Kapitel 50: Die Ruhe nach dem Sturm - Part 1

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„Ich muss dir wohl kaum erzählen, Jane, dass du dich gestern bravourös geschlagen hast." Professor Morgan, Jessie und ich saßen am folgenden Nachmittag in ihrem weihnachtlich geschmückten Büro, mit dampfenden Teetassen in unseren Händen und verschlafenen Gesichtern. Draußen fegte ein heftiger Schneesturm kleine Flocken gegen die Fenster, sodass man nur noch mit Mühe nach draußen spähen konnte. „Du hast nicht nur gegenüber Reynolds wahre Charakterstärke bewiesen, sondern dich auch noch erfolgreich gegen die Wahrheitsmagie eines Mannes gewehrt, der schon die erfahrensten Magier die Wahrheit hat sprechen lassen, mich eingeschlossen."

Normalerweise hätte mich ein solches Lob von Felicie Morgan in tiefe Verlegenheit gestürzt, aber jetzt nahm ich es einfach nur hin. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen oder fühlen sollte.  Ich hatte nur mein Bestes getan. Eine bleierne, leere Müdigkeit hatte sich über mich gelegt und ließ mich noch nicht los. Und meine Kräfte waren noch lange nicht vollständig zurückgekehrt. Das kräftige Frühstück heute morgen hatte aber schon Wunder getan.

„Wie geht es Professor Callahan?", fragte ich sie.

Sie lächelte. „Er hat sich beruhigt, und hat heute morgen einen starken Heiler aufgesucht, der sich die Wunde noch einmal angesehen hat. Emmeline hat sie gestern in größter Eile geheilt und eher Schadensbegrenzung betrieben. Der Schnitt war nicht ganz ungefährlich."

Ich schwieg, erleichtert, dass es ihm gut ging. Er hatte sich für mich in allergrößte Gefahr begeben, das war mir längst klar. Er hatte sogar akzeptiert, bei dem Versuch, mich zu schützen, zu sterben. Seit wann hatte ich solche Treue von einem Mann verdient, der um einiges älter und erfahrener war als ich? Er musste mich wirklich gern haben. Ich war ihm unglaublich dankbar und hätte es ihm gerne gesagt, aber ich hatte ihn heute nirgendwo gesehen. Und Felicie. Sie selbst hatte alles riskiert, als sie gekommen war, um uns zu helfen...

„Außerdem ist er nach Manchester zurückgekehrt und versucht zusammen mit Professor Nightshade in genau diesem Moment, Reynolds Spuren zu verfolgen."

Ich runzelte die Stirn. Mir gefiel es nicht, dass James bereits wieder unterwegs war und sich in Gefahr brachte, geschwächt und übermüdet. Allerdings war er auch James Callahan. Jeder Versuch, ihn umzustimmen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war reine Zeitverschwendung. 

„Wie sollen sie seine Spuren verfolgen, wenn Reynolds geflogen ist und wahrscheinlich sofort gesprungen, sobald er die Grenzen des Bannes erreichte?", fragte ich sie.

„Du hast Recht, besonders aussichtsreich ist diese Mission nicht, aber wir brauchen jeden Anhaltspunkt, den wir kriegen können. Nathan - ich meine, Professor Nightshade - hat ein Talent dafür, magische Spuren zu erkennen. Du musst wissen, dass jeder kleine Zauber, jede gewirkte Magie, Spuren hinterlässt. Es sind keine bleibenden Spuren, sie sind nach kurzer Zeit wieder verschwunden. Nathan hat vermutlich die beste Nase von allen Magiern dafür, vielleicht liefert er ein paar Hinweise, wohin Reynolds verschwunden ist. Wir versuchen ihre Hochburg ja schon seit Ewigkeiten aufzufinden. Unsere bisherigen Informationen deuten auf die französischen Alpen. Tourmont ist mit mächtigen Zaubern geschützt, mächtiger vielleicht noch als Alenta, aber es gibt genug Hinweise auf ihren Standort."

Schweigen kehrte ein, bevor ich mir einen innerlichen Ruck gab.

„Danke, dass Sie gestern gekommen sind", murmelte ich. „Ich weiß nicht, wie ich Ihre Hilfe verdient habe."

„Du musst es dir nicht verdienen und nicht zurückzahlen, es wäre nur gut, wenn du in Zukunft sehr vorsichtig bleibst. Wir können nicht ausschließen, dass die Schwarze Hand auch nach Alenta hineingelangen kann, trotz aller Kontrollmaßnahmen an den Portalen. Du solltest die Academy nicht mehr allein verlassen. Auch nicht durch gewisse... Geheimgänge." Ich sah auf und erkannte, dass sie lächelte. Also wusste sie von den Gängen.

Magie - Wolf's EyesWhere stories live. Discover now