Kapitel 43: Kai

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,,Ayumi", murmelte ich und blinzelte in das helle weiße Licht, welches von der Lampe über mir ausging. Eine kurze Berührung an meine Wange verriet mir, dass ich geweint hatte.

,,Können Sie - " Er unterbrach sich und fing den Satz von neuem an. ,,Kannst du dich an irgendetwas erinnern? Wie geht es dir?"

Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und starrte meinen Sensei entsetzt an. ,,Habe ich etwa im Schlaf geweint?"

Er nickte. ,,Ja, und ich war kurz davor dich zu wecken, da bist du von selbst aufgewacht."

,,Ayumi", wiederholte ich leise, als wäre dieses Wort eine Art Mantra für mich. ,,Ich kann mich nicht erinnern, aber ich weiß, dass sie da war - und dass ich sie geliebt habe."

Nachdenklich sah er mich an. ,,Ist es uns möglich mit ihr in Kontakt zu treten? Vielleicht bringt diese Begegnung deine Erinnerungen wieder auf Schwung."

Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein, meine letzte Erinnerung an sie ist, wie sie mit einem Strick um den Hals an einem Ast hing - leblos, ihre Augen hatten jegliches Leben verlassen." 

Erneut hatten sich Tränen in meinem Gesicht gebildet, die ich vergeblich versuchte zu verbannen. Sensei Garmadon beugte sich vor und umarmte mich. Etwas perplex erwiderte ich die Umarmung.

,,Das muss furchtbar gewesen sein, einen solchen Tod mit anzusehen. Und ich frage dich wirklich nur ungerne, ob du dich noch an mehr erinnern kannst."

,,Sie hat sich das Leben genommen, warum weiß ich nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass ich es einst gewusst hatte." Ich drückte Garmadon ein wenig fester an mich, da er mir ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gab. ,,Ich glaube, wir waren erst zehn gewesen. Und irgendjemand stand neben mir, als wir sie so vorgefunden hatten, doch die Gestalt war verschwommen und so verzehrt, dass ich sie nicht ausmachen konnte."

,,Schon in Ordnung", meinte er und strich mir beruhigend über den Rücken. ,,Du kannst an ihren Tod nichts mehr ändern."

,,Aber vielleicht hätte ich es damals tun können", murmelte ich, während mir weitere Tränen über die Wangen liefen.

,,Diese Frage können weder du noch ich in der aktuellen Situation beantworten. Also gib dir bitte nicht die Schuld an ihren Tod."

Ich erwiderte darauf nichts, sondern dachte stumm über seine Worte nach. Kann man mit neun Jahren wirklich selbst die Entscheidung getroffen haben, seinem Leben ein Ende bereiten zu wollen?

Langsam löste ich mich von ihm und wischte mir ein weiteres Mal die Tränen aus dem Gesicht. Dann versuchte ich aufzustehen.

,,Vorsicht, ich helfe dir."

Ich nickte nur und ließ mir von ihm aufhelfen. ,,Ähm, ich müsste mal auf die Toilette", sagte ich verlegen, seinem Blick ausweichend.

,,Das schaffst du alleine, oder?", fragte er belustigt und machte den Weg zum angrenzenden WC frei. 

,,Nee, wissen Sie, Sie müssen mir noch die Windeln wechseln", gab ich übertrieben sarkastisch zurück und verschwand im Raum nebenan. Die Tür schloss ich sicherheitshalber ab.


,,Magst du etwas essen?", fragte er, als ich wieder raus kam.

,,Ein wenig, ja."

,,Gut." Er machte Anstalten sich zur Tür zu bewegen. ,,Ist es dir recht, wenn wir dafür in die Cafeteria gehen?"

Auf die Frage hin zuckte ich mit den Schultern. ,,Ist mir egal."

Er nickte und gemeinsam verließen wir den Raum, nur um uns wenig später an einen der Tische in der Cafeteria wiederzufinden; beide einen Teller mit Reis und Gemüse vor sich stehend.

,,Was machen wir gleich?", fragte ich, nachdem die Hälfte des Tellers verspeist war.

,,Wir werden uns gleich mit deiner Schwester treffen", sagte er langsam, wobei mir nicht sein seltsamer Blick entging, den er mir hin und wieder zuwarf.

Ohne etwas darauf zu erwidern, aß ich weiter. Der Sensei hingegen hatte die Stäbchen beiseite gelegt und sah mich ernst an.

Er seufzte. ,,Kai, ich muss dir etwas sagen."

Mein Gesichtsausdruck hatte etwas fragendes angenommen. ,,Was denn?"

,,Nun, ich sagte vorhin zu dir, ich sei dein Sensei - " Er hörte mitten im Satz auf, als er eine weitere Person die Cafeteria betreten sah. 

,,Sensei Wu hat mir bereits davon erzählt", meinte sie an Garmadon gewandt und setzte sich zu uns. Dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf mich. ,,Wie geht es dir, Bruderherz? Kannst du dich an irgendetwas erinnern? Weißt du, wer ich bin?"

,,Du bist meine Schwester, oder?", fragte ich und musterte sie von oben bis unten. 

Sie nickte. ,,Erinnerst du dich an unsere Eltern?"

,,Nein, nur daran, dass unser Vater tot ist."

,,Weißt du, wie er gestorben ist?"

Ich schüttelte den Kopf.

,,Und aus welchem Grund wir hier sind, ist dir ebenso unbewusst?"

,,Ja, ich habe keine Ahnung, was genau das hier für eine Akademie sein soll oder weshalb wir hier sind." Bittend sah ich sie an. ,,Kannst du mir eine Antwort darauf geben?"

Zweifelnd sah sie zu Sensei Garmadon. ,,Ich weiß nicht, die Antwort könnte dich vielleicht überfordern und verwirren. Vor allem, weil die Antwort auf eine Frage weitere Fragen aufwerfen wird, die du sicherlich ebenfalls beantwortet haben möchtest."

,,Ich denke, ich werde dir das wichtigste zusammenfassen", nahm der Sensei das Wort an sich. ,,Diese Akademie dient der Vorbereitung auf den Kampf gegen die Wesen der Unterwelt, Dämonen. In jedem von euch schlummert eine besondere Kraft, die ihr mithilfe eures Qi erwecken könnt, wir betiteln diese auch als Elemente. Zudem gibt es drei Clans, welche sich jeweils auf einen Kampfstil spezialisieren: Die Samurai, die Sōhei und die Shinobi; zu Letzterem gehören auch du und deine Schwester."

Meine Schwester warf ihm einen leicht irritierenden Blick zu. ,,Sie Duzen ihn ja."

,,Er bestand darauf."

Es wirkte so, als würde sie ein Lachen unterdrücken, ehe sie sich wieder an mich wandte. ,,Wieso?"

Ich zuckte mit den Schultern. ,,Wieso nicht? So wirkt es irgendwie vertrauter."

,,Weiß er davon?", fragte sie leise an Garmadon gewandt.

,,Nein", gestand dieser und seufzte. ,,Sie hingegen schon, oder?"

,,Ja. Zugegeben, es war ein ziemlicher Schock und - "

,,Und was?", fragte ich, nachdem sie sich selbst unterbrochen hatte. ,,Es wäre schön, wenn mich mal einer aufklären würde. Worum geht es? Was sollte ich wissen? Und was ist daran so erschreckend?"

Die beiden sahen sich kurz an, dann seufzte der Sensei. ,,Iss jetzt auf, Kai, dann bringe ich dich zurück ins Zimmer."

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