Kapitel 100: Kai

93 11 2
                                    

Als wir an der Akademie ankamen, war die Dämmerung bereits vorüber. Die Sonne ging auf und tauchte den Campus in ein friedliches Licht. Nichts ahnend, was sich einige Kilometer weiter nordwärts abgespielt hatte.

„Wir haben viel zu kompliziert gedacht", sagte ich, als wir die Eingangstür passierten. Ursprünglich war es mein Plan gewesen, durchs Fenster zu steigen, aber mein Körper war am Ende seiner Kräfte und so blieb uns nur zu hoffen, so früh am Morgen niemandem über den Weg zu laufen. „Und nicht groß genug. Natürlich sind mit Licht und Schatten Mond und Sonne selbst gemeint. Und zusammen bilden sie einen Kreis ohne Grenzen."

„Bleibt nur die Frage offen, ob damit nun die Mond- oder die Sonnenfinsternis gemeint ist. Und wann die Nächste stattfindet."

„Das finden wir raus. Wofür gibt es schließlich das Internet."

Er nickte leicht.

Dann hörten wir ein Summen. Und kurz darauf spazierte Mönch Gyatso aus unserer Küche. In seiner Hand hielt er eine Zwiebel. Es vergingen gefühlte Minuten, in denen wir uns einfach nur schweigend anstarrten.

Mönch Gyatso räusperte sich schließlich als Erstes. „Verzeihen Sie mir, ich habe eine Schwäche für Zwiebeln und meine waren leider leer."

„Äh, kein Problem", murmelte Lloyd.

Der Mönch lächelte und wollte schon weitergehen, als er uns doch noch einmal eines genaueren Blickes würdigte. „Um Himmels willen, was ist denn mit Ihnen passiert?"

„Nur ein wildes Tier, das uns angegriffen hat", sagte ich und positionierte meine Arme so, dass er die Stichwunde am Bauch nicht erkennen konnte.

„Was denn für ein Tier?", fragte er ungläubig, während sein Blick an meiner aufgeschlitzten Schulter hängen blieb. „Und überhaupt, wo sind Sie so früh am Morgen gewesen? Etwa im Wald?"

„Hören Sie, können wir das später klären? Wir sind ziemlich geschafft und würden uns gerne ausruhen."

Auf meine Worte hin schnaubte der Mönch lediglich. „Sie gehen nirgendwohin. Außer auf direktem Wege zum Krankenzimmer. Montgomery, sind Sie auch verletzt?"

„Nein, mir geht es gut."

„Dann kommen Sie", scheuchte er uns vorwärts und wir drehten wieder um. Dann ging es Richtung Lehrertrakt.

Beim Krankenzimmer angekommen, blieben wir stehen und er öffnete die Tür. „Gehen Sie schonmal rein. Ich werde Ihren zuständigen Sensei informieren."

„Nein, auf keinen Fall!", rief ich. Wohl etwas zu voreilig, denn auf Mönch Gyatsos Gesicht breitete sich Misstrauen aus.

„Und wieso nicht? Sie sind beide blutverschmiert und Sie Smith sind verletzt. Er muss davon erfahren."

„Handeln Sie nicht ein wenig voreilig?"

„Voreilig? Wohl eher im Gegenteil. Sie sind auffällig still und versuchen es zu verheimlichen. Ich werde nun Sensei Garmadon Bescheid geben." Mit diesen Worten wandte er sich um und verschwand die Treppe rauf.

„So ein Mist", murmelte ich und betrat das Krankenzimmer. Lloyd folgte mir. „Was erzählen wir ihm denn bloß?"

„Vielleicht einfach die Wahrheit. Auch wenn sie ihm nicht gefallen wird. Und dir seine Reaktion noch weniger gefallen wird."

Mit einem Seufzer setzte ich mich auf die Liege. „Wir könnten die Shenzhen unerwähnt lassen."

„Und Morro und Skylor auch? Mit welcher Begründung waren wir dann im Wald?"

„Vielleicht war ich ja auch nur grundlos dort. Aus Neugierde, Interesse. Jugendlicher Leichtsinn. Das kauft er mir schon ab. Und du warst nur dort, weil du mir gefolgt bist, um mich von meiner dummen Idee abzuhalten."

„Dann nimmst du die ganze Schuld auf dich?"

„Mit der Wahrheit fahre ich auch nicht besser. Aber so seid ihr wenigstens aus dem Schneider."

„Du verteidigst gerade allen Ernstes Morro und Skylor, nachdem sie dir alles anhängen wollten?"

„Skylor", korrigierte ich. „Nur Skylor hat versucht, ihre eigene Haut zu retten. Morro hingegen war für mich da, als ich fast tot war."

„Gut möglich, aber trotzdem."

„Wenn ich Skylor erwähne und er sie darauf anspricht, wird sie ihm bestimmt noch ganz andere Dinge erzählen. Belassen wir es dabei, dass ich mich einfach über die Regeln hinweggesetzt habe und den Wald erkunden wollte. Allein."

Es dauerte nicht lange, da kam Mönch Gyatso zurück. Und mit ihm, wie angekündigt, Sensei Garmadon.

„Mir geht es gut", sagte ich, noch bevor er den Mund öffnete. „Es sieht schlimmer aus, als es ist."

„Das wollen sie mir schon die ganze Zeit erzählen", murmelte der Mönch und biss in die Zwiebel.

„Lassen Sie uns bitte allein", befahl der Sensei. Gyatso schlich davon und Garmadon schloss die Tür. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit uns zu. „Wo wart ihr und was ist passiert, dass ihr so ausseht?"

„Im Wald. Ein wildes Tier hat uns angegriffen."

„Was für ein Tier?", fragte er und näherte sich mir, bis er direkt vor mir stand. Sein Blick blieb an meiner Schulter hängen.

„Ein Wolf", war das Erstbeste, dass mir einfiel.

„Ein Wolf. Das glaubst du doch selbst nicht." Wie selbstverständlich löste er den Verband. Als er die Wunde sah, sog er scharf die Luft ein. „Verflucht, Kai, was zum ... du kannst mir nicht erzählen, dass das ein Wolf war. Das nehme ich dir nicht ab."

„Und wenn es so war?"

Er verpasste mir eine Ohrfeige. „Wag es nicht, mir weiterhin dreist ins Gesicht zu lügen!"

Meine Wange pochte, als ich mir auf die Lippe biss und meinen Kopf leicht von ihm wegdrehte. Dabei versuchte ich die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.

Er seufzte und nahm mein Kinn. „Kai, sieh mich bitte an."

Es tat weh, zu sehen, wie wütend und enttäuscht gleichzeitig er von mir war. Und noch schlimmer war, dass er recht hatte. Wieso log ich ihn schon wieder an? Wollte ich nicht endlich damit aufhören?

„Tut mir leid, Sensei."

„Seien Sie bitte nicht so hart zu ihm", mischte sich Lloyd ein. „Er hat das nur gesagt, um die anderen zu schützen."

Und auch, um mich selbst zu schützen. Denn letztendlich ist doch jeder nur auf seinen eigenen Vorteil aus.

„Welche anderen?", fragte der Sensei, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Ich antwortete nicht und Lloyd auch nicht.

Wieder seufzte der Sensei. Dann setzte er sich neben mich und legte eine Hand auf mein Bein. „Magst du mir nicht doch davon erzählen?"

Es ist zwar gut und richtig, die Wahrheit zu erzählen, aber nicht immer ist die Wahrheit auch erwünscht. Manchmal kann sie sogar mehr zerstören als die Lüge, die sie verdeckt. In diesem Fall aber beschloss ich, die Wahrheit zu erzählen. Schließlich ging es um Menschenleben und dem nahenden Krieg zwischen Dämonen und Elementarmeistern.

„Ich erzähle dir davon. Aber ich möchte, dass du mir als mein Onkel zuhörst."

Ninjago: Blaue FlammenWhere stories live. Discover now