Der Weg zum Abgrund - Teil 8

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Ab sofort ging es Schlag auf Schlag.

Donovan und andere, ich bin sicher auch Anderson hatte seine Finger im Spiel, schafften es, ihre Zweifel so groß aufzublasen, dass dem guten Lestrade, der eigentlich auf Sherlocks Seite war und den ganzen Humbug nicht glaubte, nichts anderes übrigblieb, als dem nachzugehen. Nicht lange, nachdem Sherlock und ich zu Hause waren, stand er vor der Tür, trat von einem Fuß auf den anderen und bat Sherlock, zu einer Befragung mitzukommen.
Sherlock weigerte sich.
Es war ihm inzwischen mehr als klar, das „Moriarty" hinter all dem steckte. Und er bestand darauf, dessen Spiel nicht mitzuspielen.

Oh Sherlock, wenn du nur wüsstest, wie sehr du mein Spiel schon längst mitspielst...

Nun, Lestrade zog wieder ab und ich rieb mir die Hände.
Es würde nicht lange dauern.
Und in der Tat, knapp eine Stunde später waren sie wieder da. Mit einem Haftbefehl in der Tasche.
Sherlock war äußerlich die Ruhe selbst, aber ich kannte ihn gut genug um zu sehen, dass er innerlich kochte.
Lestrade fühlte sich ausgesprochen unwohl bei der ganzen Sache. Man sah ihm an, dass er kein Wort glaubte. Ich musste aufpassen, dass der Mann mir nicht noch gefährlich werden würde. Aber es waren ohnehin nur noch wenige Stunden bis zum Ende der ganzen Sache. Es wäre also sehr unwahrscheinlich, dass der mir jetzt noch in die Quere kam.

Man legte Sherlock Handschellen an.
Der anwesende Chief Superintendent warf mit widerlichen Sprüchen nur so um sich. Er zeigte sich ausgesprochen dumm und arrogant.
Wie ich das hasse. Arroganz muss man sich verdienen und auf dieser Welt steht sie nur mir zu! Wann verdammt nochmal werden sie das endlich lernen?

Nur mir! Und Sherlock.

Arroganz gepaart mit Dummheit hat mich schon immer dazu gebracht, gefährlich zu reagieren. Außerdem wollte ich mit Sherlock auf Tuchfühlung bleiben und im Moment schien mir das der einfachste Weg.
Also schlug ich zu (selten genug, dass ich so was mal selber tue, der ausgemachte Trottel könnte sich darauf beinahe etwas einbilden,) und brach ihm die Nase.

Wenige Minuten später stand nun also auch ich festgenommen an ein Auto gelehnt und praktischerweise hatte man Sherlocks und mein Handgelenk aneinander gefesselt.
Er grinste. Trotz allem was gerade geschah, grinste er.
„Schon viele heikle Situationen im Leben gehabt?", fragte er.
„Sicher", antwortete ich.
„Auch schon abenteuerliche Fluchten?"
Ich dachte daran, dass „John Watson" ja immerhin im Krieg gewesen war und antwortete:
„In gewisser Weise, ja."
Er grinste noch breiter und sagte in seinem herrlich tiefen Bariton:
„Möchtest du mehr davon?"
„Bei Gott, ja!"

Und schon zog er mit einer blitzschnellen Bewegung einem der nebenstehenden Polizisten die Waffe aus der Tasche und schoss einmal in die Luft. Dann hielt er sie mir an den Kopf und rief in die Runde:
„So, meine Damen und Herren, Sie gehen jetzt bitte alle auf die Knie! Ich habe eine Geisel!"
„Geisel", flüsterte ich, „ja, könnte funktionieren."
„Komm, John", flüsterte er ebenfalls, „Wir machen jetzt das, was alle erwarten: Wir hauen ab!"
Wir rannten also los. Er nahm meine Hand, damit die Handschellen nicht so ins Fleisch schnitten und wir rannten mal wieder durch Londons Straßen, Hinterhöfe und dunkle Gassen.
Sollte man das eines Tages zur olympischen Sportart machen, hätte ich gute Chancen auf eine Medaille.

Irgendwann standen wir hinter ein paar Mülltonnen, um von einem Polizeiauto, das mit Sirene und Blaulicht die Straße hinunter sauste, ungesehen passiert zu werden. Er drückte mich an die Wand und küsste mich.
„Was soll das alles!", fragte ich.
„Ich küsse dich, weil ich dich liebe!"
„Nein, du Idiot, das meine ich nicht. Das hier! Die Zweifel, die Polizei, all das ..."
„Moriarty."
„Oh."
„Ja, John, er will mich vernichten. Er will mich am Boden sehen."
Das Polizeiauto war weg und wir liefen weiter.

Wir kamen an einem Zeitungsaufsteller vorbei. Dort lag eine Abendausgabe von Miss Reilleys Revolverblatt und Sherlocks Blick fiel darauf.
„Verdammt!"
Er schnappte sich das oberste Exemplar.
Auf der ersten Seite prangte die Ankündigung der großen Enthüllungsstory über „Sherlock Holmes, den angeblichen Meisterdetektiv. Erzählt von unserer aufstrebenden jungen Reporterin Kitty Reilly. Mit jeder Menge Details aus Sherlock Holmes' Leben."
„Ich möchte zu gern wissen", sagte er, „woher sie all die Infos hat!?"

Von mir, Sonnenschein. Von mir. Aber du darfst es gerne jemand anderem in die Schuhe schieben.

Er überlegte einen Augenblick und dann sagte er:
„Nun, eigentlich fällt mir nur einer ein." Und er machte eine Geste, als würde er einen Spazierstock oder einen Regenschirm um die Hand schwingen.
Hervorragend.
Er verdächtigte also Mycroft.

Und dann geschah etwas, was mich zu dem Geständnis bringt, dass es auch mir passiert, mal einer winzigen kleinen Fehleinschätzung zu unterliegen.
Es passiert mir so gut wie nie und ich habe über die Jahre meine Planungen und Detailberechnungen von Ereignissen und menschlichen Reaktionen perfektioniert. Menschen sind so berechenbar, dass es es zum sterben langweilig ist.
Nun, jedenfalls gewöhnliche Menschen.
Sherlock aber war kein gewöhnlicher Mensch.
Er schaffte es erneut, mich aus der Fassung zu bringen.
Er sagte:
„Das werden wir herausfinden, denn wir werden jetzt zu ihr gehen!"
Verdammt! Das hatte ich nicht geplant!
Und das ausgerechnet jetzt, wo Richard in einer so schwer einschätzbaren Verfassung war!
Scheiße.
Nun, ich konnte nur hoffen, dass der Kleine sich benehmen würde.
Ich seufzte.
Nun gut, ich würde das Ganze bewältigen.
Immerhin bin ich Moriarty.

Das Janus ProjektWhere stories live. Discover now