Studie in Pink - Teil 1

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Heute war nun also der Tag, an dem ich in Sherlock Holmes' Leben treten wollte.
Ich lebte nun schon einige Wochen in London und hatte ein kleines möbliertes Apartment bezogen, das zwar billig, aber für die mickrige Pension eines Army- Doktors immer noch zu teuer war. Diese Army- Pension war ein hervorragendes Argument, dass auch ich, „John Watson", einen Mitbewohner suchte.

Ich besuchte zweimal wöchentlich eine Therapeutin, eine fürchterlich inkompetente Person.
Nun gut, dass sie nur „John Watson" sah und nicht hinter die Fassade blickte, war ja das, was ich wollte. Und, nun ja, ich spielte perfekt. Aber dass sie nicht mal erkannte, welche Hintergründe „John Watsons" Trauma hatte, also wirklich. Ich dachte darüber nach, die Gute mal in ein paar einsamen und für sie qualvollen Stunden ein paar erschreckende Dinge über ihre eigene Psyche erfahren zu lassen ... Manchmal gebe ich mich gerne solchen Fantasien hin.
Nun, das konnte warten.

Heute nun war also der große Tag.
Ich würde gleich diese unsägliche Frau noch einmal aufsuchen und dann auf dem Rückweg in einem Park in der Nähe des St. Bart's Mike Stamford treffen.
Ich sah mich noch einmal im Spiegel an. Ja, alles schien perfekt. Und nicht zum ersten Mal dankte ich dem Himmel. Nein, an den glaube ich nicht. Also dankte ich dem Schicksal für mein so durchschnittliches, absolut harmloses und freundlich wirkendes Gesicht.
Ich atmete durch und grinste selbstzufrieden mein Spiegelbild an.

Etwa eine Stunde später lief ich auf dem Rückweg von dieser Therapeutin durch den kleinen Park und konzentrierte mich auf die einzelnen Aspekte meiner Rolle. Es war ein sonniger Herbsttag und meine Laune war großartig, da die Vorfreude auf das Kommende mich komplett überflutete.
Es fühlte sich an wie der Moment vor dem Sex, wenn eine schöne Frau oder ein schöner Mann, ich mache da keine Unterschiede, sich in einem Bett vor mir räkelt. Wenn er oder sie bereit ist, von mir gevögelt zu werden und die größte Ekstase zu erleben, nicht ahnend, dass diese kurze Zweisamkeit mit ihrem oder seinem Tode enden wird. Oh, wie ich das liebe ...

Ich sah Mike Stamford schon von weitem. Er saß auf einer Bank und schien zu warten. Leicht nervös und willens, den, den er treffen würde, zu hassen.
Ich lief bewusst an ihm vorüber.
„Watson?", hörte ich ihn hinter mir rufen.
Ich drehte mich um.
„Dr. John Watson?"
Ich sah ihm ins Gesicht, lächelte ihn an und nickte ihm zu.
„Dann sind Sie Mike Stamford?"
Er winkte mich zu der Bank.
„Setzen Sie sich, Dr. Watson. Bitte. Ich habe Kaffee besorgt."
Er zeigte auf zwei große Pappbecher an seiner Seite.
Aha, er schien also Fragen stellen zu wollen ... nun gut. Ich würde ein Auge darauf haben müssen, dass er in Zukunft nicht zu viel fragte.

Ich setzte mich. Da er nicht wusste, wie ich meinen Kaffee mochte, hatte er sich Zucker und Milch extra geben lassen. Ich mochte keinen Kaffee, denn wie alle zivilisierten Engländer bevorzugte ich Tee. Während ich also eher widerwillig meinen Kaffee herrichtete, hatte er nun Muße, mich zu betrachten.
Er hatte, das war ihm geradezu ins Gesicht geschrieben, nicht erwartet, so jemanden wie „John" anzutreffen. So jemanden harmloses, dem die Bezeichnung „netter Kerl" geradezu aus allen Poren sprang.
Er war ausgesprochen verwirrt.

Als wir den ersten Schluck Kaffee genommen hatten und ich dabei mühevoll einen Schauer unterdrückt hatte, sprach er mich eher unsicher an:
„Sie wissen ... auch nicht, was das Ganze soll, oder?"
Ich sah ihn fragend an.
„Nun, ich ... wissen Sie für mich ist es nicht ganz einfach, jemanden zu finden, der sich mit mir eine Wohnung teilt, und ich bekam den Tipp, mich an Sie zuwenden. Sie hätten vielleicht einen Rat für mich."
„Das stimmt schon", sagte er. „Ich kenne jemanden, der erst heute Morgen etwas ganz Ähnliches zu mir gesagt hat. 'Wer würde sich schon eine Wohnung mit mir teilen', das waren seine Worte."
Ich sah ihn interessiert an.
„Und wer ist das?"
Er zögerte, deswegen setzte ich nach:
„Hören Sie, ich weiß, ich bin nicht der ideale Mitbewohner. Körperlich angeschlagen und traumatisiert ... hatte in Afghanistan einige unschöne Erlebnisse und habe nun Alpträume, Flashbacks und ... Also wenn Sie das Ihrem Bekannten nicht zumuten wollen, dann sollte ich jetzt wohl gehen."
Ich machte Anstalten aufzustehen.
„Nein, warten Sie", rief er. „Es ist nur..."
Er schluckte.
„Ich habe den Auftrag bekommen, Sie ihm vorzustellen, als einen alten Bekannten von mir und ich verstehe nicht, warum. Und von wem."

Von mir, Schätzchen ... und es wäre besser für dich, wenn du tust, was ich dir anweise ...

„Tut mir leid, ich habe keine Ahnung, Mr. Stamford."
„Nun", sagte er, „er ist ... speziell ... Sie werden sehen. Vielleicht ... ja das wäre möglich ... vielleicht ist der Auftrag von seinem Bruder. Er beschwert sich immer, der würde ihn viel zu sehr kontrollieren."
Ja, das gefiel mir. Sollte er nur glauben, Sherlocks Bruder, über den ich natürlich auch so viel wie möglich in Erfahrung gebracht hatte, würde dahinter stecken. Trotzdem war Sherlocks Bruder noch eine große Unbekannte in meiner Gleichung. Denn was ich heraus gefunden hatte war nicht viel und das Wenige sehr bersorgniserregend.

Er erhob sich.
„Egal. Kommen Sie, Dr. Watson. Was auch immer dahinter steckt, es tut ja niemandem weh. Ich werde sie zu ihm bringen."
Damit drehte er sich um und ging mit mir in Richtung des St. Barts.
Ich lief neben ihm her und spürte das Fieber durch meine Venen pulsieren. Ich, John Hamish Moriarty, würde nun endlich Sherlock Holmes gegenüber treten. Ich, sein Erzfeind, sein Erzrivale, von dem er noch nichts wusste, aber es bald würde.

Die nächsten Monate ... oder vielleicht Jahre? ... würde ich jeden Augenblick des Tages unter Spannung verbringen...
Endlich eine Zeit, in der die Langeweile in meinem Leben keinen Platz haben würde.
Oh, es war Weihnachten!
Wenn das Glöckchen klingelt und man weiß: Gleich treten wir durch die Tür in die festlich geschmückte Wohnstube und dann werden die Geschenke ausgepackt!

Mike führte mich durch den Eingang in den Lehrtrakt des Hospitals und führte mich durch einige Gänge und Flure.
Dann standen wir endlich vor der Tür des Labors, in dem ER gerade tätig war.
Während Mike die Hand hob, um zu klopfen, stieß ich in meinem Inneren einen freudigen Kampfschrei aus.

„Das Spiel kann beginnen!"

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