Fragen, und ein Arschloch

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Leonie mustert Anna, die ihren Apfel isst. Anna schaut auf, immer noch mit Trotz in ihren Augen.

Leonie weicht dem Blick aus.

Mist, wie soll das jetzt weitergehen?

Und was denken sich diese Leute überhaupt? Diese 'Regierung' in ihrem Loch, welche den Menschen im Dorf diese Chips verpasst, die sie gefühllos und gehorsam machen, zu Sklaven? Diese 'Regierung', die harmlose Fremde niederschlägt und in ihr Loch schleppt.

Wieder einmal fühlt Leonie Zorn in sich hochsteigen.

"Du hast keine Ahnung." Die Worte entschlüpfen Leonie spontan, ohne dass sie darüber nachdenkt. Sie ist es leid, zu schweigen. "Du hast keine Ahnung, wie lang der Weg ist, der mich hierhergeführt hat. Du hast keine Ahnung, was ich erlebt habe ... und du würdest es mir auch nicht glauben, wenn ich es dir erzähle. Ich würde es mir selbst nicht glauben."

Leonie holt Luft und merkt, wie sie in Fahrt kommt. "Und ich gebe einen Scheiss drauf, ob du mir glaubst. Aber ich werde meine Freunde aus eurem Loch da rausholen. Und ein paar feige, blasse Typen, die sich in diesem Loch verstecken ... die werden mich nicht aufhalten. Es ist mir egal, dass ihr euch zur Regierung ernannt habt. Es ist mir auch egal, wenn ihr die Leute im Dorf mit irgendwelchen Chips ... in Gemüse verwandelt habt. Aber ich sag dir eins." Leonies Zeigefinger richtet sich wie eine Pistole auf Annas Nase. "Wenn deine Leute Silvan und Jenna nicht freigeben, dann werden sie das bereuen."

Ups, eigentlich wollte ich ja sie zum reden bringen. Und jetzt rede ich selbst.

Anna blickt sie schweigend an. 

Du verstehst sicher kein Wort von dem, was ich gesagt habe, und denkst jetzt sicher, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe... Vielleicht hast du ja Recht.

Aber Anna scheint zumindest etwas verstanden zu haben. "Dann gehörst du also zu den beiden, welche Jan eingesperrt hat? Das habe ich vermutet."

"Jan?" drängt Leonie. "Wer ist das, und wieso hat er meine Freunde eingesperrt?"

Annas bleiches Gesicht rötet sich. Auch sie hat offensichtlich mehr gesagt, als sie wollte.

"Ist Jan euer Regierungschef ... euer Häuptling ... euer Guru?" Leonie sucht nach Schimpfwörtern. "Euer Leitaffe?"

"Unser Präsident."

Ha, das passt.

Leonie schnaubt. "Toller Titel. Und wieso lässt der erhabene Präsident unschuldige Leute niederschlagen? Wieso sperrt er sie ein?"

"Das musst du ihn fragen, nicht mich." Anna zuckt mit den Schultern.

"Ich glaube nicht, dass ich Lust habe, mit dem Typen zu reden. Aber vielleicht werde ich ihm meinen Schürhaken über die Rübe ziehen. Ist er der Grosse, mit dem kurzen, blonden Haar?"

Anna nickt.

Sie erinnert sich an ihn. Sie hat ihn vor dem Bunker gesehen, und auch im Dorf. Ein offensichtlicher Anführer. Er war ihr schon auf den ersten Blick unsympathisch. Jetzt überlegt sie, wie sie seine Fresse polieren könnte.

Dann schaut sie Anna an, aus deren Gesicht der Trotz nun gewichen ist. Der Gesichtsausdruck des Mädchens vor ihr ist nicht zu entziffern. 

Leonie holt eine Wasserflasche aus ihrem Rucksack und reicht sie Anna. "Hier. Wasser."

Anna nimmt die Flasche entgegen. "Danke", antwortet sie und trinkt begierig.

"Hast du sie gesehen?", fragt Leonie. "Ich meine Silvan und Jenna, die zwei, die euer grosser Präsident hat einsperren lassen ... in seiner blonden Weisheit?"

"Nur ganz kurz, als sie in die Zellen gebracht wurden. Der Weg zu den Zellen führt durch den Aufenthaltsraum. Ich sass dort, mit meinem Bruder, als deine Freunde reingebracht wurden."

"Wie ging es dem Jungen, Silvan?"

"Er hat am Kopf geblutet und war offensichtlich benommen. Aber ... ich glaube nicht, dass er ernsthaft verletzt ist. Das hätte sich rumgesprochen, und ich habe nichts gehört. Ich nehme an, er ist einfach immer noch in einer der Zellen eingesperrt. Und das Mädchen auch. Nur Jans engster Kreis hat dort Zutritt."

Leonie schaut Anna in die Augen. "Silvan und Jenna sind meine Freunde. Kannst du verstehen, dass ich mir Sorgen mache?"

Anna erwidert Leonies Blick. Sie schluckt, dann nickt sie. "Ja, ich kann dich verstehen. Und ... es tut mir leid. Aber Jan ... er ist ein Arschloch."

Wider Willen muss Leonie lachen.

"Was ist daran so lustig?" Annas drückt ihre Lippen zusammen.

"Entschuldige ... Lustig ist es nicht. Aber die wirklich guten Ausdrücke ... die überdauern offenbar Jahrhunderte."

Anna schaut Leonie stirnrunzelnd an.

Ja, ich weiss. Meine Worte machen keinen Sinn für dich.

Welt der RuinenWhere stories live. Discover now