Kapitel 115: Kai

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Wir flogen in die Richtung, aus der wir kamen. Meilenweites Ödland, das wir nun innerhalb weniger Stunden hinter uns ließen.

„Die Bäume sind also im Westen", sagte ich und sah nach unten. Den trostlosen Aschefeldern folgte nun eine weite Wüste.

„Wenn es stimmt, dass der Sturm aus dem Westen zu uns kommt, dann ja", antwortete Mum.

Einige Zeit später entdeckte ich die ersten Hütten. „Ist das eine Stadt?"

„Das sind die westlichen Siedlungen."

„Ich spüre weißes Chakra."

„Ja. Die meisten Halbdämonen, denen du in dieser Welt begegnen wirst, wirst du dort unten finden. Diesen Ort haben sie sich selbst errichtet. Weit abseits jeglicher Zivilisation. Um ein Zuhause zu haben."

„Warst du schonmal hier?"

„Ja, mehr als einmal." Sie hing eine Weile ihren Gedanken nach, ehe sie fortfuhr. „Aber ich habe mich dort nie zu Hause gefühlt."

„Der Dämonenfürst Osiris", murmelte ich, „er hat dich innerhalb seiner Mauern leben lassen. Obwohl du ein Halbdämon bist."

„Besonders schlau war er ja auch nicht", mischte sich Lloyd von weiter hinten ein. „Er hat mich einfach mit euch ziehen lassen."

„Denkst du, das hätte er getan, wenn du der richtige Brak gewesen wärst?", fragte Mum.

„Na ja, warum hätte er mich einsperren sollen, nur um mich dann wieder freizulassen?"

„Er hat uns alle ziehen lassen", entgegnete sie. „Und dich nur, weil er wusste, wer du bist."

Lloyd schwieg.

„Für die meisten vollblutigen Dämonen sind wir Abschaum", fuhr sie fort. „Aber nicht alle denken so. Bei den Menschen ist es doch genauso. Die meisten von ihnen würden einen Halbdämon nicht unter ihrem Dach wohnen lassen."

„Er hat noch Hoffnung", sagte ich.

Mum nickte. „Genauso wie du."

Du hast sie auch einst gehabt ...

„Er weiß also, was wir vorhaben und hat uns deshalb ziehen lassen?", fragte Lloyd.

„Fällt dir eine andere plausible Erklärung ein?", fragte Garmadon.

„Na ja, nein."

Weitere Stunden vergingen und die Fledermäuse zeigten bereits erste Anzeichen von Müdigkeit. Mum beschloss, eine Pause einzulegen.

Wir landeten nahe einer gigantischen Höhlenöffnung, in die wir die Tiere hineinführten. „Besser, sie werden nicht sofort von jedem gesehen", murmelte Mum und kettete sie an. Mein Onkel half ihr dabei.

„Ich will endlich etwas essen." Lloyd durchwühlte die Taschen, die sie uns mitgegeben hatten, und holte mehrere Feldtaschen heraus. Er öffnete eine von ihnen und roch daran. „Riecht nach gar nichts."

Mum kam zu ihm und roch ebenfalls. „Wasser."

„Dämonen trinken Wasser?", fragte er überrascht und probierte einen Schluck.

„Unter anderem." Mum schmunzelte. „Dachtest du, sie sind blutsaugende Monster?"

„Ausgeschlossen habe ich es nicht."

„Gut", sagte sie und erhob sich wieder. „Denn Blut trinken sie ebenso gerne wie Wein."

Fassungslos sah Lloyd ihr nach.

„Sei froh, dass die Flüssigkeit nicht rot ist", grinste ich.

Er ignorierte meinen Kommentar und holte die Essensrationen heraus. „Viel Fleisch."

„Wenn du dir die Länder hier anschaust, wirst du kaum etwas Grünes finden", sagte sie.

„Na ja, immerhin können wir es braten. Oh, sie haben uns tatsächlich Brot eingepackt. Und Beeren. Ich frage mich nur, von wem oder was dieses Fleisch stammt."

„Dämonen essen keine anderen Dämonen", beruhigte ihn Mum und entzündete ein Feuer.

Lloyd reichte ihr und Garmadon das Fleisch und rückte zu mir etwas abseits der zwei. „Du solltest glückerlicher aussehen."

„Was meinst du?"

„Nach so vielen Jahren hast du endlich deine Mutter gefunden."

„Sie hat uns die ganze Zeit allein gelassen", flüsterte ich. „Selbst, als sie die Hoffnung längst aufgegeben hatte, ist sie nicht zu uns zurück gekehrt."

„Aber sie lebt. Und sie ist jetzt für dich da. Ist das nicht alles, was zählt?"

Ich antwortete darauf nicht.

Schweigend legte Lloyd seinen Arm um mich und strich durch mein Haar. „Was auch passieren wird, wir stehen es zusammen durch."

Erschöpft lehnte ich mich gegen seine Schulter und schloss die Augen. „Danke."

Er küsste meinen Nacken. „Sag mal, was hat dich Osiris da vorhin eigentlich gefragt?"

„Er wollte wissen, ob ich die Dämonen nun ein klein wenig besser verstehen kann."

„Und was hast du ihm geantwortet?"

„Und, kannst du die Dämonen nun ein klein wenig besser verstehen?"

„Ja, das kann ich. Und ich werde alles versuchen, um diesen Sturm aufzuhalten. Damit Menschen und Dämonen beide weiterleben können."

„Ja", sagte ich. „Ich habe ihm mit ‚Ja' geantwortet."

Ninjago: Blaue FlammenWhere stories live. Discover now