Kapitel 66

986 44 2
                                    

Panic room- Au/Ra

Es ist lange her. Ziemlich lange. Meine Beine zittern, als ich den sterilen Flur hinunter laufe. Okay, eigentlich ist es gar nicht so lange her. Vielleicht kommt es mir einfach nur so vor. Ich bin dem Krankenhaus die letzten Monate aus dem Weg gegangen. Es war nicht wichtig für mich, die Untersuchungstermine einzuhalten, schließlich ging es mir gut. Verwarnungen habe ich nie bekommen, nicht einmal einen Anruf. Es ist witzig, wie wenig Aufmerksamkeit man bekommt, wenn es einen augenscheinlich gut geht. Aber wenn es einem körperlich und auch geistlich geprüft schlecht geht, wird man mit Schmerztabletten oder Infusionen vollgepumpt.

Wieder zwinge ich mich, einen Schritt nach vorne zu machen. Es funktioniert nicht. Von meiner Wohnung, bis zum Bus hat es schon eine halbe Stunde gedauert, obwohl ich normalerweise nur ein paar Minuten zur Haltestelle brauche. Ich habe die Kontrolle verloren. Nichts funktioniert mehr. Meine Beine tun einfach nicht mehr, was ich ihnen versuche zu befehlen. Dabei ist nichts passiert.

Ich komme schwer atmend in der Notaufnahme an, versuche mich an dem Geländer an der Wand festzuhalten, als mich rasender Schwindel überfährt. Er drischt auf mich ein, als wäre er ein LKW-Fahrer, der mich ignoriert und mich versucht umzubringen. Ich bekomme nur leicht mit, wie mein Körper an Kraft verliert und leblos zu Boden sinkt.

Dann ist alles schwarz. Wie immer. Wenn es ernst wird, verschwindet alles. Gerade jetzt wird es mir bewusst. Es ist nicht normal, dass ich ohnmächtig werde, weil ich nicht mehr laufen kann. Es ist auch nicht normal, dass ich niemanden erzählt habe, wo ich bin. Jede Freundin hätte doch ihren Freund angerufen. Ich glaube, dass es anders ist, wenn der Freund fast jede Woche außerhalb der Stadt ist und kaum Zeit für dich hat. Ich mag Shawn. Wirklich. Aber manchmal weiß ich nicht, warum ich in meiner Wohnung sitze und auf ihn warte.

Im Ernst. Wieso macht man das? Ich könnte nachts in die bekanntesten Clubs der Stadt gehen und irgendwelche Typen aufreißen. Es wäre eindeutig nicht so kompliziert und ich wäre vielleicht zufriedener damit. Stattdessen transformiere ich mich immer mehr zu einem Hausmuffel, der sich nicht traut, nach draußen zu gehen.

,,Wir reanimieren sie!", dringt eine vertraute Stimme durch mein Trommelfell. Es ist nicht Shawn, auch nicht jemanden, den ich persönlich kenne. Es ist der Neurochirurg, der mich schon damals operiert hat. Er meinte, dass alles okay sei. Nur merke ich in diesem Moment genau das Gegenteil. In meinem Kopf prallen Decken auf mich hinab, Kälte durchfährt meinen Körper. Es gibt nichts, das das hier jetzt hätte schlechter machen können. Die Zellen in meinem Gehirn sterben ab, so dass ich es fast fühlen kann.

,,Scheiße!", schreit jemand. Das Wort hallt durch mein Gedächtnis, als wäre es meine einzige Hoffnung. Obwohl es keine Hoffnung ist. Es ist eher dieser Schmerz, der nicht aufhört. Meine Brust hebt und senkt sich, bevor ich auch nur auf die Stimme des Arztes reagieren kann. All die Luft entweicht meinem Körper, dann bin ich bewegungslos.

Ich weiß, was als nächstes passiert.

Alles ist schwarz, nicht so grau-schwarz, eher tiefen-schwarz. Es ist anziehend. Fast so, als würde man gezwungen sein, da rein zu gehen und nie wieder hinauszukommen. Doch ich habe das Gefühl, wieder herauszukommen, wenn ich es will. Also machen sich mein Verstand und meine Füße auf den Weg in die stille, bedrohliche Dunkelheit, die auf mich wartet.

Die Dunkelheit zieht mich in sich und schließt sich, sobald ich drin bin. Es ist mein Geburtstag. Sowas sollte nicht an meinem Geburtstag passieren. Es sollte ein schöner Tag sein. Stattdessen falle ich in der Notaufnahme in mich zusammen und verrecke wahrscheinlich schon wieder.

,,Du bist neunzehn Jahre alt. Langsam solltest du nicht mehr hier auftauchen.", ertönt die Stimme meines Vaters. Ich kann sie hören, ihn sehen, kann ich jedoch nicht. Es ist immer noch alles dunkel. Es fühlt sich an, als habe jemand das Licht ausgeschaltet und meine Orientierungssinne in die Luft geschossen. Ich habe nicht nur überhaupt keinen Plan, wo ich bin, sondern habe auch Angst. Ich bin noch nie so machtlos gewesen.

,,Erinnerst du dich nicht mehr ans letzte Mal? Du warst gar nicht mal so verwirrt."

Es stimmt. So verwirrt war ich das letzte Mal im Matheunterricht in der zehnten Klasse. Und damals war ich kurz davor, meinen Mathelehrer vollzuheulen, dass ich Selbstmord begehen wolle. Ich habe es selbstverständlich nicht getan, war aber kurz davor.

,,Wer sagt denn, dass ich schon mal hier war? Das letzte Mal habe ich mit dir gesprochen, da warst du kurz vor deinem Tod.", entgegne ich kalt. Ich kann meine Emotionen schwer ausdrücken. Das Einzige, woran ich denken kann, ist der Tod. Wenn Dad mit mir redet, muss ich einen Draht zu ihm haben. Das wiederum muss wohl heißen, dass ich tot bin.

,,Deine Vitalwerte sind zwar scheiße, aber du wirst wahrscheinlich nicht sterben. Es ist nichts schlimmes. Du hast eine Hirnhautentzündung.", fängt er an.

,,Klar, Dad! Das ist mega schlimm! Daran kann man sterben!", unterbreche ich ihn schreiend.

Wieso ist hier bitte alles so komisch? Meine Stimme hört sich an, als habe jemand meine Stimmbänder durchgeschnitten und mein Kopf fühlt sich wie amputiert an.

Dabei ist hier doch alles echt schön. Dieser... schwarze Raum ist echt schön. Hier ist nichts dran auszusetzen. Er wirkt wie die Freiheit. Ich müsste nur die paar Meter gehen und es würde sich noch schöner anfühlen, das weiß ich einfach. Also setze ich jeden Fuß vor den anderen.

,,Sicher?", fragt Dad. Jetzt sehe ich ihn vor mir. Es ist jedoch nur das Bild, was bei meiner Mom im Krankenzimmer hängt. Er kann sich also nicht regen.

______________________________________________

Also... Ich hoffe, ihr hattet tolle Weihnachten🙂🎄

Das ist das letzte Kapitel, das ich dieses Jahr hochlade. Von daher: Guten Rutsch🥳🤝

To be continued...❤️

Because I had you [Shawn Mendes FF]Where stories live. Discover now