Studie in Pink - Teil 9

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Sie hatten jetzt beide eine Kapsel in der Hand. Sherlock schwieg angespannt.
Nichts hätte ihn wirklich zwingen können, diese Kapsel zu nehmen. Es war inzwischen klar, dass die Waffe des Taximanns nur ein Feuerzeug war. Und jener selber hätte ... nun, Sherlock würde ihn mit einem einzigen Schlag außer Gefecht setzen können.
Nichts konnte Sherlock also zwingen, außer seiner eigenen Neugier.

Sie hielten die Kapseln ganz nah an ihre Lippen.
Noch immer redete der Taximann auf Sherlock ein. Belangloses Geplapper und ich merkte, dass ihn seine Sicherheit verließ.
Bei den anderen Opfern hatte er einfach gewusst, wie es enden würde.
Hier wusste er es nicht.
Sherlock hatte die giftige Kapsel gewählt, aber Sherlock war, nun, nicht berechenbar.
Der Taximann wurde nervös.

Ich hielt die Waffe im Anschlag.
Mein Ziel war Sherlocks Tod, irgendwann, aber nicht jetzt.
Das sollte viel spektakulärer geschehen, vor den Augen der ganzen Welt.
Nein, das hier sollte dazu dienen, mich Sherlock unentbehrlich zumachen.
Sie führten die Kapseln zum Mund.

Ich schoss.
Der Taximann ging zu Boden, Sherlock schrie erschrocken auf und beide Kapseln kullerten auf die Dielenbretter.

Einen Schuss mit einer Handfeuerwaffe auf diese Entfernung erfordert eine ruhige Hand und viel Erfahrung.
Nun, ich verfügte über beides.
Also hatte ich selbstverständlich getroffen, den Taximann außer Gefecht gesetzt und Sherlock gerettet.
Und außerdem Sherlock daran gehindert herauszufinden, welche Kapsel die Richtige war. Und das verursachte mir ein diebisches Vergnügen. Sherlocks Geist zu reizen, ihn mit Adrenalin zu überfluten und ihm dann im letzten Moment die Erfüllung seines Wissensdurstes zu verweigern.
Ja, daran könnte ich mich glatt gewöhnen, dachte ich.

Ich hatte getroffen. Allerdings nicht gut genug, denn diese verdammte Ameise von einem Taxifahrer lebte noch.
Das war nicht geplant.
Und ich hatte von meinem Standort aus nun auch keine Möglichkeit mehr, diesen Zustand zu ändern.
Ich hatte mein Handy am Ohr und das Handy dieser Frau, das immer noch in der Jackentasche des Killers steckte. Es schien durch den Sturz nicht beschädigt worden zu sein. Ich hörte also noch, was gesprochen wurde.

Na ja, genauer gesagt, es wurde geröchelt und geschrien.
Sherlock schrie auf den Taxifahrer ein:
„Hatte ich recht? Ich hatte recht, oder? Ist das die gute Kapsel?!"
Doch der Mann gab nur ein ersticktes Husten von sich.
„Ach, verdammt!", gab Sherlock genervt von sich.

Im nächsten Augenblick wandte sich das Gespräch einem Thema zu, das mir hier und jetzt nicht in den Kram passte.
„Hören Sie. Derjenige, der Sie für die Morde bezahlt. Wer ist das?!"
Wieder röchelte der Mann nur.
Doch diesmal ließ Holmes sich nicht so leicht abweisen.
„Sie verdammter Mistkerl. Das hier ist Ihr Ende. Sie werden sterben, so oder so. Aber Sie können es leicht haben oder ich kann ihnen weh tun. Also WER IST ES?!"
„Ich werde nichts sagen ..."
„SAGEN SIE MIR DEN NAMEN!"
„Nein ..."

Sherlock drehte sich um und machte ein paar nervöse Schritte.
Dann kehrte er zurück.
„DEN NAMEN!!!"
Dabei trat er dem verletzten Mann auf die blutende Schulter.
Genau so hätte ich das auch gemacht. Um zu erfahren, was ich erfahren wollte, wäre mir jedes Mittel recht gewesen. Insofern war ich fast ein bisschen Stolz auf Sherlock und stellte fest, dass ich ihn ein bisschen als meinen Zögling zu betrachten begann.
Ein Hundewelpe, der um mich herum tappst und Dinge tut, die Herrchen stolz machen sollen.

Guter Sherlock, braver Sherlock.

Trotzdem war es, verflixt noch mal, der falsche Moment und die falsche Situation.
Nicht, dass mich das ernsthaft in Schwierigkeiten bringen würde, aber möglicherweise würde ich meine Pläne etwas ändern müssen. Und ich hasste es, wenn man meine Pläne torpedierte. Der Taxifahrer konnte regelrecht froh sein, dass ich ihn bereits erschossen hatte, sonst würde ich ihn mir noch vornehmen...

Sherlock trat erneut zu und nun war es nicht mehr zu verhindern.
Der Lump, der da am Boden lag, brüllte schmerzverzerrt meinen Namen.
„Moriartyyyyyy ..."

Nun gut.
Nun war es also raus.
Ich war also früher als Figur auf Sherlocks Spielbrett erschienen, als ich das vorgesehen hatte.
Auch gut.
Ich würde also einige Spielzüge neu überdenken müssen.
Einige Würfel neu würfeln, einige Figuren anders setzen müssen.
Aber im Endeffekt war das alles kein Problem. Es war nur ... wie gesagt, ich hasste es, wenn jemand mir bei meinen Plänen in die Quere kommt.

Moriarty.
Sherlocks Neugier war geweckt und es war sicher, dass er nun wie ein Bluthund dieser Spur folgen würde.
Ich würde ihm daher „Moriarty" wohl eher präsentieren müssen, als geplant.
Ich beschloss in diesem Augenblick, mich zeitnah mit dem jungen Schauspieler zu befassen, der den Moriarty für Sherlock geben sollte.
Und ich würde seine Aufgabe in dem ganzen Spiel noch einmal überdenken müssen.

Das Janus ProjektWhere stories live. Discover now