Kapitel 71: Vater und Sohn

3.1K 330 93
                                    

Ich schwieg, während ich dem mir so verhassten Mann hinterherstapfte. Er führte die Gruppe durch den Wald und schien genau zu wissen, wohin es gehen sollte – im Gegensatz zur Schulleiterin selbst und zu mir. Ich fragte nicht weiter nach, wohlwissend, dass er mir eh keine Antwort auf eine dieser Fragen geben würde.

Mir entging aber nicht, dass wir uns in gefährliche Nähe zu eben jenem Eingang der Gänge bewegten, den Adam mir einst gezeigt hatte und bei dem ich die Schlüsselrune zu den Gängen herausgefunden hatte. Was, wenn Spencer wegen den Gängen hier war? Hatte er irgendwie davon erfahren?

Doch meine Sorgen schienen unbegründet, denn er führte uns an dem Felsen, der den Eingang markierte, vorbei, ohne der Stelle irgendwelche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Nun, gut dass er kein Dunkelmagier war. Mir schrien die Runen regelrecht entgegen, dass hier ein verborgener Gang lag.

Ein anderes Gefühl überkam mich stattdessen, als wir uns von den Runen entfernten. Die Luft im Wald kühlte sich von einem auf den anderen Moment plötzlich merklich ab und die Sonnenstrahlen wirkten nicht mehr so hell und warm. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, und ich fröstelte, obwohl mir noch vor ein paar Sekunden wohlig warm gewesen war. Etwas ... lag in der Luft. Etwas... Mächtiges. Was auch immer es war, es jagte mir Schauder über den Rücken. Als ich meine Sinne danach ausstreckte, schreckte ich kurz zurück. Es war... Magie, aber keine Magie, die ich kannte. Obwohl sie schwach und verblasst war, konnte man sie doch deutlich wahrnehmen. Mächtige, finstere Magie. Sie fühlte sich unnatürlich und falsch an – es war das erste Mal, dass ich Magie nicht als etwas ... Gutes empfand.

Ein Blick in unsere kleine Runde zeigte mir, dass ich nicht die Einzige war, die das spürte. Die Krieger an Spencers Seite schienen ernst und konzentriert, die Brauen leicht zusammengezogen. Die alte Professor Ashes schien ein wenig blass und öffnete den Mund. „Nie... nie auch nur in 200 Jahren als Lehrerin habe ich so etwas erleben müssen", flüsterte sie leise vor sich hin und schien regelrecht empört.

„Was ist das?", fragte Vincent und schien ausnahmsweise nicht kalt und abweisend in der Nähe seines Vaters. Er wirkte ernsthaft verwundert, als wüsste er ebensowenig wie ich, was das bedeuten sollte.

„Das, mein Sohn", knurrte Simon Spencer, „ist Schwarze Magie. Seht her."

Und er trat auf eine kleine Lichtung. Alles schien auf den ersten Blick normal, aber ich wusste, dass etwas nicht stimmte. Dort, wo Gras hätte wachsen sollen, lag ein einziger, viel zu gleichmäßiger Kreis verbrannter Erde und Pflanzen zu unseren Füßen. Er hatte einen Durchmesser von vielleicht sieben Metern und jedes Leben in seinem Inneren war ausgelöscht.

„Jemand hat versucht, seine Spuren zu verwischen", sagte Spencer und bückte sich. Es stimmte – jemand hatte in offenbar größter Eile frische Erde auf die Ränder des Kreises gestreut. Er wischte sie beiseite und offenbarte... Runen. Teilweise waren sie nicht mehr lesbar, aber einige von ihnen waren noch intakt. Das Merkwürdige war, dass ich sie nicht lesen konnte.

Es war eine ganz andere Sprache der Magie als jene, die ich zu lesen gelernt hatte.

Irgendetwas an den Formen dieser Runen wirkte ebenso unnatürlich und grotesk wie die gesamte Szenerie, die vor uns lag.

Ich kniete mich hin und berührte geistesabwesend die verkohlte Erde in der Mitte des Kreises. Sie war immer noch heiß, als hätte das Innere des Kreises stundenlang gebrannt.

Professor Ashes stieß die Luft aus. „Wie konnte das unentdeckt bleiben?", fragte sie mit schwacher Stimme.

„Ihr Kollege, Professor Adams, hat mich alarmiert, dass er schwarze Magie im Wald spürte. Als wir hierherkamen, lag noch ein mächtiger Bann auf der Lichtung. Eine äußerst geschickte optische Täuschung. Wir konnten nichts Ungewöhnliches erkennen, bis der Bann – der aus Runen bestand" – er warf mir einen kurzen, bohrenden Blick zu, und ich wusste ganz genau, worauf er hinauswollte – „gebrochen war. Dann offenbarte sich uns dieses Bild hier. Es ist ein herkömmlicher, aber äußerst starker Beschwörungskreis für Dämonen, wir wissen leider nicht, ob das Ritual geglückt ist. Aber damit nicht genug. Jemand hat ganz offensichtlich versucht, an das Schwert der Flammen heranzukommen. Am Rand des Schutzkreises, den Mr. Campbell" – Spencers Lippen kräuselten sich voller Abneigung, als er Henrys Namen sagte – „erschaffen hat." 

Magie - Wolf's EyesWhere stories live. Discover now