Im Auge des Janus - Teil 3

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Sein Blick war auf den bis eben noch unter meiner Jacke verborgenen Sprengstoff gefallen.
Und in seinen Augen wechselte die eiskalte, messerscharfe Klarheit in eine Erleichterung, die den brennenden Blick aus seinen Augen mit einer Art Nebel überzog.
Der Moment der Wahrheit war vorüber.

Und ich gebe zu, dass es mich geradezu anwiderte, wie man ihn regelrecht aufatmen sah.
Sein Herz übernahm die Herrschaft über den Verstand.
Er wollte glauben, dass John, sein John Watson, nicht der Schurke im Spiel sein konnte.
Und daher glaubte er die Lüge, die Theaterposse, den Bühnenzauber, den ich ihm vor die Füße warf.
Pah!
Und ich hatte tatsächlich mal geglaubt, sein Verstand sei dem meinen ebenbürtig.
Mein Verstand war so scharf. Unter anderem, weil ich kein Herz besaß, dessen überflüssige Gefühlsduselei ihn trübte.
Sein Verstand hätte ebenso scharf sein können, wenn es ihm gelungen wäre, sein Herz auszublenden.
Aber das gelang ihm nicht. Und das wirklich schlimme daran war, dass er das nicht einmal wollte.

„Was meinen Sie soll ich ihn als Nächstes sagen lassen?", sagte ich und spielte alle Zeichen der Anspannung, die ihm zeigen sollten, dass ich so nicht freiwillig sprach. Natürlich hatte ich auch In-Ear-Kopfhörer mit Funkverbindung in den Ohren, so dass es für ihn scheinen musste, als gäbe „Moriarty" mir meine Worte vor.
„Hören Sie auf, verdammt!", Sherlock war totenblass.
Sein Blick war starr auf den roten Laserpunkt gerichtet, der auf meiner Brust tanzte.
„Tja, das Schwimmbad", sagte ich und legte ein Zittern in meine Stimme.
„Hier hab ich Carl Powers beseitigt. Und hier kann ich auch John Watson beseitigen ..."
„Verdammt noch mal, wer sind Sie?!"
So langsam verlor Sherlock die Geduld.

Wieder öffnete sich geräuschvoll eine Tür, diesmal an der anderen Ecke des Pools und Richard trat heraus.
„Na hören Sie mal. Ich habe Ihnen meine Nummer gegeben und Sie haben mich nicht einmal angerufen! Ich bin enttäuscht."
Richard kam langsam in unsere Richtung geschlendert. Sherlock schaute verständnislos. Wie es aussah, konnte er den Kleinen gerade nicht zuordnen ...
„Ich bin Jim Moriarty", sagte Richard und winkte ihm zu. „Hallo! Sie erinnern sich nicht? Jim ...? St. Barts? Aus der IT?"
Der Kleine schlenderte mit lässig in den Hosentaschen versenkten Händen auf uns zu.

Ich senkte den Blick und kämpfte damit, meine Gesichtszüge zu beherrschen.
In mir rangen die Zufriedenheit, dass mein Plan bis dahin so aufgegangen war und die Enttäuschung, dass es so einfach war.
Ich liebte es zu spielen, Zug um Zug. Das feine abwägen, welcher Bauer als nächster geopfert werden sollte, welcher Läufer, welcher Turm gesetzt wird und mit welchem Zug und welcher Figur man den gegnerischen König mit dem Schach bedroht.
Doch dieses Spiel hier ... es erinnerte mich im Augenblick nicht mehr an Schach. Der gegnerische König ... er war in meinen Augen kein König mehr.
Auch wenn er dem restlichen menschlichen Gewürm immer noch weit überlegen war, stand er einfach nicht mit mir auf einer Ebene.
Unser Spiel glich mehr einer Pokerrunde, bei der er nicht wusste, dass ich alle Asse im Ärmel hatte.
Nun, auch Pokern ist kurzweilig und so blieb mein vordergründig wichtigster Wunsch gewahrt:
Ich langweilte mich nicht.

Richard war eine Augenweide.
Er war gut. Richtig gut.
Er machte seine Sache großartig, und würde dafür auch eine ausgiebige Belohnung von mir bekommen, wenn wir uns das nächste Mal treffen würden.
Selbst als Sherlock eine Waffe zog – meine Waffe, na ja, ich hatte schon fast damit gerechnet – blieb er kühlen Blutes und spielte, nein, WAR Moriarty.
Man musste es ihm einfach abnehmen, so natürlich und selbstverständlich bewegte er sich und sprach er.

Worte flogen zwischen Richard und Sherlock hin und her.
Richard tat enttäuscht, dass Sherlock sich nicht an ihn erinnerte und doch zufrieden, als wäre genau das sein Ziel gewesen.
Richard erklärte ein bisschen, was Moriarty so tat.
Und dann sagte Sherlock zum ersten Mal den Begriff, den ich mir später zu eigen machte: „Consulting Criminal." Er hatte es auf den Punkt getroffen, genau das war ich ja letztendlich.

„Und niemand", sagte Richard, „hat je die Verbindung zu mir gefunden. Nur ... Duuhuuu!"
Er grinste breit.
„Zumindest, Sherlock, bist du am nächsten dran gekommen. Jedenfalls nahe genug, um mir lästig zu sein!"
Er schlenderte weiter auf uns zu. Sherlock hielt immer noch die Waffe auf ihn gerichtet.
„Du hast gesehen, was ich vermag, aber jetzt reicht es! Mach Daddy nicht böse, hörst du?!"
Noch ein Schritt.
„Ich habe dir diese Rätsel vorgelegt, habe sogar ein Millionengeschäft für dich draufgehen lassen.
Also sei so gut und lass einfach deine Finger aus meinen Angelegenheiten, ja?"
Wie abgesprochen schlenderte er an mir vorbei.
„Ich muss allerdings sagen, ich habe das Spiel genossen. Jim aus der IT zu spielen ... den jungen Schwulen ..."
„Menschen sind dafür gestorben", sagte Sherlock leise.
Ich verdrehte die Augen. Sherlock war gerade ganz auf Richard fixiert.
„Irgendwann krepiert jeder!", schrie der Kleine mit einem irren Blick. Klasse, echt Klasse.
„Ich werde Sie aufhalten, Moriarty", sagte Sherlock.
Richard grinste nur und schüttelte den Kopf.

Jetzt standen die Beiden sich genau gegenüber.
Sherlock hielt dem Kleinen den USB Stick hin. Ja, sehr schön, so würde dieses wertvolle Stück nun endlich in meine Hände geraten.
Aber ein bisschen Scharade musste noch sein. Richard nahm den Stick entgegen und schaute ihn an.
Mit einem einfachen Taschenspielertrick, den ich ihm beigebracht hatte, tauschte er ihn gegen einen anderen Stick aus, auf dem sich nichts als ein Virenprogramm befand, dass den Rechner, an dem man ihn zu lesen versuchen würde, augenblicklich infizieren, lahmlegen und zerstören würde.
Mit theatralischer Geste warf Richard diesen Stick in den Pool.
„Wie langweilig", sagte er mit diesem eigentümlichen Singsang, „da kann ich jederzeit wieder drankommen, dafür brauche ich Sherlock Holmes nicht."
Sherlock riss erschrocken die Augen auf.
Und in diesem Augenblick hatte ich, der brave, tapfere Soldat John Watson, meinen dramatischen Auftritt.

Das Janus ProjektOnde histórias criam vida. Descubra agora