Richard Brook - Teil 1

57 6 0
                                    


Tja, so war das nun. Ich lebte also bei Sherlock, mit Sherlock.

Ich löste Fälle mit ihm und ich rannte mit ihm durch London. Durch enge Gassen und durch dunkle Nächte. Ich sah das Schlachtfeld, ich sah den Kampf und den Krieg der Guten gegen die Bösen.
Und es fühlte sich verdammt seltsam an, dass ich an Sherlocks Seite auf der der Guten Kämpfte.

Ich, Jim Moriarty.
Ich, John Watson.

Sherlock vertraute mir. Die Tatsache, dass ich den Taxifahrer erschossen hatte, als ich ihn noch keine zwei Tage kannte. Die Tatsache, dass ich mit ihm, dem selbsternannten Soziopathen zusammenzuleben bereit war. Die Tatsache, dass ich ihn ganz offensichtlich bewunderte und Anderson genauso verabscheute wie er (und bei Gott, das tat ich wirklich! Das gehörte zu den Dingen, die ich nicht spielen musste.) All diese Dinge schienen dazu beizutragen, dass er mir vertraute.
Interessanterweise vertraute auch ich ihm. Und im Gegensatz zu seinem Vertrauen in mich war dieses Vertrauen gerechtfertigt.

Er behandelte mich nicht unbedingt, wie ein „normaler" Mitbewohner einen behandeln würde. Er war Sherlock Holmes. Er nahm sich das Recht heraus, mich herumzuscheuchen, mich die Hausarbeit weitestgehend alleine erledigen zu lassen und von den Einkäufen ganz zu schweigen.
Mehrfach wurde ich Opfer von seltsamen Experimenten und von merkwürdigen Substanzen, die er in meinen Tee rührte.
Dennoch vertraute ich ihm insofern, als dass ich mein Leben in seine Hand gelegt hätte und mit hundertprozentiger Sicherheit gewusst hätte, dass es dort sicher sei.
Es fühlte sich irgendwie seltsam an.

Sherlock bei seinen Deduktionen zuzuhören war eindrucksvoll. Er war fast so gut wie ich und er verstand es, das Ganze mit einer gehörigen Portion Dramatik zu versehen.
Sein wehender Mantel, sein hochgestellter Mantelkragen, der die Wangenknochen betonte und sein sprühender Blick ... ja, ich gebe es zu, dass er mir gefiel und dass es mir nicht so ganz leicht fiel, wirklich die Finger von ihm zu lassen. Ich hätte ihn verdammt gerne gefesselt, geschlagen und dann vernascht ...

Nun ja.
Ich musste mir jemand anderes suchen.
Also beschloss ich, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.
Es ging dabei nicht um Gefühle. Gefühle für andere Menschen empfinde ich nicht. Weder für jemand besonderen wie Sherlock, noch für irgendeinen Ameisenmenschen. Als Sherlock mich während des Falles in der Bank, bei dem eine Schmugglerbande, die ebenfalls in meinem Auftrag tätig war, seltsame Zeichen über das Porträt eines wichtigen ehemaligen Bankvorstandes geschmiert hatte, seinen „Freund" nannte, fand ich das ausgesprochen komisch.
Natürlich wehrte ich als John Watson das ab und nannte mich Kollege.
Sherlock sah bedauernd drein, akzeptierte es aber.

Nein, es ging um Sex.
Ich brauchte Sex.
Und da gab es jemanden, den ich mir dazu wunderbar vorstellen konnte. Ich dachte an Richard Brook, den jungen Schauspieler der „Moriarty" in dem Theaterstück geben sollte, das ich für Sherlock spielen würde.

Ich hatte viel mit Richard vor, wobei er zuerst eigentlich nur ein oder zwei eher kleine Auftritte haben sollte.
Aber je länger ich bei Sherlock war desto mehr sah ich, wie schnell er sich langweilte und wie sehr ihn die Fälle, die ich ihm immer wieder servierte, glücklich machten. Je komplizierter, desto besser. Für diesen Zweck hatte ich inzwischen schon einige meiner Handlanger über die Klinge springen lassen, aber was solls. Immerhin war mein Plan ja, langfristig meine Organisation aufzulösen, also kam es auf ein paar Kollateralschäden nicht an. Sie waren einfach nur eher dran, als der Rest.
Jedenfalls hatte ich inzwischen beschlossen, den Auftritt „Moriarty" wesentlich größer zu gestalten um Sherlock eine echte Freude zu machen, bevor ich ihn in den Abgrund stoßen würde.

Ich hatte Einiges für Richard geplant. Allerdings kamen bei mir Zweifel auf, ob er dazu bereit sein würde.
Ich schätzte ihn als selbstsüchtig und mit recht wenigen Skrupeln behaftet ein. Es würde ihm nichts ausmachen, anderen in den Hintern zu treten. Wenn es allerdings darum gehen würde, sein eigenes zugegebenermaßen äußerst attraktives Hinterteil zu riskieren, sähe sie Sache schon anders aus. Und genau darauf würde es hinauslaufen.
Ich würde ihn gut bezahlen, ohne Frage aber ich bezweifelte, ob das genügen würde.
Und um ihn mit der Drohung gegen jemanden zu erpressen, der ihm nahe stand, so wie ich es bei Stamford gemacht hatte, war er zu sehr um sein eigenes Wohl bedacht und hatte zu wenig innige Kontakte zu anderen Menschen.
Eigentlich war er damit ganz nach meinem Geschmack.

Es gab eine Möglichkeit, die ich als wirksam erachtete.
Menschen zu manipulieren war eine meiner leichtesten Übungen.
Einen jungen, selbstverliebten und in seiner Sexualität nicht strikt festgelegten Mann sexuell von mir abhängig zu machen sollte mir auch nicht sonderlich schwer fallen. Ihm die große Liebe vorzuheucheln würde mir geradezu Spaß machen.
Damit würde ich ihn dazu bringen, alles für mich zu tun.
Ich würde ihm alles versprechen was sein Herz begehrte, natürlich ohne die Absicht, auch nur einen Teil davon zu halten.
Ich würde ihm Orgasmen bescheren, die ihn schier um den Verstand bringen würden und ihn danach süchtig machen.
Und dabei natürlich auch meinen Spaß haben.

Zuerst aber musste ich gemeinsam mit Sherlock den Fall in der Bank lösen. Es gab dabei ein paar ungemütliche Momente als Sherlock es fertig brachte, mich wegen illegaler Graffiti verhaften zu lassen. Ich musste vor Gericht erscheinen und dabei einige Fäden ziehen, um zu verhindern, dass irgendwem auffiel, dass es John Watson gar nicht gab.
Letztendlich für mich kein allzu schwieriges Unterfangen.

Es gab einige ausgesprochen lustige Momente als Sherlock, immer unter dem Deckmantel des Falles, meine Dates mit Sarah torpedierte. Sarah war die äußerst attraktive Ärztin, in deren Praxis ich seit kurzem als Vertretungsarzt arbeitete.
Es machte mich regelrecht krank, Menschen beim gesund werden zu helfen. Husten, Schnupfen und Rückenschmerzen zu kurieren.
So ein altruistischer Mist lag mir nicht besonders. Dafür hab ich schließlich nicht Medizin studiert.
Aber es war einfach eine Notwendigkeit für meine Tarnung als pensionierter Armeearzt, der von der Pension schwerlich leben konnte und daher auf Zuverdienst angewiesen war.

Es gab einige ziemlich atemberaubende Momente, als Sarah und ich gefesselt auf einem Stuhl saßen. Sarah kurz davor, mit der seltsamen, chinesischen Schusskonstruktion ins Jenseits befördert zu werden.
Die Schmuggler und ihre Anführerin General Chan, die Sarah und mich in der Gewalt hatten, hatten keine Ahnung, wer ich war. Ich war aufs Äußerste gespannt, wer uns retten würde: Sherlock oder der Scharfschütze, den ich zur Sicherheit im Hintergrund postiert hatte.
Es war Sherlock, der das Rennen machte.

Im Nachhinein bedauerte ich fast ein bisschen, dass Sarah überlebte, denn sie begann mir ganz schön auf die Nerven zu gehen.
Na ja.
Sarah hatte also überlebt.
„John Watson" überlebte auch.
General Chan nicht. Sie hatte sich eindeutig zu viele Patzer in dieser Geschichte geleistet.
Mein Scharfschütze machte seine Job.

Und ich, ich widmete mich der Sache Richard Brook.

Das Janus ProjektWhere stories live. Discover now