Im Auge des Janus - Teil 1

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Ganz wohl war mir bei alledem ja nicht. Ich hatte mich doch ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, mich also durchaus in die Schusslinie begeben, indem ich Richard meine wahre Identität enthüllt hatte.
Zum ersten Mal seit Beginn des ganzen Abenteuers beschlich mich ein etwas ungutes Gefühl.
Nun, ich müsste ein paar Leute auf den Kleinen ansetzen, die ihn beobachten würden und sollte er Schwierigkeiten machen, würde er eben schon eher als geplant von der Bühne abtreten müssen.

Heute jedoch, da war ich mir sicher, würde alles tadellos klappen.
Er war viel zu geflasht von der Tatsache, der Geliebte des großen Kriminellen Moriarty zu sein, dass er einfach überhaupt nicht auf die Idee kam, irgendwie quer zu schießen. Im Gegenteil: er wollte mich stolz machen und mir zeigen, dass er mich wert sei.
Nun, etwas besseres konnte mir im Augenblick nicht passieren.

In der Tiefgarage des Apartmenthauses stand ein geschlossener Lieferwagen, den meine Leute besorgt und dort abgestellt hatten. Es erwies sich immer wieder als praktisch, dass ich solche Einzelschritte immer von Handlangern erledigen lasse, die den nächsten Schritt nicht kennen, nicht wissen zu welchem großen Plan ihre kleine Einzelhandlung gehört oder wer sonst noch daran beteiligt ist. So besteht, wenn einzelne Leute auffliegen, keine Gefahr für die Anderen und damit vor allem nicht für mich.

Der Lieferwagen hatte den Werbeaufdruck einer so nicht existierenden Firma für Seifen, Papierhandtücher und Desinfektionsmittel. Solch ein Lieferwagen würde am Hintereingang eines Schwimmbades nicht sonderlich auffällig sein.
Auf der seitlichen Schiebetür hatte ich die Aufschrift: „Inhaber J. Bifrons" anbringen lassen. Ich musste grinsen bei dem Gedanken.
„Bifrons" ist Latein, heißt „Der Zweistirnige" und ist ein Beinahme des Gottes Janus.
Ich hatte diesem Spaß einfach nicht widerstehen können.

Man durfte uns nicht zusammen sehen. Der geschlossene Kastenwagen war daher ideal. Ich zog einen Hoodie an, den ich mir aus Richards Beständen entliehen hatte und zog die Kapuze tief über den Kopf. Mit einem jugendlich schlaksigen Gang, den ich dann an den Tag legte, hätte niemand mich erkannt.
Allerdings begegnete uns niemand und ich kam ungesehen in das Auto. Richard packte ein, was einzupacken war und wir fuhren los. Während er das Auto durch die Straßen Londons lenkte, saß ich hinten im Fond und checkte über mein Smartphone, ob alles so war, wie ich es angewiesen hatte.
Mein Scharfschütze im Schwimmbad war auf seinem Posten. Die Beiden außerhalb, die das komplette Gelände im Auge hatten, ebenfalls.

Die Jungs, die überall in der Stadt um kurz vor Mitternacht ein paar kleine Läden, Tankstellen und ähnliches überfallen sollten und die, die ein paar Bombendrohungen telefonisch durchgeben sollten, waren ebenfalls bereit. Das waren Ablenkungsmanöver, die den Yard auf Trab halten sollten, so dass wir im Schwimmbad ein bisschen Ruhe hatten, selbst wenn Sherlock auf die Idee kommen sollte, die Cops zu rufen. So unwahrscheinlich das auch war.

Es war jetzt inzwischen 22 Uhr, als wir auf dem Parkplatz des Schwimmbades vorfuhren.
Ich ging den geplanten Ablauf noch mal genau durch.
Mein Scharfschütze im Schwimmbad hatte die Anweisung, auf ein festgelegtes Zeichen von Richard hin eine bestimmte Handynummer anzurufen. Er, nein, ich muss genau sein, sie würde sich selbstverständlich daran halten. Sie war eine äußerst gewitzte junge Frau, ziemlich sexy noch dazu, namens Mary Morstan.
Sie gefiel mir und ich dachte darüber nach, sie eventuell in mein Bett zu bekommen ...

Im Moment jedoch war sie ein fähiges und williges Werkzeug. Also genau das, was ich brauchte, um zielgerichtet auf den geplanten Höhepunkt zuzusteuern.
Richard und ich trugen das benötigte Equipment in die Umkleideräume des Schwimmbades.
Dann sahen wir uns ein bisschen um. Es schien alles in Ordnung zu sein, die Luft war rein. Na gut, ich hatte natürlich schon vor unserer Ankunft das Schwimmbad durchsuchen lassen. Ich wollte mich schließlich nicht unnötig in Gefahr begeben. Immerhin braucht mich die Welt. Ich bin Moriarty. Mich gibt es nur einmal und deswegen muss ich dafür sorgen, dass mir nichts geschieht!

Schließlich begannen wir mit den letzten Vorbereitungen.
Richard half mir, in eine Sprengstoffweste zu schlüpfen. Genau so eine, wie sie meine unfreiwilligen Models zuvor getragen hatten. Sie war echt, denn es war nicht auszuschließen, dass sie am Ende der Nacht in die Hände der Polizei, zumindest aber in Sherlocks Hände geraten würde. Daher durfte sie kein Fake sein. Sie hatte allerdings eine minimale Fehlverdrahtung an entscheidender Stelle, die wie ein Produktionsfehler wirkte und dafür sorgte, dass die Weste nicht ohne weiteres hochgehen würde.
Nun ja, bei einem direkten Schuss in den Plastiksprengstoff hinein wäre das sicher anders ... Aber das würde nicht geschehen, denn meine Scharfschützin würde sich hüten und Sherlock, nun es mochte sein, dass er sich meiner Armeewaffe bemächtigt hatte. Aber ich würde ihn schon von Dummheiten abzuhalten wissen.

Mary Morstan würde zwar auf mich zielen. Die roten Laser-Zielpunkte waren ein wichtiges Instrument für mich.
Letztendlich war aber ihre Aufgabe, mich zu schützen und Sherlock, sollte es sich als nötig erweisen, außer Gefecht zu setzen.
Ich war soweit und zog mit Richards Hilfe John Watsons Anorak über die Weste, so dass man sie nicht auf den ersten Blick würde sehen können.

Dann machte der Kleine sich zurecht. Als er in dem Anzug vor einem der Spiegel in den Duschräumen stand, war er von seinem eigenen Anblick bezaubert.
Eitler kleiner Bengel. Aber er sah tatsächlich hinreißend aus. Und verdammt noch mal, ein bisschen beneidete ich ihn. Ich war einfach Jeans und Strickpullover leid.
Ich küsste ihn und sagte:
„Mach mich stolz und zeig was du kannst, Prinzessin!"
Er kicherte.
Ja, er würde seine Sache gut machen.

Mein Handy piepte.
Eine Textnachricht.
Einer der Beiden von draußen.
„Er ist da, er betritt das Gebäude."
Ich atmete durch.
Jetzt würde es sich beweisen, wie stark sein Vertrauen in John Watson war.
Wie gut meine Schauspielkunst gewesen war.
Nun, ich zweifelte nicht, dass alles nach meinen Wünschen verlaufen würde.
Immerhin war ich ja John Hamish Moriarty!

Das Janus ProjektWhere stories live. Discover now