Eine Diskussion und ein Versprechen

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"Und ich sage dir, das war eine Rauchfahne!" Die Lautstärke ihrer eigenen Worte überrascht Leonie.

Silvan ist ein Starrkopf.

"Aber wir können nicht sicher sein." Er weigert sich Leonies Beobachtung zu glaben.

Sie ist sich zwar selbst nicht ganz sicher, was sie an jenem Morgen gesehen hat, vor ihrem Kampf mit dem Bären, doch sie ist überzeugt, dass sie es sich genauer anschauen müssen. 

Sie ballt ihre Fäuste und schlägt auf den Tisch vor ihr. "Die Sicht war gut... Und das Licht der Sonne, es reichte bis ins Tal. Es beleuchtete den Rauch. Es war eine Rauchsäule, glaub's mir!"

Er hebt abwehrend seine Hände. "Aber du hast doch selbst gesagt, dass du dir nicht ganz sicher bist." Silvan wirkt schon fast wie ein Lehrer – eine Unterspezies des Homo Sapiens, welche Leonie eigentlich für ausgerottet gehalten hat. "Und zudem hattest du ja gleich danach diese ... Meinungsverschiedenheit mit dem Bären. Vielleicht ... versteh mich nicht falsch ... aber vielleicht ist deine Erinnerung etwas getrübt. All das Adrenalin und so..."

Manchmal erinnert Silvan sie an ihre Mutter. Auch die hat, wenn Leonie etwas sagte, immer zuerst mal skeptisch reagiert. Sie wusste alles ja so viel besser.

"Selbst wenn wir uns nicht sicher sind..." Leonie sucht nach den richtigen Worten. "Verstehst du nicht, wie wichtig das ist? Das ist vielleicht die wichtigste Entdeckung überhaupt. Wenn's da oben Menschen gibt... Das würde alles ändern." Ihr Blick fixiert Klaus. Er ist der Neugierigste hier. Zumindest er wird sich das doch näher anschauen wollen.

Er beisst sich in die Unterlippe, dann schüttelt er den Kopf. "Bis zum oberen Ende des Sees sind es fast zwei Tagesmärsche. Das ist zu weit für einen Ausflug mitten im Winter." 

Rosie, die neben Klaus sitzt, nickt zustimmend, wie immer, wenn Klaus etwas sagt. Die zwei sind solche Stubenhocker geworden. Sie verlassen kaum je das Haus.

Leonie blickt in die Runde. Die einzige, welche keine Meinung geäussert hat, ist Jenna. Sie ist mit ihren Meinungen in letzter Zeit zurückhaltend – ein Charakterzug, den Leonie schätzt.

Aber die Mehrheiten sind auf jeden Fall klar.

Leonie überkreuzt ihre Arme und lehnt sich zurück. "Na gut." Sie weiss, dass sie kein geduldiger Mensch ist, und die Vorstellung, ihrem Gedanken nicht sofort auch Taten folgen zu lassen, ist ihr fremd, aber die anderen lassen sich offensichtlich nicht umstimmen. Und tatsächlich ist es vielleicht nicht die beste Idee, mitten im Winter auf diese Expedition aufzubrechen. "Okay, verschieben wir die Sache noch ein wenig, bis es wärmer ist. Aber dann schauen wir uns das an. Versprochen?"

"Versprochen!" stimmt Silvan zu. "Im Frühling erkunden wir das Tal." Die anderen nicken, offenbar mit seinen Worten einverstanden, oder in der Hoffnung, dass die Diskussion damit beendet ist.

Leonie fixiert jeden ihrer Kameraden nacheinander. Sie fragt sich, wie ernst es den vieren mit ihren Beteuerungen ist. Im Gegensatz zu ihr scheinen sie ja mit dem Stand der Dinge recht zufrieden zu sein.


Aber der Winter hat die Landschaft fest im Griff, der Frühling ist nicht absehbar. Leonies Geduld wird geprüft.

Wenigstens hilft ihnen das Reh, das Leonie erlegt hat, über die nächsten Wochen. Die Lagerung des Fleisches ist bei der andauernden Kälte kein Problem. Dennoch gehen Leonie, Jenna und Silvan täglich auf die Jagd. Manchmal zu dritt, aber meist ist Leonie alleine unterwegs. Sie will den zwei nicht den ganzen Tag zuschauen.

Die Zukunft wird bessere Tage bringen... sicher.

Bären und Ausflüge mit Übernachtung versucht sie zu vermeiden. Zumindest bis zum Frühjahr.

Welt der RuinenWhere stories live. Discover now