Code Janus - Teil 1

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Mir wurde in diesem Augenblick klar, dass ich Sherlock nicht mehr wiedersehen würde.
Natürlich würde ich ihn noch sehen ... aber nur noch aus der Ferne und in einer ziemlich, nun, unentspannten Situation.
Aber wiedersehen im Sinne von mit ihm zusammen sein ... nein, das wäre nicht der Fall.
Ich muss zugeben, dass es mir ein wenig weh tat. Ein seltsames Ziehen im Herzen machte sich breit ... und doch. Es war nicht genug, um mich dazu zu bewegen, die ganze Sache abzublasen. Eigentlich eher im Gegenteil. Umso schneller ich das alles hinter mich bringen würde, desto eher wäre es vorbei. Und damit meinte ich vor allem dieses dumme, lästige verliebt sein. Es war einfach besser für mich und meine weiteren Pläne.

Code Janus lief also.
Die Vorbereitungen für das Endspiel.
Mary würde dafür sorgen, dass einer meiner besten Schützen Lestrade aufs Korn nahm. Das Gebäude von Scotland Yard, in dem er seinen Schreibtisch hatte war so gelegen, dass es für einen Fachmann ein Leichtes gewesen wäre, ihn durch das Fenster seines Büros zu erledigen. Er war also im Visier.
Mrs. Hudson wurde ebenfalls von einem meiner Männer anvisiert. Ich hatte dafür sorgen lassen, dass in 221B Baker Street die Beleuchtung der unteren Etage ausfiel und der freundliche und kompetente Handwerker, der ins Haus kam um das Ganze wieder in Ordnung zu bringen, hatte in seinem Werkzeugkasten neben Hammer und Schraubenzieher auch noch ein paar andere Utensilien, die die Gute mit einem gezielten Schuss schnell und schmerzlos ins Jenseits befördern würde, sollte es sich als zweckmäßig erweisen.

Code Janus.
Für Mary, die dritte im Bunde, bedeutete das, dass sie sich mit ihrem Präzisionsgewehr dort einfand, wohin ich Sherlock bestellt hatte. In ihrem Falle war das ein leerstehendes Gebäude gegenüber dem Haupttrakt des Krankenhauses St. Barts. Sie war meine Rückversicherung, falls Sherlock doch nicht nach meine Regeln spielen würde, wenngleich das eher unwahrscheinlich war. Aber auch für den Fall, das Richard Zicken machen würde. Und ich muss gestehen, Richard war der schwächste Punkt in meinem Plan. Ich traute ihm nicht. Jedenfalls nicht so sehr, dass ich nicht Mary genaue Anweisungen gab, was sie zu tun hätte, wenn er aus der Reihe tanzen würde.

Code Janus.
Für Richard selber hieß das, sich nun also auf dem Dach des Barts einzufinden. Geschniegelt und gebügelt, Westwoodanzug, auf Hochglanz polierte edle Schuhe, die Haare gerichtet und die Nägel poliert. Wenn schon, denn schon. Moriarty sollte immerhin heute den großen Showdown haben und dafür würde kein Stäubchen auf ihm sitzen.
Er setzte die Nachricht an Sherlock ab:
„Komm zum Dach des Barts. Lass uns spielen."
Er hatte sein Handy dabei, das laut „Stayin' alive" spielen würde, wenn Sherlock die Bühne betrat und würde diesen auf der Umfassungsmauer der Dachplattform sitzend erwarten.
Er hatte ebenfalls genaue Anweisungen, was zu tun war und ich konnte nur hoffen, dass er sich daran halten würde.

Code Janus.
Für Mycroft Holmes bedeutete das erst einmal – nichts.
Der Mann saß in seinem bequemen Sesseln im seinem Diogenes Club. Dort sorgte er sich um die Reputation seines Bruders sowie seiner alten und bedeutsamen Familie, aber von den Dingen, die nun in diesem Augenblick geschahen, ahnte er nichts.
Ich muss zugeben, der Regierungsbeamte hatte mich enttäuscht, denn von ihm hätte ich mehr Gegenwind erwartet. Ich hätte gerne meine Überlegenheit auch im Wettkampf mit ihm gezeigt. Aber nun gut, er kümmerte sich vermutlich lieber um weltpolitische Dinge und überließ die kleine schmutzige Welt des Verbrechens seinem Bruder und der Polizei. Mir sollte das nur recht sein.

Code Janus.
Für mich selbst, der wohl wichtigsten Person im Spiel, bedeutete das, mich wieder in den schon einmal benutzten Lieferwagen zu begeben.
Diesmal jedoch hatten wir die öffentlichen Überwachungskameras angezapft. Ja, das war ein kleines bisschen gefährlich und wenn man uns dabei erwischte hätten wir vermutlich ein ganzes Paket Probleme gehabt. Aber Gefahr ist es doch, was diese ganze Sache so interessant gemacht hat. Gefahr ist für mich, was für all die dummen kleinen Ameisenmenschen eine Flasche Wein, wenn man mal außer Acht lässt, dass sich die wenigsten von Ihnen einen wirklich guten leisten könnten: ich genieße sie in kleinen Schlucken oder großen Mengen. Sie berauscht mich. Nur mit dem Unterschied, dass die Kopfschmerzen am Ende immer die anderen haben.

Nun, meine Leute waren gut. Nein, sehr gut und ich konnte mich darauf verlassen, dass niemand diese Eingriffe bemerken, geschweige denn zurückverfolgen konnte.
In jenem Lieferwagen saß ich, drei Straßen vom Barts entfernt und hatte das Dach des Krankenhauses auf dem Schirm. Ich konnte genau beobachten, was dort geschah und abhören, was dort besprochen wurde.
Ja, natürlich war es auch jetzt wieder jammerschade, dass ich dort nicht live dabei sein konnte, aber so hatte ich immerhin einen Logenplatz. Und damit ich das Ganze auch ausgiebig genießen konnte, hatte ich mir (auch) mal wieder frisches Popcorn und einen gut gekühlten Cide besorgen lassen. Das Lieblingsgetränk der Queen, also für mich mal gerade gut genug.

Ich machte es mir gemütlich und ging im Geiste noch einmal meinen Plan durch.
Ich hatte alles soweit vorbereitet. Auch das Taxi, mit dem ich, John Watson, nachher vor dem Krankenhaus vorfahren würde, stand schon auf Abruf. Auch diese Taxifahrer war ein Statist, der keine Ahnung hatte worum es ging, aber das Geld, was man ihm bot, gerne nahm. Der aber dennoch den Abend dieses Tages nicht mehr erleben würde. Man wird später auch ihn als Leiche aus der Themse ziehen.

Eigentlich, und das war die Crux an der Sache, hing jetzt alles von Richard ab.
Richard, der keine Ahnung hatte, dass auch er heute zum letzten Mal die Sonne sehen sollte. Er trug eine Waffe bei sich, die er für eine Unechte hielt. Er hatte das kleine Säckchen mit Filmblut im Nacken, dass bei einer genau bemessenen Kopfbewegung aufreißen und seinen Inhalt verströmen würde. Das würde nicht notwendig sein, da er sein eigenes Blut in ausreichender Menge vergießen würde, aber das wusste er natürlich nicht.

Enttäusche mich nicht, Kleiner! Denn solltest du nicht tun, was ich von dir erwarte und du den Abend überleben, bring ich dich um. Dann aber langsam und qualvoll.

Es dauerte nicht lange, da war Richard vor Ort. Er nahm die geforderte Position ein und wartete.
Man sah ihm an, dass er nervös war. Aber man sah auch, dass er sich auf den Showdown freute. Er wollte mit seiner schauspielerischen Leistung glänzen und mich ein weiteres Mal stolz auf meine Prinzessin machen.

Pah. Du hast mir eine Weile wirklich Spaß gemacht. Hast mein Bett gewärmt, mir Lust bereitet und mir geholfen, deine Sache trotz deiner Zickereien im Großen und Ganzen gut gemacht.
Aber das ist nun vorbei.
Ich brauche dich nicht mehr.

Und dann, ja dann öffnete sich die Tür des Dachzugangs und Sherlock betrat die Bühne.
Seine letzte Bühne.
„Stayin'alive..."

Das Janus ProjektWhere stories live. Discover now