Brot und Honig

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Am nächsten Morgen steht Leonie früh auf, schnappt sich einen Kessel mit Klaus' Lauge und schleicht sich raus. Das Wasser des Bachs ist kalt, aber seine Frische fühlt sich gut an. 

Danach fühlt sie sich zum ersten Mal seit Wochen wieder sauber. Sie lässt sich in den Strahlen der Morgensonne trocknen. Die Wärme vertreibt das kribbelnde Gefühl, welches das Wasser hinterlassen hat.


Im Haus findet sie Rosie und Klaus beim Zubereiten des Frühstücks. Sie lächeln, als sie eintritt. Rosie legt einen Finger auf die Lippen und deutet auf das Zimmer, in welchem Anna die Nacht verbracht hat.

„Schläft sie noch?", flüstert Leonie.

Rosie hebt die Schultern. „Ich weiss nicht. Aber falls sie noch schläft, sollten wir sie lassen. Das tut ihr sicher gut."

Sie setzen sich an den Tisch und Leonie betrachtet mit Vorfreude ein Stück Brot, das Rosie auf den Teller vor ihr legt. Dann reicht Klaus ihr einen kleinen Topf und grinst.

Im Topf befindet sich eine bernsteinfarbene Masse. Leonie schnüffelt vorsichtig daran. „Honig!", ruft sie und vergisst für einen Moment, dass sie leise sein sollte. Sie erinnert sich an die Salbe von gestern, diejenige mit Honig und Zwiebeln. „Haltet ihr jetzt Bienen?"

„Nee", antwortet Klaus mit leiser Stimme. „Wir sind viel primitiver. Wir haben ganz in der Nähe einen Bienenstock gefunden.

„Und wie habt ihr ... die Bienen dazu überredet, euch vom Honig abzugeben?"

„Tja, das ist der primitive Teil unserer ... Bienenhaltung. Ich habe unter dem Bienenstock ein Feuer angemacht, eins mit viel Rauch. Wir haben sie ausgeräuchert." Er zögert, dann zuckt er mit den Schultern. „Ja, ich weiss, das war nicht sehr nett. Aber ... es geht hier ja ums Überleben des Stärkeren. Oder sonst so was."

Leonie taucht ein Messer in den Topf und probiert den Honig. Sein Geschmack ist etwas rauchig, aber er ist wohl das Süsseste, was sie gegessen hat, seitdem es sie in diese Welt verschlagen hat. Sie schmiert sich grosszügig ihr Stück Brot damit.

Als sie hineinbeisst, stellt sie fest, dass auch Rosies Brotbackkünste deutliche Fortschritte gemacht haben. Das Gefühl ihrer sich zusammenziehenden Speicheldrüsen ist schon fast schmerzhaft.


Sie sind fast mit dem Frühstück fertig, als Anna die Küche betritt. Ihr Gesicht ist bleich, aber sie lächelt scheu. Rosie grüsst sie freudig und führt sie zum Tisch, wo sie sie auf einen der Stühle setzt. Dann beginnt sie damit, Anna zu füttern, mütterlich und mit offensichtlicher Begeisterung für ihre Rolle als Gastgeberin.

Klaus stellt ein paar Fragen über den Bunker und ihr Leben dort, doch Annas Antworten sind ausweichend und kurz. Leonie bemerkt den Widerwillen ihres Gastes und blickt Klaus streng an. Er reagiert auf den Hinweis und wechselt das Thema. Er erzählt von den Fallen, welche er und Rosie am Vortag aufgestellt haben.

Nach dem Frühstück prüft Rosie Annas Wunde, und dann schickt sie ihre Patientin ins Bett zurück.


Rosie, Klaus und Leonie räumen die Küche auf.

„Wir müssen zurück", sagt Leonie, während sie einen alten Porzellanteller wäscht, von welchem sie gegessen haben. Sie schrubbt ihn mit ihren Händen in einer grossen Schüssel Laugenwasser, die auf einem Schrank vor dem Fenster steht.

„Zurück? Wohin?" fragt Rosie und nimmt den sauberen Teller entgegen, um ihm mit einem viel zu kleinen Handtuch zu trocknen. Das Tuch sieht verdächtig nach einer bunt gestreiften Socke aus.

Welt der RuinenWhere stories live. Discover now