Hangover und eine Entscheidung

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Leonie marschiert landeinwärts, weg vom See.

Mit der Bewegung werden die Schmerzen in ihrem Kopf schlimmer, und das helle Licht der Sonne bohrt sich unangenehm in ihre Netzhaut und die Überreste ihrer Hirnwindungen. Übelkeit drückt ihr die Kehle zu. Sie fragt sich, was in Klaus' Teufelswasser nebst Alkohol sonst noch drin ist.

Sie ist nahe daran sich zu übergeben, als sie eine Gruppe von Ruinen erreicht. Sie sehen aus wie eine alte Fabrik, billig gebaut und fast völlig zerfallen. Aber eines der Gebäude besitzt noch ein erkennbares Erdgeschoss und eine Türöffnung. Ohne zu zögern tritt sie ein und steht vor einer Treppe, die in den Keller fühlt und Dunkelheit verspricht, weit weg vom Tageslicht. Diese Aussicht gefällt ihr und sie steigt hinunter.

Ohne eine Fackel anzumachen tappst sie sich durchs Dunkel und verkriecht sich in einer dunklen Ecke, macht sich dort ihr Lager und rollt sich zusammen, fest entschlossen, nie mehr bei Tageslicht nach draussen zu gehen.


Als sie wieder aufwacht, ist ihr Mund trocken und ihre Zunge fühlt sich an, als sei ihr ein Fell gewachsen. Ihr Kopf schmerzt immer noch, aber sie realisiert, dass sie wieder in der Lage ist, vernünftige Gedanken zu fassen.

Mist!

... Das ist der erste vernünftige Gedanke, den sie formuliert.

Was ist heute Morgen nur in sie gefahren? 

... Der Zweite.

Schnell packt sie ihre Sachen zusammen, zieht den Rucksack auf und steigt die Treppe hoch. Draussen ist es immer noch Tag und viel zu hell. Sie drückt ihre Fellzunge gegen den Gaumen und kneift die Augen zu Schlitzen zusammen. So verlässt sie das Gebäude und versucht sich zu orientieren. Sie eilt hangabwärts, dort muss der See liegen.

Bald sieht sie die Burg zwischen den Bäumen. Die Stelle, an der sie am Morgen das Boot festgebunden hat, ist einfach zu finden. 

Das Boot ist verschwunden.

Offenbar hat Silvan sein Bad im See genommen.

Von ihm und Jenna ist keine Spur zu sehen. Der See liegt still glitzernd im immer noch viel zu hellen Licht und kümmert sich nicht um Leonies Gefühle von Wut und Scham.

Sie setzt sich auf die Überreste der Uferbefestigung. Ratlos schaut sie sich um.

Zweifellos hat sie heute Morgen überreagiert. Aber was Silvan gestern Abend gesagt hat, wie er sie behandelt hat ... Sie ist weder seine Bedienstete noch eine Sängerin, welche da ist, um den Herrschaften zu gefallen.

Dann fragt sie sich, wohin Silvan und Jenna gefahren sind. Entweder haben sie die Expedition fortgesetzt und sind heute zum Tal gepaddelt, oder sie sind umgekehrt.

Sie stellt sich vor, wie die beiden jetzt neben ihr sitzen könnten – wie gestern, auf dem Boot. Sie könnten Pläne austauschen und einfach zusammen sein.

Ich vermisse sie.

Sie hebt die Schultern. Eigentlich spielt es ja keine Rolle. Sie muss jetzt selbst entscheiden, was sie tun soll. Die Sonne hat ihren Zenit überschritten, es ist Nachmittag. Sie könnte westwärts gehen, nachhause. Wenn sie gut vorankommt, wäre sie wahrscheinlich morgen Abend bei Klaus und Rosie.

Aber die würden sicher wissen wollen, wieso sie alleine zurückkehrt. Nun, sie könnte ja sagen, dass sie sich von ihnen getrennt hat... aber diese Antwort tönt nicht wirklich cool.

Dann blickt sie in die andere Richtung, zum Tal. Die Berge sind schon fast zum Greifen nahe, ein paar Stunden zu Fuss vielleicht. Soweit östlich war sie noch nie.

Wenn sie schon mal hier ist, könnte sie ja noch etwas weiter gehen. Sie könnte endlich herausfinden, was es mit dem Rauch auf sich hat. Der Gedanke gefällt ihr viel besser als die Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen mit ihren Freunden und die dann zweifellos folgenden, unangenehmen Erklärungsversuche.

Sie realisiert, dass sich ganz unbemerkt ein Lächeln auf ihre Lippen geschlichen hat.

Neugierig blickt sie ins Tal, das sich wuchtig und breit in das Gebirge erstreckt. Sie sucht nach dem Rauch, nach einem Zeichen, dass das Ganze nicht nur eine Jagd nach Geistern ist. Es wäre schön, wenn diese Welt noch mehr zu bieten hätte als nur Ruinen, Bären und fünf Menschen.

Es ist kein Rauch in Sicht.

Sie steht auf und wendet sich gegen Osten, zum Tal hin.

Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens.

Abgedroschen, sie weiss, aber der Spruch gefällt ihr.


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Liebe Leser

Das war die Auffahrts-Spezialausgabe.

Die gute Leonie steht jetzt mit beiden Beinen im zweiten Teil der Geschichte, und wir werden ihr dabei über die Schulter gucken. Das Schicksal hält die eine oder andere Überraschung für sie bereit.

Es freut mich sehr, dass ihr bis hier gelesen habt. Mir macht das Ganze viel Spass, und ich hoffe, dass es euch auch gefällt. Falls ja, so bewegt doch euren Finger – in der für euch so typischen Anmut – dann und wann auf das kleine Sternchen da unten, würde mir viel bedeuten :-)

Oder wenn ihr etwas zu sagen habt, hinterlasst einen Kommentar.

All den bisherigen Lesern, Kommentatoren und Votern herzlichen Dank!

Welt der RuinenWhere stories live. Discover now