Kapitel 29

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All of the stars- Ed Sheeran

Ich renne. Ich renne einfach weg. Weg von all meinen Problemen. Während Shawn und Chris sich im Hintergrund streiten, lasse ich Kilometer hinter mir, überquere Flüsse. Meine Fußsohlen fühlen sich an, als würde ich über brennende Kohlen laufen, obwohl es um mich herum stürmt. Starker Regen prasselt auf meine Haut, lässt sie fast taub wirken. Mein Knöchel knickt immer wieder um, obwohl ich ganz normal laufe. Ich laufe über keinen uneben Boden, meine Haltung ist gerade, dementsprechend sollte ich normalerweise nicht ständig umknicken. Trotzdem muss ich alle zwei Minuten anhalten, um an meinem Knöchel zu fassen. Obwohl ich genau weiß, dass dadurch der Schmerz nicht besser wird, reibe ich an ihn, als wäre er eine indische Lampe, aus der der jeden Moment ein Geist auftaucht, der mir drei Wünsche erfüllt. Der Schmerz hört erst auf, als ich um irgendeine Ecke husche und meine Mom entdecke. Sie sitzt an einem runden Tisch vor einem Café und nippt glücklich an einer europäisch aussehenden Tasse. Auf einmal passt meine Umgebung sich dem italienischen Café an und könnte echt als richtiges Italien durchgehen. Aber so richtig glauben, möchte ich es nicht.

,,Mom? Was machst du denn hier?", frage ich, da sie ja eigentlich in einer Klinik unter ärztlicher Aufsicht sein sollte.

,,Ah, Cassie. Da bist du ja.", sagt sie und stellt Ihren Kaffee wieder auf der edlen Untertasse ab. Weil sie nicht antwortet, mache ich ihr mit meinem Blick noch einmal klar, dass ich sie etwas gefragt habe. Die reagiert nur leicht genervt und antwortet mir dann mit angepissten Unterton: ,,Wir warten aber schon ein bisschen auf dich. Wir wollten uns doch hier treffen, oder nicht?"

Meine Augen fallen mir fast aus den Augenhöhlen. Normalerweise müsste sie jetzt in der Psychiatrie sitzen und mit gut ausgebildeten Psychologen über ihre mentalen Probleme sprechen. Stattdessen labert sie irgendetwas von 'Wir' und 'Warten'. Auch wenn sie, mal angenommen, ganz gesund wäre, würde sie nie in einem so kitschigen Café einen Kaffee trinken gehen. Sie hätte eine eigene Kaffeemaschine, die sie eh nicht benutzen würde, weil sie doch eigentlich gar keinen Kaffee mag.

,,Ach, schau. Da kommen unsere Schätze ja.", redet meine Mutter erfreut weiter. Erst jetzt fällt mir auf, dass neben meiner Mom ein komplett ausgestatteter Kinderwagen steht. Kleine Windspiele hängen an dem blauen Schirm, der zum Schutz aufgespannt wurde und eine dünne Decke liegt unordentlich in seinem Inneren. Gerade als ich meine Mutter nach diesem Geschöpf fragen will, schießt ihr Blick zum Eingang des Cafés. Ich folge ihrem Blick schweigend, ehe etwas in meinem Kopf explodiert. Eine Blockade bildet sich in meinen Synapsen und unterdrückt mein Deckvermögen. Alles, was ich jetzt noch tun kann, ist, mir einzureden, dass all das hier ein Traum sein muss. Es fühlt sich zwar mehr als realistisch an, aber es ist so gut wie unmöglich, dass mein verstorbener Vater in der Tür eines italienischen Cafés steht und ein Kind auf seinem Arm hat. Er redet lächelnd auf das Neugeborene ein, als denke er, der kleine Junge würde ihn auch nur ein bisschen verstehen. Ich glaube, dass er so mit seinen Enkel umgegangen wäre. Er konnte schon immer gut mit Kindern. Als ich früher immer Freunde zu Besuch hatte, haben sie öfter mit ihm Zeit verbracht als mit mir. Ich war für alle außer Shawn wie unsichtbar. Nur er hat mich richtig wahrgenommen. Die anderen fanden meinen Vater viel interessanter, denke ich.

Und heute, wo er eigentlich auf den Friedhof liegen sollte, steht er an einem sonnigen Tag vor mir und drückt mir ein kleines Kind in die Hand. Er streichelt mir einfach beruhigend über den Kopf und zwickt dem kleinen Scheißer leicht spielerisch in die Wange. Dieser lacht mit seinen, ich schätze mal sechs Monaten, auf und kuschelt sich ein wenig mehr an meine Brust. Es fühlt sich irritierend vertraut an, fast so, als würde dieses Kind mich schon seit Ewigkeiten kennen. Als wäre ich die Person, an die sich dieser kleine Junge klammert. Als wäre ich seine Mutter.

,,Schatz, bist du sicher, dass wir dich morgen nicht ein bisschen unterstützen sollen? Wir würden unseren Enkel und dich sehr gerne öfter sehen.", sagt mein toter Dad, bevor ich etwas sagen kann. Seine Stimme ist genauso sanft, wie ich es immer in Erinnerung hatte. Ich muss mich erstmal neben meine Eltern auf einen der Stühle setzen, bevor ich reagieren kann. Während sich dieses Kind, das anscheinend meins ist, an meine Bluse klammert, atme ich einmal tief durch.

,,Dad, ich dachte du bist tot. Was machst du hier und seit wann habe ich bitteschön ein Kind?", frage ich vielleicht ein wenig zu gestresst, denn der kleine Affe auf meinem Schoß fängt wie aus dem Nichts an, lauthals loszuschreien. Als hätte ich es schon tausend Mal gemacht, stehe ich auf, laufe auf die Wickeltasche zu und hole einen Schnuller aus der Hintertasche. Ich stecke es dem Kleinen gleichgültig in den Mund, als ich bemerke, dass ich ihn wie ein Profi auf dem Arm trage. Er quängelt nicht mehr, sobald ich ihn fest an mich drücke und mich wieder an meine Eltern wende. Inzwischen habe ich schon wieder ganz vergessen, dass ich meinem Vater gerade den Tod vorgeworfen und behauptet habe, dass ich indirekt dieses Kind nicht kenne.

,,Cassie, geht es dir nicht gut? Dein Vater hat schon seit Jahren keinen Krebs mehr und du wirst dich jawohl noch an die Geburt von Isaac erinnern.", erklärt meine Mutter aufgebracht, als ich ihr einen fragenden Blick zuwerfe. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich je ein Kind gebärt habe und auch nicht daran, dass mein Dad den Krebs besiegt hat. Das sind doch Sachen, an die man sich ewig erinnern könnte, würden einem diese zustoßen. Aber mein Gehirn ist leer. Je mehr ich die Gedanken an meinen Dad erzwinge, desto mehr verschwinden alte Erinnerungen aus meinem Gedächtnis. Doch kein einziger Gedanke ruft hervor, dass ich im Krankenhaus stehe und entweder ein Kind bekomme, oder meinem Dad beim Überleben zusehe. Dort, in meinem Gehirn, herrscht einfach nur schwere Leere, die droht, die Überhand zu übernehmen. Dann ist dort schon wieder eine stechende Schwärze.

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Hi guys😉 Na, wie geht es euch so? Ich hoffe ihr schlaft besser als Cassie. Wenn nicht, solltet ihr euch mal ernsthafte Sorgen machen. 😂😯😉

To be continued...❤️

Because I had you [Shawn Mendes FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt