Kopfüber, und eine Gittertüre

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Dunkelheit, Schaukeln, ein schweissiger Geruch. Schmerz.

Und sie hängt kopfüber. 

Langsam öffnet sie ihre Augen. Ihre Nase ist in Tuch gedrückt. Darunter befindet sich etwas Warmes, Weiches – in Bewegung.

Sie wendet ihr Gesicht vom Tuch ab und sieht Landschaft vorüberziehen. Eine Welle von Übelkeit erfasst sie. Sie stöhnt.

"Hey, sie is' wach!" hört sie eine Stimme über ihr. Die Welt dreht sich, und dann landet sie unsanft auf dem Boden. Schmerz zerreißt ihren Kopf. Sie blickt hoch und sieht den grossen, dunkelhaarigen Kumpel von Jan, der sie offenbar über seiner Schulter getragen hat.

„Jetzt kannst du ja selbst gehen", hört sie Jans Stimme, und dessen grinsende Fratze schiebt sich in ihr Gesichtsfeld.

Der Grosse reicht ihr die Hand und zeiht sie hoch. Schwindel erfasst sie und sie braucht einem Moment, um ihr Gleichgewicht zu finden. Ihr Kopf dröhnt. Offenbar hat ihr jemand eins übergezogen. Sie berührt mit einer Hand ihren Hinterkopf und ertastet eine grosse Beule.

„Wenn du nicht noch eins auf die Rübe willst, dann komm jetzt brav mit uns", sagt Jan, und hebt drohend sein Gewehr.

Leonie blickt sich um und bemerkt, dass sie auf dem Weg vom Dorf zum Bunkereingang stehen. Mit ihr sind Jans Leute. Silvan und Jenna sind verschwunden. Vielleicht sind sie im Dorf geblieben.

Jan stösst ihr das Gewehr in den Rücken und drängt sie bergwärts. Sie setzt sich in Bewegung.

Nach kurzer Zeit erreichen sie das Tor zum Bunker. Es ist geschlossen. Jan schlägt mit dem Gewehr dagegen, und wenige Augenblicke später beginnt es sich zu öffnen. Drinnen steht der Lockenkopf, den sie schon beim Joggen gesehen hat. Jan stösst Leonie an ihm vorbei in eine düstere, geräumige Halle. 

Im Licht einiger schwacher Scheinwerfer an der Decke sieht sie links und rechts grosse Objekte stehen, wie grosse Tiere, die im Halbdunkel lauern. Sie braucht einen Moment um zu erkennen, dass es sich um Fahrzeuge handelt. Militärfahrzeuge. Zwei Fahrzeuge mit grossen Rädern, ein Lastwagen mit einer seltsam rundlichen Fahrerkabine, und weiter hinten sieht sie etwas, das wie ein Panzer aussieht, aber ohne Raupen.

Jan drängt sie weiter, auf die gegenüber liegende Seite der Halle zu. Dort befindet sich ein zweites Tor, das offen steht. Dahinter befindet sich ein breiter Gang, der schräg nach unten führt. Er ist breit genug für ein Fahrzeug. In regelmässigen Abständen sind an der Decke Lampen angeordnet, von denen etwa die hälfte ein schwaches, bläuliches Licht aussstrahlt.

Es liegt ein feucht-schimmliger Geruch in der Luft.

Nach einigen Minuten erreichen sie ein weiteres, offenes Tor, und dahinter liegt eine zweite Halle, viel kleiner als die erste. Von hier zweigen verschiedene Gänge ab. Derjenige, den sie nehmen, führt zu einer Treppe. Beim Blick nach unten wird Leonie wieder übel, und sie muss sich am Geländer festhalten. Jan stösst ihr nochmals das Gewehr in den Rücken, und sie beginnt Stufe um Stufe hinabzusteigen. Ihre Hand hält sie um das kalte Geländer geklammert.

Am unteren Ende der Treppe gelangen sie über einen Korridor in einen grossen Raum, den hellsten, welchen Leonie bisher gesehen hat. Sie muss blinzeln. Als sich ihre Augen an das Licht gewöhnt haben, erkennt sie ein paar Tische, an denen Leute sitzen, die schweigend auf die Neuankömmlinge starren. Die meisten davon Frauen.

Eine davon ist Anna. Sie blicken sich einen Moment lang an, Anna öffnet den Mund, dann schiebt Jan sie unsanft weiter, in einen weiteren Korridor. 

Es folgt ein Wirrwarr von Gängen und Türen. Alles sieht gleich aus. Schmutzige Wände im Licht schwacher Lampen. 

Leonie hat es aufgegeben, sich den Weg merken zu wollen, als sie schliesslich über eine steile Treppe in einen engen Gang geführt wird. Auf dessen einer Seite sieht Leonie eine Gittertüre. Der Kleine mit Bart öffnet sie, und Leonie wird in den Raum dahinter gestossen. 

Mit einem metallischen Krachen schliesst sich die Türe. Leonie dreht sich um und sieht Jan, der sie mit einem Schlüssel zuschliesst.

„Willkommen in unserem bescheidenen Heim", sagt er, die Augenbrauen spöttisch hochgezogen, die Arme theatralisch ausgebreitet. Leonie starrt ihn schweigend an.

Wieder breitet sich ein hässliches Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er fährt mit seiner Zunge langsam über seine Lippen, eine Geste, die Leonies Übelkeit fast ins Unerträgliche steigert.

„Wir werden später miteinander reden", sagt er, hebt seine Hand wie zum Abschiedsgruss und folgt den anderen, die den Zellentrakt offenbar bereits verlassen haben.

Eine Türe knallt, danach Stille. 

Und dann wird das Licht ausgeschaltet.

Leonie steht in der Dunkelheit. Ihre Knie zittern, ihr Kopf schmerzt. Tränen laufen über ihre Wangen.

Welt der RuinenWhere stories live. Discover now