurück in die Gegenwart. Statt den Anruf anzunehmen, der auf ihrem Handy eingeht, drückt sie die Person weg.
"Wer war das?", wende ich mich amüsiert lachend an sie.
"Maya." Sie spricht den Namen dumpf aus.
"Wer ist Maya?", hake ich bedächtig nach.
"Ihre Stiefschwester", antwortet Tarik und bedeutet mir stumm, keine weiteren Fragen zu stellen.
Tua, der das Ganze belauscht hat, lässt sich auf Jenns andere Seite fallen, sodass wir sie in unsere Mitte nehmen.
"Warum hast du aufgelegt? Das heißt ... Wenn ich fragen darf", insistiert er sanft, überraschend einfühlsam.
Jenn lächelt kurz müde. "Weil ich der Meinung bin, dass sie und ihre Mutter meinen Vater verdorben und mir weggenommen haben."
Wortlos streiche ich einmal über ihre Haare und sehe zu, wie Tua seinen Arm um ihre Schultern legt.
Sie trinkt den Alk aus der Flasche, bis Tarik sie stoppt.
Meine Augen treffen Tuas und er stupst meinen besten Freund an.
"Wir gehen besser", schlägt er vor und Tarik bejat.
Also schleichen wir uns in den Flur, wo Tua meine Jacke von der Garderobe nimmt und mir hineinhilft. Dankbar grinse ich und er erwidert es, was mein Herz unwillkürlich hüpfen lässt.

"Warte", hält er mich vor der Tür auf, ergreift meine Hand. Auf eine lockere Art. Ich drehe mich langsam um und laufe auf ihn zu. Wir stehen nah beieinander und er umfasst meine Hüfte, federleicht. Schließlich beugt er sich ein Stück zu mir runter, ich gehe auf die Zehenspitzen, recke mich höher und er küsst mich. Es ist ein Kuss, der hungrig macht; hungrig auf mehr. Ein Kuss wie nach ersten Dates, soweit mir das von Pari beschrieben wurde, allzu viel Erfahrung konnte ich mit ersten Dates nie sammeln. Das ist seltsam, einen Kuss wie diesen mit Tua zu teilen, immerhin waren wir davor über ein halbes Jahr zusammen.
Eine Sekunde lang erscheint eine skeptische Falte zwischen seinen Augenbrauen.
"Komisch, hm?", hauche ich unsicher und spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt.
"Ja, irgendwie", stimmt er zu und diesmal hüpft mein Herz nicht in die Höhe, sondern sinkt wie ein Stein auf den Grund des Sees. Was ist, wenn es nicht mehr werden kann, wie es war, niemals? Was mache ich denn dann ohne ihn?
"Irgendwie gut", schiebt er hinterher und seine Mundwinkel zucken spöttisch nach oben.
"Du Spast", schlage ich erleichtert auf seine Brust. Eigentlich hätte ich wissen müssen, wie berechnend er in dem war, was er getan hat.
"Hast du echt geglaubt, ich hätte mich nicht danach gesehnt? In den letzten Wochen hab ich dich unendlich vermisst. Und ich war so wütend auf dich." Er spielt mit meinen Locken.
"Mindestens so sehr wie ich auf dich", entgegne ich streng.
"Aber das hat offensichtlich nicht viel geändert." Da ist dieses Funkeln in seinem Blick. Ein verliebtes Funkeln.
"Offenbar nicht", stimme ich zu.
Schwungvoll stößt er sich von der Wand ab und rempelt mich fast um, fängt mich aber, bevor ich stolpern kann. "Zu dir? Zu mir?", fragt er.
"Zu dir. Wir müssen reden unterwegs."
"Hast du mir Geständnisse zu machen?", brummt er grimmig.
"Lass mich ehrlich zu dir sein und mich einmal alles loswerden. Ein- für allemal."
Draußen pfeift uns der Wind um die Ohren, aber das hindert mich nicht daran, sofort drauf los zu plappern.
"Vor einigen Monaten, nach unserer Pause, als ich nach Stuttgart zu Maeckes und Mina bin, um Stress abzubauen, habe ich einen Typen kennengelernt. Er heißt Tim und bevor du fragst: Nein, wir hatten und haben nichts miteinander. Wir haben uns ab und zu getroffen und gestern habe ihn angebaggert. Aus Verzweiflung. Ich hätte mit ihm geschlafen, das will ich dir nicht vorenthalten -"
"Das will ich gar nicht hören, Iara", unterbricht er mich.
"Aber weißt du, was passiert ist?", fahre ich fort. "Ich hab angefangen zu weinen. Ziemlich heftig sogar. Und ich tu's gleich wieder. Wegen dir. Weil ich etwas gesucht habe, dass wie du ist. Oder jemanden. Was unmöglich ist und genau das macht mich fertig. Jetzt sag mir bitte, was du von mir hören willst."

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