Kapitel 91: Cole

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„Das ist nicht mein Vater", sagte ich langsam. „Das ist nicht mein Vater", wiederholte ich lauter, als müsste ich mich selbst davon überzeugen.

„Natürlich ist das dein Vater", rief der Blondhaarige. „Sperr die Augen auf und sieh ihn dir doch an."

Ich hatte die Augen aufgesperrt. Und sah genau hin. Sehr genau. Langsam schüttelte ich den Kopf und ging einen Schritt rückwärts. Beim besten Willen, diesen Mann kannte ich nicht.

„Das ist nicht mein Vater", sagte ich noch einmal und drehte mich um. „Wo habt ihr meinen richtigen Vater versteckt?"

„Glaubst du, der ist weniger tot als der Kerl da drinnen?", fragte der Blondschopf. Sein linker Mundwinkel zuckte nach oben.

„Ihr verdammten -", wütend ballte ich die Hände zu Fäusten und ging einen Schritt auf sie zu. „Ihr sagt mir jetzt sofort, wo mein Vater steckt, sonst -"

„Sonst was?", fragte der Lange hämisch.

„Sonst bekommt ihr es mit mir zu tun", sagte Kai und stellte sich an meine Seite.

„Mit uns allen", korrigierte Lloyd und stellte sich auf meine andere Seite, links von mir.

Sensei Garmadon blieb hinter Kai und mir stehen.

„Oh, meine Knie zittern bereits", gackerte die Bohnenstange.

„Das werdet ihr noch bereuen!", zischte ich und wollte lospreschen, da packte jemand meinen Oberarm und hielt mich zurück.

„Warte!" Es war Kai.

Verständnislos starrte ich ihn an. „Was heißt denn hier bitteschön ‚warte'? Verdammt, diese Schweine haben -"

„Hör mir zu", sagte er nun mit gesenkter Stimme. Kam meinem Gesicht ganz nahe und flüsterte mir etwas ins Ohr.

Ich antwortete darauf nicht und nickte nur.

„Hey, was flüstert ihr da?", fragte der Blondhaarige misstrauisch.

„Nichts, dass euch irgendetwas angehen würde", erwiderte Kai und trat einen Schritt vor.

Lloyd tat es ihm nach.

Die beiden sahen sich an. Ein kurzes Nicken. Dann griffen sie an.

Ich hätte am liebsten mitangegriffen, aber meine Aufgabe war eine andere.

„Helfen Sie den beiden", sagte ich an den Sensei gewandt, drehte mich um und rannte aus dem Raum.

„He, bleib hier!", rief jemand mir nach.

Ich ignorierte ihn und blieb vor der Tür zum Badezimmer stehen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Hatte Kai recht? Befand sich mein Vater hier drinnen? Würde ich gleich womöglich eine weitere Leiche vorfinden?

Zögernd legte ich meine Hand auf die Klinke und drückte sie nach unten. Die Tür war verschlossen. Verdammter Mist!

Ich versuchte, mich zu beruhigen, und atmete ein paar Mal tief durch. Dann klopfte ich. „Dad, bist du hier drinnen?"

Keine Antwort.

Ich klopfte noch einmal und legte mein Ohr an die Tür. „Dad?"

Und dieses Mal hörte ich etwas. Es war nur ganz leise. Ein undefinierbares Geräusch. Aber ich war mir sicher, dass er es war. Ich wollte Kai glauben, dass er hier drinnen war und lebte.

Ich rüttelte an der Tür, aber natürlich brachte das nichts. „Hör zu, ich weiß nicht, was diese Leute hier wollen, was sie von dir wollen -", von dem anderen Mann, der bereits tot ist. „Aber ich werde dich hier rausholen. Hörst du, Dad? Wir werden diese Typen besiegen und dich befreien. Ich werde dich befreien. Ich ..." Die folgenden Worte blieben aus.

Stumm starrte ich auf die dunkle, aus Fichtenholz gefertigte Tür. Aus dem nahen Wohnzimmer drang das Ächzen und Poltern des Kampfes. Ein langgezogener Seufzer entfuhr mir.

„Dad, ich weiß, dass du mir gerade nicht antworten kannst. Aber ich möchte, dass du mir zuhörst. Nur dieses eine Mal. Bitte."

Schweigen aus dem Badezimmer. Aber ich hatte auch keine Reaktion erwartet.

„Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe. Riesengroßen Mist, um ehrlich zu sein. Es war falsch von mir, dich anzulügen. Falsch von mir, dir eine Geschichte aufzutischen, die nicht der Wirklichkeit entsprach. Ich habe meine Freunde mit reingezogen und sie dazu gebracht, ebenfalls zu lügen. Für mich. Ich dachte immer, ich täte es für dich. Damit du den Sohn bekommst, den du dir immer gewünscht hast. Musikalisch, ein guter Tänzer, Sänger, überragender Pianist ..."

Vorsichtig legte ich meine Hände an die Tür und meine Wange dagegen.

„Aber das bin ich nicht. Ich bin nicht das musikalische Genie, das du dir immer gewünscht hast. Ich bin weder so wie du, noch so wie Mum. Ich bin ich. Cole Hence. Euer Sohn. Aber ich kämpfe lieber, als zu musizieren. Ich hatte noch gar nicht die Gelegenheit, dir davon zu erzählen. Als ich damals sagte, ich werde fortan an der Kunst- und Musikhochschule für darstellende Künste bei Sakamoto studieren, bin ich eigentlich an die Ryumosho Akademie gegangen. Das ist eine Schule für Elementarmeister. Bis ich den Brief bekommen habe, hatte ich nicht einmal gewusst, dass ich einer war. Na ja, und nun strebe ich den Weg des Ninja an. Um mich eines Tages mit den anderen Elementarmeistern gegen die Dämonen zu stellen. Es wird einen Krieg geben. Und ich möchte dabei sein und auf der guten Seite kämpfen. Um die Welt, in der wir leben, zu bewahren. Die Menschen, die in ihr leben, zu retten. Dich zu retten."

Inzwischen liefen mir Tränen über die Wangen.

„Ich wollte dich niemals anlügen. Aber noch weniger wollte ich, dass du von mir enttäuscht bist. Es tut mir leid, wenn ich deinen Erwartungen nie gerecht werden konnte. Und es tut mir leid, dass ich nicht das Musiktalent bin, das du dir erhofft hast. Meine Entscheidung, ein Kämpfer zu werden, bereue ich nicht. Aber was ich bereue, ist, dass ich dich die ganze Zeit darüber angelogen habe. Ich war ein verdammter Feigling. Und ein riesengroßer Idiot."

Nachdem ich meinen Redeschwall beendet hatte, bemerkte ich, dass der Kampflärm aus dem Wohnzimmer aufgehört hatte. Stattdessen waren nun leise Stimmen zu hören. Scheinbar waren sie bereits fertig.

Nur wenig später erschien Lloyd neben mir und hielt mir einen Schlüssel vors Gesicht.

„Habt ihr sie besiegt?", fragte ich und nahm ihm den Gegenstand ab. Kein Zweifel, es war der Schlüssel zum Badezimmer.

„Ja, Kinderspiel, wie Kai sagen würde. Wir mussten nicht einmal unsere Elementarkräfte einsetzen."

Ich nickte. „Gut."

„Leider wissen wir immer noch nicht, wer dieser Mann ist. Oder warum die drei hier eingebrochen sind und die beiden eingesperrt haben."

„Ich komme gleich zu euch", sagte ich und betrachtete das Stück Messing in meiner Hand. „Lässt du mich eben allein? Ich habe noch etwas zu erledigen."

„Natürlich", murmelte er und beeilte sich, wieder zu verschwinden.

Dann wandte ich mich erneut der Tür zu und schloss sie auf.

Gefesselt und geknebelt lag mein Vater auf dem Fußboden und sah zu mir hoch.

Schnell hockte ich mich zu ihm und begann, ihn zu befreien. Kurz darauf wurde ich von ihm in eine Umarmung gezogen.

„Dad, ich -"

Er schüttelte den Kopf und drückte mich enger an sich. „Du brauchst nichts sagen. Und dich auch nicht zu rechtfertigen. Wer sich entscheidet zu kämpfen, der ist kein Feigling. Und erst recht kein Idiot."

Ninjago: Blaue FlammenWhere stories live. Discover now