Entscheidungen - Teil 1

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Ich muss nun an der Stelle gestehen, dass ich zu diesem Zeitpunkt unschlüssig war, wie ich weiter verfahren sollte.
Sollte ich Sherlocks Ende in absehbarer Zeit einläuten? Oder sollte ich das Ganze noch hinausschieben?
Etwas was geplant ist zu verschieben, ist eigentlich nicht meine Sache. Aber zugegebenermaßen und auch für mich selbst überraschend, hatte ich mich tatsächlich an das Leben mit Sherlock gewöhnt und begonnen, es zu mögen.

Nicht, dass man mich falsch versteht: Es war zu diesem Zeitpunk noch nicht Sherlock selbst, den ich gerne mochte. Ich mag keine Menschen, jedenfalls hatte ich mich immer so gesehen. Das kann ich nicht, so dachte ich, und da lege ich auch keinerlei Wert drauf. Ich denke, das habe ich bereits zur Genüge erklärt.
Sherlock bewunderte ich, ja. Für seine Fähigkeiten, die doch ziemlich nah an meine heranreichten. Wenngleich er mein Niveau natürlich nie ganz erreichen würde. Das konnte niemand.

Nein, ich mochte einfach mein Leben mit ihm.
Die altmodisch gemütliche Wohnung in der Baker Street. Das gemeinsame Frühstücken an den Sonntagen. Das gemeinsame Lösen von Fällen, mal mehr und mal weniger spannend.
Unsere Jagden kreuz und quer durch London.
Es war eine für meine Verhältnisse ruhige Zeit, da ich in meiner Organisation alles so ein bisschen vor sich hin laufen ließ und keine größeren Sachen an den Start brachte. Es blieb bei meinen alltäglichen Routineverbrechen und die brachten genug Geld ein.

Ich haderte noch mit mir, als die Sache mit Irene Adler begann. Und da die sich über einen ganz schön langen Zeitraum erstreckte und Sherlock sich sehr in die Sache reinkniete, hatte das mir die Entscheidung quasi erst einmal abgenommen.
Irene Adler.
Ich will gar nicht so viel über die Sache erzählen. Dieses Miststück ging mir gehörig auf die Nerven. Sie glaubte doch tatsächlich, sich mit mir anlegen zu können und hielt sich mir gegenüber für ebenbürtig. Sie wollte ein zu großes Stück vom Kuchen. Nun, am Ende hat sie sich daran verschluckt. Sie landete schließlich im nahen Osten, wo Rebellen ihr den Kopf abschlugen.
Sie hat es nicht besser verdient.

Nichtsdestotrotz war sie eine überaus schöne Frau. Und sie versuchte, diese Schönheit gnadenlos als Waffe gegen Sherlock einzusetzen. Es amüsierte mich sehr, wie sie nackt vor ihm herumtänzelte. Wie sie versprach ihn zu nehmen, bis er zweimal um Gnade flehen würde. Wie sie ihm um den Bart ging, Intelligenz sei das neue sexy ... nun mit Letzterem hatte sie sicher nicht so ganz unrecht.

Schlussendlich hatte sie bei Sherlock keine Chance. Er stand nun mal nicht auf Frauen. Er stand auf Männer und um genau zu sein, stand er derzeit auf mich.
Er hatte keinerlei Interesse an ihr. Das Interesse, was er zu haben schien war vorgetäuscht, um an Informationen zu kommen. Was ihm schließlich auch gelang. Mag sein, dass er ihre Intelligenz ebenfalls bewunderte, und ja, sie war, was das betraf, auf einem weit höheren Level als die Meisten der auf den Straßen umher laufenden Ameisenmenschen.
Dennoch war sie letzten Endes unbedeutend.

Im Rahmen dieses Falles gab es allerdings einige interessante Aspekte.
Für mich war es zum Beispiel ausgesprochen komisch, an Sherlocks Seite ausgerechnet im Auftrag des Buckingham Palastes zu arbeiten. Nun, nicht, dass ich tatsächlich konstruktiv etwas zur Sache beitrug, um Gottes Willen. Das Handy, auf dem Miss Adler brisante Informationen gespeichert hatte, gelangte durch das ganze Durcheinander auch in meine Hände. Ich knackte, natürlich, das Passwort, kopierte die Daten, die ich benötigte, löschte ein paar Sachen, die nicht in offizielle Hände geraten sollten und ließ es am Ende in Mycroft in die Hände fallen, nachdem Sherlock irgendwann ebenfalls die Verschlüsselung geknackt hatte.
Moriarty im Auftrag der Queen unterwegs in Sachen Rettung des Vaterlandes.
Es war schon urkomisch.

Wobei, „die Queen", das kann man so oder so verstehen. Als wir beide in einem der Besucherzimmer im Palast saßen und auf die Dinge warteten, die da kommen mochten, fragte ich Sherlock: „Was meinen Sie, werden wir die Queen treffen?"
In dem Augenblick bog Mycroft um die Ecke und Sherlock sagte grinsend: „Wie es aussieht, ja!"
Und wir brachen hier, inmitten des Herzens des britischen Empire, in ganz unkönigliches Gelächter aus.
Diese Szene wird mir allein deswegen immer im Gedächtnis bleiben, weil Sherlock es allen Ernstes fertiggebracht hatte mit nichts als einem Laken, das er sich um den Körper gewickelt hatte, hier zu erscheinen. Da Mycrofts Leute ihn etwas unsanft dazu überredet hatten mitzukommen, hatte er sich schlichtweg geweigert sich anzuziehen.
Und so saß er wie hingemalt auf diesem Sofa im Edwardian Style und trug nicht mal Unterhosen.
Ich muss heute noch lachen, wenn ich nur daran denke.
Und ich hätte ihn zu gerne direkt auf diesem Sofa vernascht.

Als er wenige Minuten später versuchte, davon zugehen, Mycroft auf das Laken trat und es fast zu Boden rutschte, hatte ich die unerwartete Gelegenheit, erstmals einen Blick auf sein herrliches Hinterteil zu werfen. Himmel, das war ein Anblick. An der Stelle war es nicht ganz leicht, entspannt zu bleiben.
Ich schloss dieses Bild tief in mein Gedächtnis ein und beschloss, meine Zurückhaltung ihm gegenüber zumindest noch mal zu überdenken.

Nun, dieser Fall erstreckte sich letzten Endes über mehrere Monate.
In der Zwischenzeit lösten wir einige andere.
Wir hatten ruhige Zeiten, spannende Zeiten. Wir hatten eine Weihnachtsfeier in der Baker Street, die ich, John Watson, initiiert hatte und bei der Sherlock sich unglaublich schlecht benahm (und ich liebte es, wie er allen Leuten auf ihren so dummen kleinen Gefühlen herum trat. Genau mein Geschmack).
Es gab Irenes gefakten Tod und ihre Wiederauferstehung. Es gab Gelegenheiten genug für John Watson, in die Welt zu schreien: „Ich bin nicht schwul!"
Es gab den Moment, wo Miss Adler erkennen musste, dass Sherlock nichts für sie empfand und sie alles verloren hatte.
Es gab Irene Adler auf der Flucht und es gab ihren diesmal endgültigen nicht gespielten Tod.

Und es gab mich, der sich immer mehr an das Leben mit Sherlock gewöhnte.
Ich war mir allerdings nicht sicher, ob ich das nun gut finden sollte oder nicht.
Ich stand also nach alledem erneut vor der Entscheidung, wie es weitergehen sollte.
Und wieder bewirkte Sherlock Dinge in mir, die sonst niemand in meinen Leben je geschafft hatte.
Ich konnte mich nicht entscheiden.

Das Janus ProjektWhere stories live. Discover now