Code Janus - Teil 5

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„Sherlock!", sagte ich. Und meine Stimme klang jetzt ganz nach mir selbst.
Ruhig und eiskalt.
Ich war ich, John Hamish Moriarty.

„Sherlock, hör zu. Ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich kenne dich gut genug. Und vor allem, mein Lieber weiß ich, dass es Moriarty wirklich gibt."
Einen Augenblick schwieg er. Dann sprach er wieder, leise und abgehackt:
„Ich weiß, dass du an mich glaubst John, aber ... bitte ... es fällt mir alles schwer genug. Ich bin ein Betrüger und ich werde ... das beenden ..."
„Sherlock!"

Er zog erschrocken den Atem ein. Jetzt schien er zu spüren, dass meine Stimme anders klang.
Dass John, sein John, anders klang.
„Hör auf, mir so etwas zu erzählen!", sagte ich. „Ich weiß, dass du jetzt lügst. Ich weiß, dass du das Genie bist, das alle in dir sehen. Und vor allem weiß ich, dass es Moriarty wirklich gibt."
„John, nein, ich ... ich werde ein Ende machen mit all dem. Das hier ... das hier ist so etwas wie mein Abschiedsbrief. .. So etwas macht man doch, nicht wahr? Einen Abschiedsbrief hinterlassen?"
Ich lachte leise.
„Ja, das tut man wohl so, bevor man vom Dach springt."

Ich hörte nur sein schweres Atmen.
„Sherlock, ich weiß dass du springen willst."
Meine kalte, emotionslose Stimme schien ihn zu verwirren.
„Und ich weiß auch, warum. Du musst, weil ansonsten deine besten Freunde erschossen werden."
Er keuchte erschrocken auf.
Dann antwortete er leise:
„Ja, John. Du. Lestrade. Mrs. Hudson..."

Wieder lachte ich leise.
„Ich weiß auch, dass der, den du als Moriarty kennst, oben bei dir auf dem Dach liegt, tot ..."
Wieder sog er erschrocken die Luft ein.
„John, was ist mir dir?", fragte er. „Haben sie dich ... hast du wieder eine Sprengstoffweste unter der Jacke ... haben dich Moriarty's Schergen unter Druck gesetzt, so mit mir zu reden? John!"
„So wie damals im Schwimmbad?", fragte ich.
„Ja!", sagte er gehetzt, „ja, so wie damals im Schwimmbad!"
„Nein", sagte ich. „Keine Sorge. Mir geht es gut. Mir geht es sogar bestens."
Wieder hörte ich nur seinen Atem.

In all der Zeit, in der ich mit Sherlock zusammengelebt hatte, waren wir beide oft genug in Gefahr gewesen. Wir hatten uns gemeinsam todesmutig in die Verfolgung flüchtiger Verbrecher gestürzt (welche Ironie!) und waren manches Mal um Haaresbreite einer schweren Verletzung oder dem Tode entronnen.
Sherlock war leichtsinnig wie ein junges Fohlen. Er riskierte sein Leben ohne zu zögern und oft ohne über die Möglichkeit es zu verlieren überhaupt nachzudenken.

Aber dennoch.
Er hatte nicht das, was man Todessehnsucht nennt.
Im Gegenteil. Auch wenn er das bestritten hätte („das ist alles so langweilig!") liebte er das Leben.
Und daher war diese Situation, den eigenen Tod vor Augen, mit Sicherheit nicht leicht für ihn.
Und genau das spürte ich, hörte ich aus seinen Worten und seinem keuchenden Atmen heraus, das durch das Telefon an mein Ohr drang.
Angst. Trauer. Entsetzen. Verlust. Hoffnungslosigkeit.

Mut konnte man ihm nicht absprechen, denn er schien fest entschlossen zu tun, was er für notwendig hielt. Aber ... es lag keine Würde, keine Erhabenheit darin.
Sehr gut.
Ich wollte ihn zerbrechen sehen und es schien, als würde mir dieser Wunsch erfüllt.
Ich wollte ihn in winzige Einzelteile zerspringen sehen (und nein, damit meine ich nicht Blut, Knochen und Hirnmasse, zerschellt auf dem Fußsteig vor dem St. Barts.)
Ich wollte seinen Geist, seine Psyche dreckig, klein und kaputt sehen.
Dann würde es nichts mehr geben, was mein Herz ... des Liebens für würdig fand. Es würde wieder einzig und allein mir gehören und ich könnte wieder zu dem zurückkehren, was mein Leben vor Sherlock ausgemacht hatte.

Ich setzte ein Grinsen auf.
„Ich wiederhole mich Sherlock: Ich weiß, dass es Moriarty wirklich gibt."
Er schwieg.
„Das Schwimmbad, Sherlock. Du erinnerst dich sicher gut daran, nicht wahr?"
„Ja... "
Er klang leise. Nicht mehr als ein Hauch.
„Weißt du noch wie du dich damals gefühlt hast? Du hast deinen John Watson nicht im Stich gelassen, auch als du die Möglichkeit hattest, nicht wahr?"
„Nein, John ..."
„Und du würdest ihn auch jetzt niemals im Stich lassen, nicht war?"
„Nein, John ... das würde ich nicht ... ich muss springen."

Mein Grinsen wurde breiter.
„Erinnerst du dich an den Augenblick, Sherlock, als du dort im Schwimmbad standest und Moriarty erwartet hast?"
„Ja ..."
„Die Tür ging auf, mit einem Quietschen, nicht wahr?"
„Mmhh ..."
„Und dann trat ich durch die Tür."
„Ja, John ... Oh Gott ..."
„Du hattest ein paar Augenblicke lang, ein paar endlos erscheinende Sekunden lang gedacht ich wäre Moriarty, nicht wahr?"
„Nein, John... ich..."
„Lüge mich nicht an Sherlock. Ich weiß es."
Er schluckte.
„Ja, ich ... es tut mir leid ..."
„Oh, das muss es nicht, Sherlock. Und weißt du auch, warum nicht?"
„Nein ..."
„Nun Sherlock, du hast geglaubt, dass ich Moriarty wäre. Und das ist ziemlich witzig, Sherlock, besonders in Anbetracht der aktuellen Sachlage. Denn mein Lieber ..."
Ich grinste noch breiter.
„... du hattest recht!"

Das Janus ProjektWhere stories live. Discover now