Kapitel 40: Der Weihnachtsball - Part 2

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Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss, als ich Vincent an der Mauer lehnen sah. Er war allein; es war keine Spur von seinem Vater zu sehen. Es war schon komisch, ihn in Anzug zu sehen, wo er doch immer darauf bedacht schien, nicht traditionell gekleidet zu sein. Allerdings musste man sagen, dass er sich alle Mühe gemacht hatte, auch den Anzug lässig aussehen zu lassen. Seine Jacke trug er achtlos über dem Arm, er trug weder Schlips noch Fliege, und sein schickes Hemd hatte er am Hals aufgeknöpft. Und er trug Turnschuhe.

„Na geh schon zu ihm rüber, Jane", drängte Rose mich zischend und schob mich in Richtung Vincent. Etwas unsicher tat ich ein paar Schritte in seine Richtung. Er musste mich bemerkt haben, denn er sah auf und sofort stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Es war ein ehrliches, aufrichtiges Lächeln, dass ihn plötzlich ganz anders wirken ließ und mich ansteckte. Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel wie von selbst nach oben zogen.

„Hey", sagte er.

„Hey", antwortete ich ihm mit einem verlegenen Lächeln. Er betrachtete mich ausführlich, und unter seinem Blick wurde mir ganz heiß.

„Du siehst hübsch aus", sagte er leise. Ich lief natürlich prompt rot an wie eine Tomate und stotterte ein: „Äh - d-danke", hervor, während ich versuchte, das ausgebrochene Gefühlschaos in meinem Kopf wieder unter Kontrolle zu kriegen. Vergebens. Na klasse, Jane. Seit wann lässt du dich so schnell aus dem Konzept bringen?!

„Also, wollen wir rein gehen?", fragte er und deutete zur großen Doppeltür des Hauptgebäudes. „Es wird langsam voll hier."

„Wartest du denn auf niemanden?", fragte ich ihn ein wenig überrascht. Brachte Vincent denn keine Verwandten mit?

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob mein Vater heute noch kommt. Er sagte, er hätte zu tun, aber es könnte sein, dass er später noch kommt, zusammen mit Mum. Ich hoffe nicht. Mit Mum wäre es cool, aber... es wäre viel besser ohne ihn. Dann kann er mich nicht vorzeigen wie ein dressiertes Hündchen."

Ich konnte mir ein kleines „Oh, gut", nicht verkneifen, aber er zeigte mit keiner Reaktion, dass er es gehört hatte. Wir folgten dem langsamen Menschenstrom ins Hauptgebäude hinein. Ein paar Meter vor uns konnte ich Ashs kurze braune Haare ausmachen, aber Rose war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie sich auf die Suche nach Finn gemacht. 

Als wir den vierten Stock erreichten, riss ich die Augen auf und mein Atem stockte für einen Moment, als ich den Anblick, der sich mir bot, in aufnahm. 

„Wahnsinn", murmelte Vincent neben mir. „Wie haben sie das nur gemacht?"

Der Festsaal sah einfach nur atemberaubend aus und ein angenehmer Schauder lief mir über den Rücken, als ich mit langsamen, ehrfürchtigen Schritten eintrat. Der riesige Raum hatte kaum noch Ähnlichkeit mit jenem Saal, in dem wir vor ein paar Monaten aufgenommen wurden. Die Stühle waren verschwunden, stattdessen war eine große Tanzfläche freigelegt und am Rand standen lange Tische mit Bänken und mehrere Buffettische. Aber das war nicht das eigentliche Wundersame - man hatte den Festsaal in einen einzigen riesigen Eispalast verwandelt, und ich fühlte mich stark an die Chroniken von Narnia und den Palast der Weißen Hexe zurückerinnert. Die Wände sahen aus, als bestünden sie aus den glatten Wänden von kalten Gletschern, von der Decke hingen kunstvolle Gebilde aus Eiszapfen. Hunderte silberne und blaue Lichter flogen umher und schufen eine einzigartige Atmosphäre. Der Saal fühlte sich fast schon düster und geheimnisvoll an, aber dennoch war der Anblick wunderschön. Als ich die nahe Wand berührte, spürte ich, dass sie wirklich kalt war, aber trotzdem herrschte eine angenehme Wärme im Saal und unter meinen Fingern schmolz das Eis auch nicht. Ich erkannte sofort, woran das lag.

„Runen", murmelte ich gedankenverloren, als ich die Zauber wahrnahm, die unter dem Eis lagen. Es war einfach nur genial. Wie lange hatte man nur dafür gebraucht, dieses Kunstwerk zu erstellen?

Magie - Wolf's EyesWhere stories live. Discover now