Chiara Liebsennt

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Fünfzehn Minuten später, bin ich um einige Antworten reicher, die Pari mir in Bezug auf Tim gegeben hat. Sie mag ihn sehr, die beiden verstehen sich miteinander und schreiben jeden Tag. Sie flirten, aber keiner von beiden will etwas überstürzen. Ich höre zu und lasse an den passenden Stellen Ohs und Ahs fallen.
"So", lässt meine beste Freundin schließlich zufrieden von meinem Gesicht ab und ich mustere mich im Spiegel. Sie hat nicht viel verändert, eigentlich nur ein bisschen meine Augen und Lippen betont. Mein Teint sieht mit ein bisschen Make Up und einem Hauch Rouge gleich viel frischer aus.
"Danke, Süße", umarme ich sie.
"War mir ein Vergnügen", lächelt sie.
"Was hältst du von Kitty?", hole ich ihre Meinung ein.
"Sie ist cool. Ich wüsste gerne, warum er sie uns verheimlicht hat."
"Nicht wahr?" Gedanken dazu kann ich mir höchstens eine halbe Sekunde machen.
"Du hast sie übrigens überfordert, das ist dir hoffentlich aufgefallen. Wie läuft's mit Tua?", wechselt sie das Thema.
"Er ist toll." Ich fasse nach einer Haarsträhne, die aus meiner Hochsteckfrisur rausgefallen ist und stecke sie neu hinter meinem Ohr fest. "Wir sind kompliziert, aber das ist okay", fasse ich die Lage knapp zusammen.
"Du bist glücklich, das ist das Wichtigste." Sie lächelt über meine Schulter.
"Kann es sein, dass du mit Tua wirklich gut zurechtkommst?", äußere ich einen Verdacht, den ich seit längerer Zeit hege.
"Mit Harvey kam ich auch prima klar", winkt sie ab.
"Mit Tua ist es trotzdem besser, stimmt's?"
"Kein Kommentar", lacht sie, wobei sich eine zarte Röte auf ihre Wangen schleicht, die, wenn ich es mir überlege, fast nicht da sein könnte. Vielleicht bilde ich mir ihre Scham ein.
"Lass uns wieder zu den anderen gehen, wir müssen eh bald in den Trausaal des Hotels", schnipst sie Hektik verbreitend mit den Fingern.
Die Zeit ist wirklich vorangeschritten, also kehren wir zurück zum Rest und treten gemeinsam den Weg zur Trauung an, nachdem Tim Paris Kuchen und Kaffee bezahlt hat. Ein Detail, über das ich mich besonders freue.
"Wie sehr ich mir wünsche, dass die beiden etwas anfangen", sage ich leise zu Kitty.
"Ihr seid allesamt ein nettes Pack, ich genehmige das", nickt sie, als hätte sie die Entscheidungsgewalt, und zwinkert mir zu. Mika zieht sie jedoch weg von mir und legt einen Arm um ihre Taille. Es bleiben Tua und ich übrig, sodass wir uns zusammentun.
"Du siehst fantastisch aus, ich kann mich gar nicht satt sehen an dir", meint er.
Ich täusche einen Ausrutscher auf der imaginären Schleimspur an, die er hinterlässt, aber er küsst mich bloß lächelnd.

Im Saal sammeln sich meine Freunde in der zweiten Reihe, bis auf Tua, der in der ersten neben mir sitzt, bei Henry und Carrie. Mama hat uns Töchter zu ihren Brautjungfern ernannt. Ihre beste Freundin Yvonne, die sie noch aus Schulzeiten kennt, ist ihre Trauzeugin. Thoralf hat kaum Verwandtschaft mitgebracht, bloß ein paar gute Freunde von ihm sind anwesend und seine alte Mutter, die kaum mehr sehen kann, aber sehr lieb zu allen ist und hinter ihren dicken, runden Brillengläsern gespannt das Geschehen verfolgt. Mit seiner Schwester, hat er uns erzählt, hat er sich zerstritten, nachdem ihm sein Geld abhanden kam.
Stean werden schöne Augen von seiner Nichte gemacht, die sich dem Zwist ihrer Mutter mit ihrem Onkel nie anschließen wollte. Sie ist ein hübsches Ding und wie ich es einschätze, findet mein bester Freund genügend Gefallen an ihr, wenigstens für heute Nacht. "Immer noch ganz der Alte", flüstert Carrie mir zu und nickt in seine Richtung. Er starrt unverblümt zu Thoralfs Nichte, beißt sich auf die Unterlippe und schmunzelt spöttisch, aber nicht verurteilend, als sie sich ertappt abwendet.
"Immer noch Stean", bestätige ich.
"Manchmal fragt man sich doch, was wohl gewesen wäre", murmelt sie.
"Wenn ihr zusammengeblieben wärt? Du hättest Henry nie kennengelernt, wärst auf Bastian, Maxim oder ihm hängengeblieben."
"Ich bin sowieso auf Bastian hängengeblieben, ganz eindeutig. Wenn er eine Party veranstaltet, bin ich zugegen", grinst sie.
"Er hat davon erzählt. Manchmal bist du überglücklich, dann wieder todtraurig. Was ist los, Carrie?"
"Ach, ich habe meine Anwandlungen, das kennst du doch, Spatz", wischt sie meine Sorgen beiseite. Ihr Plan geht leider nicht auf, sodass meine Sorgen blöderweise an ihrem angestammten Platz bleiben. "Chiara Liebsennt, bitte rede mit -"
"Iara! Cara!"
"Vovo!" Unsere brasilianische Oma zieht uns in eine feste Umarmung. Auf portugiesisch versichert sie uns, wie schön es ist, dass sie uns endlich wiedersehen kann. Carrie erklärt im Gegenzug, wie überrascht wir beide sind. Dann erblicke ich meinen Vater und ein mulmiges Gefühl schleicht sich bei mir ein. Dass er zur Hochzeit eingeladen ist, wundert mich. Er begrüßt uns freundlich, aber distanziert. Wahrscheinlich, weil er weiß, dass Carrie und ich ihn ambivalent und dadurch mit Misstrauen wahrnehmen. Die letzten Treffen mit ihm waren katastrophal. Er verschwindet auch direkt und ich suche meine Mutter im Vorraum auf.
"Was macht Papa hier?", frage ich unschuldig und streiche das weiße Kleid, in dem sie sich nervös dreht glatt.
"Ich habe ihn eingeladen. Wusstest du, dass er gekündigt hat? Er hat seine Projekte in Brasilia fortgesetzt."
"Die Wasserversorgung?"
"Ja, sein nächster Schritt ist das Gesundheitswesen. Die Erfahrung, die er in Deutschland gesammelt hat will er nach Südamerika tragen, sagt er."
"Er sagt viel."
"Er sagt genug." Sie sieht mich an. "Vielleicht zieht er es diesmal durch."
"Vielleicht", antworte ich vage.
"Es geht gleich los, Schatz", ermahnt mich meine Mutter und ich umarme sie, bevor ich auf meinen Platz zurückkehre, von dem ich erstmal Vovo verscheuchen muss, die mit Händen und Füßen mit Tua kommuniziert. Beide lachen, es scheint also irgendeine Art des Verstehens zu geben. Er wischt sich sogar ein Tränchen aus dem Augenwinkel als ich mich neben ihn setze und ich grinse, weil ich es liebe, wenn er ehrlich lacht.

Als mein Stiefvater - denn das ist Thoralf jetzt offiziell - mit meiner Mutter gemeinsam den Saal betritt, füllt sich die Luft mit einer wahnsinnig emotionalen Aura. Carrie steht dort vorn und singt I was made for loving you. Es ist komisch: Wenn sie singt ist sie höchst professionell, stört sich nicht an den Freudentränen in ihren Augen, die gar nicht trocknen können, weil etliche ihren Vorgängern nachfließen und über ihre Wangen kullern. Die vielen Tourneen mit Marten haben sie abgehärtet. Dort muss sie jeden Abend liefern und ich weiß, dass es ihr unterwegs manchmal schlecht geht. Ungefähr auf die Art, die Bastian beschrieben hat, als wir auf dem Balkon über meine Schwester geredet haben. Tua ermahnt mich schließlich. "Du denkst zu viel nach, denk deine arme Schwester nicht tot", küsst er mich auf die Wange. "Mustere ich sie so schlimm?", beiße ich mir schuldbewusst auf die Unterlippe.
"Wie beim Militär", verkündet er mit Grabesstimme. "Und jetzt schweig still, Weib, die Vermählungszeremonie hat begonnen."

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