The Great Game - Teil 4

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Ich bin der Weiße König.

Die Frau, die jetzt anrief, war eine unwichtige Spielfigur auf meinem Brett.
Sie hatte keinerlei Bedeutung. Die bekam sie erst dadurch, dass ich sie benutzte. Damit wurde sie zu einem Spielstein, den man beachten musste.
Ich wusste nichts über sie.
Wer sie war, wie sie hieß, was ihr wichtig war ... pah ... was sollte mich das auch interessieren.

Ich wusste nur, dass meine Leute sie auf einem Supermarktparklatz willkürlich aufgegriffen hatten.
Man hatte ihr auf meine Anweisung hin ein modisches Umstyling angedeihen lassen.
Ich hatte entschieden, dass mit Sprengstoff bestückte und kunstvoll verdrahtete Westen diese Saison en Vogue seien. Ob die Schlampe diesen Geschmack teilte wusste ich nicht, vermutlich würde sie meine Bemühungen nicht zu würdigen wissen. Aber das spielte keine Rolle.

Sie hatte einen Pager in die Hand gedrückt bekommen, dessen Text sie jetzt unter Tränen ablas.
„Ha ... Hallo Süßer ..."
„Wer ist da?", fragte Sherlock.
„Ich habe ein Rätsel für dich. Ein Geschenk. Ich möchte mich damit vorstellen."
„Wieso weinen Sie?"
Die Stimme der Frau wurde noch ein wenig zittriger, als sie in das Handy schluchzte:
„Ich weine nicht. Ich schicke den Text auf den Pager und das kleine Miststück liest ihn vor."
Sherlock sah uns an.
„Ich habe mit so etwas gerechnet", flüsterte er in meine und Lestrades Richtung.
„Zwölf Stunden hast du Zeit, das Rätsel zu lösen. Wenn es dir nicht gelingt Sherlock, werde ich ziemlich unartig sein!"
Und damit brach die Verbindung ab.

Richard.
Mein süßer kleiner Richard.
Ich wollte eigentlich diese Texte auf den Pager selber senden. Aber dann hatte ich mich entschlossen, auf Tuchfühlung mit Sherlock zu bleiben und hatte diese Aufgabe in Richards fähige Hände gelegt. Der Kleine erwies sich als unschätzbarer Komplize.
Ich hatte ihm nicht die einzelnen Worte vorgegeben, sondern nur Anweisungen, worum es ging und ihm den genauen Wortlaut überlassen.
Denn er musste ja schließlich auf Sherlock reagieren.
Und er hatte es großartig gemacht.
Um genau zu sein hatte er alle Anweisungen per verschlüsselter Mail mit Selbstlöschfunktion von „Moriarty" bekommen und nicht von seinem geliebten John.
Und er hatte alles, was er tun sollte, perfekt umgesetzt.

Seit einigen Wochen arbeitete er als der harmlose kleine Jim im Sankt Barts, in der IT Abteilung. Kurze Zeit danach hatte er bereits mit Molly, dem Schäfchen, angebändelt. Molly hatte sofort angebissen, was vermutlich dran lag, dass sie nach männlicher Aufmerksamkeit geradezu hungerte.
Von Sherlock, in den sie immer noch verschossen war, war nichts zu erwarten. Sie lebte komplett unterhalb seines Radars.
Also nahm sie das, was sie bekommen konnte und genoss „Jims" Avancen wie eine fast vertrocknete Blume den Regen.

Und heute nun hatte Richard das erste Mal den Moriarty auf der von mir geschaffenen Bühne gegeben. Wenngleich nur am Telefon.
Er hatte es verdammt gut gemacht.
Es würde noch Großes von ihm zu erwarten sein.
Sein erster Auftritt würde in Kürze erfolgen und ich war gespannt, wie er sich schlagen würde.
Nur schade, dass sein Karriereende eher blutig verlaufen würde ... aber das hatte noch Zeit.

Eine Stunde später befand ich mich an Sherlocks Seite im Labor des Barts. Dort untersuchte er die Schuhe, um hinter ihr Geheimnis zu kommen.
Er glänzte durch einige ausgesprochen unsensible Äußerungen, die mir hätten gefallen können, wenn ich nicht gespürt hätte, dass sie nur Fassade waren. Er war nicht so kalt wie er sich gab.
Es war seine Maske, sein Schutzwall ... nun, ich würde ihn schon noch einreißen.
Ich war ein kleines bisschen aufgeregt, während Sherlock in sein Mikroskop stierte und hunderte verschiedener Pollen miteinander verglich.
Jeden Moment würde ich Sherlock „Jim" servieren.
Jeden Augenblick ...
Es war wie die Minuten, bevor sich an Weihnachten die Tür zur guten Stube öffnet, wo die Geschenke liegen ...

Die Tür vom Flur ins Labor öffnete sich und Molly spazierte herein.
„Und?", fragte sie, „ Glück gehabt?"
Und dann war es soweit.
Die Tür öffnete sich erneut.
Richard trat ein, „erschrak" als er sah, dass Molly nicht allein war.
„Oh Entschuldigung, ich...", stotterte er.
Molly strahlte.
„Jim! Komm rein!"
Sherlock warf ihm einen skeptischen Blick zu.
„Jim", sagte Molly bedeutungsschwer, „das ist Sherlock Holmes."
Ein Blick zu mir.
„Und ... äh ... Dr. Watson."
„Ah!" Jim schien erfreut.

Ich war stolz auf Richard. Er machte seine Sache hervorragend.
Er schaute schüchtern und aufgeregt zu Sherlock.
„Sie sind also Sherlock Holmes! Ich bin ganz aufgeregt, sie kennenzulernen, Molly hat mir alles über Sie erzählt!"
Sherlock reagierte nicht.
„Jim arbeitet in der IT", sagte Molly, ebenfalls aufgeregt. „So haben wir uns kennengelernt."

Es erfordert ja schon ein großes schauspielerisches Talent, ein kriminelles Mastermind überzeugend zu spielen.
Allerdings ein kriminelles Superhirn darzustellen, das einen harmlosen Schwulen spielt, der wiederum sein Schwul sein versteckt ... dieses mehrschichtige Schauspielern und das vor den sehenden Augen eines Sherlock Holmes ... das war eine echte Leistung.
Und Richard meisterte sie mit Bravour.
Ich amüsierte mich sehr über das Ganze.

Und noch eine Sache amüsierte mich:
Sherlock würde gerne mit mir schlafen, soviel war sicher.
Molly würde gerne mit Sherlock schlafen.
Richard schlief mit Molly.
Und ich schlief mit Richard und so schloss sich der Kreis.

Sherlock würde sterben.
Molly wäre nach seinem Tode zumindest innerlich auch tot.
Richard würde sterben.
Ich würde ihnen allen den Tod bringen.
Auch das war eine Art Kreis, nur dass ich bei diesem Kreis den Mittelpunkt bildete.
Ach ja, ich liebte solche Metaphern. Ja, auch in so etwas bin ich einfach gut.

Das Janus ProjektWhere stories live. Discover now