Ein Blick zurück, und ein Schluck Schnaps

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Anna sitzt im Bug des Boots und beäugt das Wasser um sie herum misstrauisch. Aber wenigstens musste Leonie dieses Mal keinen Zwang anwenden. Anna ist freiwillig eingestiegen.

Rosie sitzt hinter Anna, dann kommt Klaus, und Leonie sitzt im Heck, weil sie steuern muss. Der knappe Platz zwischen ihnen ist mit Ausrüstung von Vorräten vollgestopft. Das Boot ist überladen und liegt tief im Wasser. Leonie hofft auf ruhiges Wetter – schon kleine Wellen könnten alles unter Wasser setzen.

Sie stösst mit dem Paddel gegen den Steg und schiebt das Boot fort vom Land, fort von zuhause. Rosie und Klaus haben den Kopf gedreht und beobachten das Haus, während der Abstand immer grösser wird. Auf Rosies Wangen glitzern Tränen.

Leonie würde ihnen gerne sagen, dass sie bald zurückkehren werden. Aber irgendwie zweifelt sie daran.

Bald verliert sich das Haus im Nebel, der still über dem See schwebt. Das einzige Geräusch ist das Murmeln der Paddel im Wasser.


Die Reise über den See verläuft wunderbar ereignislos.

Die Nacht verbringen sie in der Burg am Wasser. Für Leonie fühlt es sich seltsam an, wieder dort zu sein, wenn auch in anderer Gesellschaft.

Nach dem Essen bietet Klaus den anderen Feuerwasser an. Rosie schüttelt den Kopf und legt schützend eine Hand auf ihren Bauch. Auch Leonie lehnt ab — sie erinnert sich daran, was das Getränk an diesem Ort das letzte Mal bei ihr anrichtete. Als Klaus die kleine Flasche Anna hinhält, schaut diese fragend zu Leonie, und Leonie bewegt warnend einen Finger hin und her. Klaus ist der einzige, der einen Schluck nimmt. Danach verstaut er sie wieder in seinem Gepäck.

Der Abend ist ruhig und gemütlich. Anna, Klaus und Leonie erzählen Märchen, weil Rosie gesagt hat, dass sie keine kenne und sich auf ihre Mutterrolle vorbereiten möchte. Anna weiss nur eines, Rotkäppchen. Irgendwie hat es die Jahrhunderte überdauert, auch wenn ein Erzähler in der Vergangenheit die Figuren gekidnappt und unter die Erde geschleppt hat. In Annas Geschichte ist der dunkle Wald durch ein Labyrinth von Tunneln ersetzt.


Am nächsten Tag überqueren sie das obere Seebecken und legen bei der Villa an, dort wo Anna und Leonie das letzte Mal das Boot gefunden haben. Sie verstecken es wieder im Bootshaus.

Dann schultern sie ihr Gepäck und brechen gegen Südosten auf, ins Tal hinein. Der Rauch des Dorfs ist in der Ferne gut zu erkennen.

Sie verbringen den Tag mit Marschieren, und am Abend schlagen sie ihr Camp in einem alten Industriegebäude auf, etwa eine halbe Stunde vom Bunker entfernt.

Sie sitzen um ein kleines Feuer, das sie tief im Innern des Gebäudes entfacht haben, weit weg von allen Fenstern. Ihr Abendessen besteht aus gesalzenem Fleisch, Früchten und Pfefferminztee.

„Was machen wir jetzt?" Klaus stellt die Frage, die auch Leonie auf der Zunge liegt. Sie haben verschiedene Pläne diskutiert und sind nicht zu einer Lösung gekommen.

Alle schauen Leonie an. Sie fühlt, wie sie errötet.

Sie überlegt sich, ob sie nach Vorschlägen fragen soll. Aber dann realisiert sie, dass die Zeit für Diskussionen vorbei ist.

„Morgen", sagt sie, „schleichen Anna und ich uns zum Dorf und zum Bunker. Wir müssen wissen, wie die Dinge dort stehen. Klaus und Rosie, ihr werdet hier bleiben. Es tut mir leid, aber je weniger Leute wir sind, desto besser können wir verborgen bleiben."

Es tut ihr wirklich leid, die beiden hier zurückzulassen, aber sie ist sich sicher, dass es so am besten ist.


Welt der RuinenWhere stories live. Discover now