Kapitel 78: Wolf's Eyes

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Sam. Es war Sams Stimme.

Völlig erschrocken blickte ich über meine Schulter und sah ihn dort zwischen den Bücherregalen stehen, mit den Händen in den Hosentaschen und einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Er war aber nicht alleine. Neben ihm stand ein schlaksiger Junge, den ich bisher nie gesehen hatte. Er hatte lockiges braunes Haar und starrte mir ausdruckslos entgegen. Aber was mich erschrak, war, dass er Elli ein Messer an den Hals hielt. Elli. Der Junge hatte sie vor sich gezerrt und hielt ihr die Arme hinter dem Rücken fest. Mir blieb die Luft weg. Sie hatte noch in der Bibliothek lernen wollen. Ich starrte meiner Freundin ins Gesicht. Ihre Augen waren vor Panik und Verwirrung weit aufgerissen und sie schien völlig hilflos. Ein Kratzer zog sich über ihre Wange, als hätte sie sich erfolglos gegen den Griff des Jungen gewehrt.

„Nimm diese dämliche Kette ab, ich weiß, dass du es bist. Eine falsche Bewegung oder ein Ruf um Hilfe deinerseits, und sie stirbt", sagte Sam kalt und deutete lässig mit der Hand auf Elli.

Sie ist seine Freundin!, schrien mir meine Sinne zu, nachdem ich seine Worte verarbeitet hatte. Sam würde so etwas nicht tun!

Ich fand derweil meine Sprache wieder. „Sam!", keuchte ich und schüttelte den Kopf. Ich konnte nicht glauben, was sich vor meinen Augen abspielte. Mein Verstand weigerte sich, die Szene zu verarbeiten. Nicht Sam. „Sam, was soll das?"

„Ich finde, es ist ziemlich eindeutig, was das soll", sagte Sam seelenruhig. „Nimm die Kette ab, Jane, ich meine es ernst."

Ich zögerte; doch Sam schien genau zu wissen, dass ich hier war, also streifte ich mir widerwillig die Kette vom Hals und steckte sie in meine Jackentasche.

„Schon viel besser", sagte Sam und lächelte. Über meine entsetzte Miene schien er sich fabelhaft zu amüsieren.

„Hör auf mit dem Scheiß!", rief ich, ich konnte und wollte es nicht wahrhaben. Da stand Sam, Sam, und bedrohte Elli, das Mädchen das er liebte, mit einem Messer.

Der Junge, der Elli hielt, rührte sich nach wie vor nicht und gab keinen Laut von sich. Er wartete mit starrem Gesichtsausdruck, die Augen auf mich geheftet, auf weitere Befehle.

„Ach, liebe Jane", sagte Sam genüsslich und trat ein paar Schritte nach vorn, sodass er nur noch einen knappen Meter von mir entfernt stand. Mir wurde erst jetzt auf beängstigende Weise richtig klar, wie groß und durchtrainiert er war. Ich musste mich mühsam zurückhalten, nicht vor ihm zurückzuweichen. Mein Blick schoss wieder zu Elli, die immer noch im Griff des Jungen dastand. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Elli würde nicht einfach so klein beigeben. Sie musste unter Schock stehen, denn sie war eine begnadete Magierin und wüsste sich zu helfen.

Hatte er etwa ihre Magie blockieren lassen? Was war mit ihr passiert?

„Es war so unglaublich einfach, dich hierherzulocken", fuhr Sam fort, „ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass es ... schwieriger sein würde. Anscheinend hat meine Arbeit der letzten Wochen Früchte getragen - du hast mir weit genug vertraut, um dich in die Irre leiten zu lassen. So gutgläubig, so vorhersehbar. " Er beobachtete mich mit grün glitzernden Augen und ergötzte sich ganz offensichtlich an meiner Fassungslosigkeit. Das war nicht Sam. Es war einfach so untypisch für ihn. Er war liebenswürdig, hilfsbereit, und würde sich nie einen Spaß aus so etwas machen.

Langsam wurde mir klar, dass das hier kein schlechter Scherz war. Dass Sam mir all die Monate etwas vorgegaukelt hatte. Dass das hier – was auch immer es war – seinen wahren Charakter widerspiegelte.

„Also steckst du mit Blake unter einer Decke", stellte ich fest und war selbst überrascht, wie ruhig und fest meine Stimme klang. Innerlich war ich in tiefer Aufruhr. Das ging mir zu schnell, was passierte hier eigentlich? Was wollte Sam? „Gehörst du auch zur Schwarzen Hand?"

Magie - Wolf's EyesWhere stories live. Discover now