Code Janus - Teil 2

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„Stayin' alive" erklang über das Flachdach des Krankenhauses, und Richard saß wie hingemalt in Erwartung dessen was jetzt kommen würde. Er war beinahe schön in dieser Pose, doch nicht so schön wie Sherlock, der langsam auf ihn zu ging.
Die Bilder auf meinem Bildschirm waren klar und deutlich, ich konnte alles sehr gut sehen und auch jeden Ton hören. Moderne hochauflösende Kameratechnik und empfindliche Richtmikrophone sind doch eine praktische Sachen.

„Hallo, Sherlock", begrüßte ihn Richard, „da sind wir nun. Wir beide. Sie und Ich."
Er sah ihn mit einem regelrechten Psychopathenblick an.
„Wir beide und die Frage, wer von uns am Leben bleiben wird. Eigentlich ziemlich langweilig."
Sherlock sah sich inzwischen ein wenig um auf dem Dach. Scheinbar versuchte er, sich einen Überblick zu verschaffen.
„Das Spielen mit Ihnen hat Spaß gemacht", sagte Richard, „weil es mich aus meiner Langeweile gerissen hat. Aber jetzt?"
Er machte eine wegwerfende Geste mit der Hand.
„Jetzt habe ich nicht mal mehr das. Ich habe Sie besiegt, Sherlock."
Sherlock hatte noch immer kein Wort gesagt.
„Ich hatte so sehr gehofft, Sie seien anders. Aufregender. Aber wie es aussieht, sind auch Sie nur ein ganz gewöhnlicher kleiner Mensch."

Richard stand auf und ging lauernd auf Sherlock zu.
„Sagen Sie", sagte er mit einer Stimme wie Seide, „haben Sie vielleicht schon selber daran gezweifelt, ob es mich gibt? Mich, Moriarty? Oder ob ich nicht tatsächlich ein gedungener Schauspieler bin, den irgendjemand angeheuert hat?"
Oh Gott. Mir blieb fast mein Popcorn im Halse stecken. Das war so nicht abgesprochen worden. Aber eigentlich ... es war gut. Verdammt gut. Richard war vielleicht ein kleiner Naivling, wenn es um Liebe ging. Aber was seinen Beruf betraf, war er eben wirklich gut. Er spielte seine Rolle nicht nur, er lebte sie. Der kleine Mistkerl war doch immer wieder für eine Überraschung gut.

Die beiden Männer auf dem Dach umschlichen sich wie die Raubkatzen. Sowohl physisch als auch verbal. Es ging hin und her. Es ging um Spiel und Langeweile. Es ging um den angeblichen Code, der verwendet worden war, um in die Hochsicherheitsgebäude des Commonwealth einzudringen. Sherlock verzog keine Mine, als ihm endlich aufging, dass es keinen solchen Code gab sondern alles nur simple Bestechung gewesen war.
Er hatte sich im Griff, das muss man ihm lassen.
So sehr er mich in der Vergangenheit manchmal enttäuscht hatte, weil er sich viel zu sehr von seinen Gefühlen hatte beeinflussen lassen, so sehr zeigte er hier auf dem Dach des St. Barts die wahre Größe, zu der er fähig war.

„Lassen Sie uns zu einem Ende kommen, Sherlock. Die ganze Sache hier ist langweilig, Sie sind laaaangweiliiiig!"
Psychopathisches Kichern, prima Richard, gut gemacht.
„Wissen Sie, wir sind hier nicht umsonst auf einem hohen Gebäude, Sherlock. Ich habe das ganz bewusst gewählt. Genau hier werden Sie es tun."
„Was werde ich tun?"
„Nun, Sie sind als Schwindler entlarvt! Es steht in den Zeitungen, also muss es doch stimmen, nicht wahr? Also, was meinen Sie, was Sie jetzt tun werden?"
Und Sherlock verstand.
„Mein Selbstmord...!"

Sein Gesicht war wie versteinert.
„Ich werde mich nicht umbringen, ich werde beweisen, dass es Richard Brook nicht gibt und dass Sie Moriarty sind!", sagte er gepresst.
Ich beugte mich vor, jetzt wurde es spannend, und nahm eine weitere Handvoll Popcorn in den Mund.
„Hören Sie", sagte Richard und stellte einen ziemlich genervten Gesichtsausdruck zur Schau.
„Bringen Sie es einfach hinter sich, okay?"
Jetzt sprang Sherlock blitzartig auf ihn zu und packte ihn am Kragen. Er zerrte ihn zur Dachkante und hielt ihn so, dass Richard vermutlich abgestürzt wäre, wenn Sherlock jetzt losgelassen hätte.

Und das war der Moment, wo Richard die Bombe platzen ließ.
„Na schön", keuchte er, und ich sah ihm an, dass er jetzt wirklich Angst hatte.
„Wenn Sie es uns beiden schwer machen wollen, okay. Dann brauchen Sie eben einen extra Anreiz."
Er grinste.
„Ihre Freude werden sterben, wenn Sie es nicht tun."

Sherlock wurde mit einem Schlag bleich im Gesicht.
Nur einen Sekundenbruchteil zögerte er, sog die Luft ein und hauchte dann: „John?!"
„Ja", sagte Richard, „der und ihre andere Freunde."
Sherlock stöhnte entsetzt.
„Mrs. Hudson..."
„Jaaaa!" rief Richard in einem jubelnden Ton, als würde er eine Kinderparty eröffnen. „Und wer noch?"
Sherlocks Stimme zitterte. „Lestrade ..."
„Genau! Drei Freunde. Drei Opfer. Drei Scharfschützen, die nur auf das Zeichen warten. Oh nein, nicht auf das Zeichen, zu schießen. Nein. Sie warten auf das Zeichen, nicht zu schießen, und das bekommen sie nur, wenn Sie, Sherlock, endlich springen."

Ich keuchte vor Spannung. Würde Sherlock erkennen, dass ich ... Richard ... Moriarty ... na wie auch immer, ihm keinen Ausweg gelassen hatte? Würde er springen?
Springen und in Schande sterben?
Sein Gesicht war ernst und würdevoll.
Er hatte Richard zurück aufs Dach gezogen und losgelassen. Der kleine klopfte sich den Staub vom Revers.
Sherlock war noch nicht so weit, dass er sah, dass es keinen anderen Weg für ihn gab. Er ... lachte!
„Was aber, wenn ich sie verhaften lasse, foltern lasse, bis Sie mir das Zeichen verraten, dass es braucht, um ihre Schützen zurück zu pfeifen? Es muss einen Code geben, eine Zahl, was auch immer. Das heißt ich muss nicht springen. Nicht sterben. So lange ich Sie habe, gibt es eine Chance, an diesen Code zu kommen."
Wieder lachte er.

Man sagt, wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Von den beiden Männern dort auf dem Dach war jetzt Sherlock der, der lachte.
Richard würde dazu keine Zeit mehr haben.
Und dennoch würde Sherlocks Lachen nicht zum besten führen ...
„Sie denken das wirklich, oder?", fragte Richard.
„Sherlock, niemand kann mich dazu bringen, Ihnen das Zeichen zu verraten. Nicht Mycroft, nicht Lestrade, keine zehn Pferde."
„Ich bin nicht wie Mycroft oder Lestrade", sagte mein ... sagte Sherlock. „Ich würde Dinge mit Ihnen anstellen, die keiner der beiden fertigbrächte."
„Nein", sagte Richard und schüttelte den Kopf.
„Sie, Sherlock, sind auf der Seite des Guten."
„Mag sein", antwortete Sherlock, „ich bin auf ihrer Seite, aber ich bin dennoch kein guter Mensch."
„Das mag wahr sein ..." Richard schien zu zögern.
„Aber ... Sie haben nur dann eine Chance, etwas aus mir herauszubekommen, wenn ich lebe ... und daher werden Sie sterben müssen ... genau wie ich!"

Und Richard holte mit schneller und doch theatralischer Geste die Waffe heraus und steckte sich sich in den Mund.

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