Kapitel 55: Kai

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Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich aus dem Schlaf gerissen wurde. Orientierungslos setzte ich mich auf und betrachtete das vor mir liegende Dach. Ein unangenehmer Schmerz schoss durch mein Bein und erinnerte mich an vergangene Nacht.

,,So eine Scheiße", murmelte ich und begann zu husten. Hier oben auf dem Dach hätte es Anfang Herbst lediglich ein wenig kühl sein sollen, doch mir war kalt und ich zitterte. 

Mit der Frage, wie spät es denn sei, stieg auch die Panik in mir empor. Schnell versicherte ich mich, dass niemand draußen war, der mich womöglich sehen konnte und suchte einen Weg vom Dach runter. 

In meinem Zimmer warf ich zuerst einen Blick in den Spiegel und musste erschrocken feststellen, dass ich halb tot aussah. Zudem hatte ich nur noch fünfzehn Minuten bis zum Unterricht. ,,Warum hätte mich gestern nicht einfach dieser bescheuerte Blitz treffen können?"


,,Du bist zu spät!"

Ich unterdrückte ein Gähnen und wich seinem Blick aus. ,,Tut mir leid, habe verschlafen."

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mir einen skeptischen Blick zuwarf. ,,Stell dich gerade hin und sieh mich an, wenn ich mit dir spreche!"

Innerlich stöhnte ich auf. Ich ignorierte die höllischen Schmerzen in meinem Rücken, streckte ihn gerade durch und hob meinen Kopf. Mein Blick richtete sich fest auf seine Stirn.

,,Zur Strafe wirst du fünfzig Liegestütze machen, zehn für jede Minute!"

,,Aber - "

Sein strenger Blick brachte mich zum Schweigen. ,,Los, runter mit dir!" Er verschränkte die Arme und sah mich abwartend an.

Ich war zu erschöpft, um weiter zu diskutieren. Mit zusammengebissenen Zähnen begab ich mich in Position und begann. Sein durchdringender Blick lag auf mir und verfolgte jede einzelne Bewegung von mir.

Wo ich ihn gestern noch als lästigen Sensei betrachtet hatte, sah ich ihn heute als die Person, die auf dem Papier mein Onkel war. Das war doch verrückt. Hätte ich mich gestern nicht wieder erinnert, wüsste ich es immer noch nicht. Sensei Garmadon hielt es offenbar ja nicht für nötig mir davon zu erzählen. Sicherlich aus gutem Grund. Er wollte mich offenbar genauso wenig zum Neffen wie ich ihn zum Onkel.

Meine Arme begannen zu zittern. Die Schmerzen in meinem Bein und Rücken, machten sich erneut bemerkbar und ich fürchtete jeden Moment zusammenzubrechen. Kurz war ich in der Versuchung, ihn zu bitten, dass ich aufhören darf, doch Schwäche würde ich ihm auf keinen Fall zeigen. 

Die anderen Schüler liefen an mir vorbei, um ihre zweite Runde zu laufen.

,,49 . . . 50!" Vollkommen erledigt sackte ich auf dem Boden zusammen und genoss den kurzen Augenblick der Ruhe.

,,Hier wird sich nicht ausgeruht. Dafür ist die Nacht da!"

,,Ich habe schlecht geschlafen", murmelte ich und schloss die Augen. 

,,Das sehe ich." Er seufzte und kniete sich zu mir runter. ,,Schlecht geträumt?"

Ich nickte kaum merklich, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach.

,,Möchtest du mir von deinem Traum erzählen?" Der beinahe besorgte Ton in seiner Stimme löste etwas in mir aus, was ich versuchte hatte all die Jahre zu verdrängen. 

,,Wieso sollte ich?", fragte ich wütend und versuchte mich aufzurichten. Meine Arme zitterten immer noch und ein plötzlicher Schwindelanfall überkam mich.

Sein Blick ruhte weiterhin auf mir. ,,Dir geht es nicht gut." 

,,Ich bin nur ein wenig müde", gab ich gereizt zurück und setzte mich hin. 

,,Dir ist bewusst, dass ich dir kein Wort glaube, oder?", fragte er ernst.

,,Mit geht es gut", sagte ich und richtete mich auf. ,,Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe!" 

Die anderen liefen ein weiteres Mal an mir vorbei und ich beschloss mich ihnen anzuschließen und mitzulaufen. Außerdem konnte ich sehr gut darauf verzichten ein weiteres Mal im Krankenzimmer zu liegen, während er anwesend war.

,,Ich werde meinem Vater schon irgendwann die Wahrheit sagen!", fuhr er Lloyd wütend an. ,,Nur eben jetzt noch nicht. Lass mir doch die Zeit, die ich dafür brauche. Ist doch meine Sache."

,,Dann erzählt dies dem Sensei und lügt ihn nicht an."

,,Was ist so schlimm daran, wenn wir ihn anlügen?", fragte Cole irritiert.

Mit einem Seufzen wandte er sich ab und ging weiter. Wir folgten ihm. ,,Ihr solltet es einfach nicht tun. Vor allem du nicht, Kai."

,,Und warum ausgerechnet ich nicht?"

,,Weil er dein Onkel ist", scherzte Cole und stieß mir in die Seite.

Er hatte es damals lediglich als Scherz gemeint, doch er hatte recht gehabt. Und Lloyd hatte es gewusst. Er wusste es, doch er schwieg darüber, genauso wie Garmadon. Vermutlich bereute er den Kuss inzwischen. Vielleicht hatte er auch Angst vor mir, weil er nun meine wahre Natur kannte. Ich hatte diese Dämonen verflucht, weil sie mir meinen Vater genommen hatten, doch ich war die ganze Zeit über selbst einer.

,,Hey." 

Ich zuckte zusammen, als Lloyd plötzlich neben mir lief und mich mit seinen smaragdgrünen Augen anstarrte.

,,Hey", antwortete ich knapp. 

,,Du siehst irgendwie gar nicht gut aus."

Ich fühlte mich auch absolut nicht gut. ,,Zu wenig Schlaf."

Er nickte langsam. ,,Du, ähm, kannst dich immer noch nicht erinnern, oder?"

Ich wich seinem Blick aus und schüttelte den Kopf. ,,Nein."

Er erwiderte darauf nichts. Ich wusste, dass es falsch war von mir ihn anzulügen, doch ich war noch nicht bereit dazu mich dem zu stellen, dem ich mich früher oder später ohnehin stellen musste.


Irgendwie schleppte ich mich durch den Tag, überlebte Waffenkunde und saß nun mit den anderen auf dem Hof für das Elementartraining. 

Mein Blick schweifte zu Mönch Gyatso, der Zane gerade etwas erklärte.

Ein Schlag auf den Kopf ließ mich aufschreien. ,,Du sollst dich auf dich selbst konzentrieren!" Ich blickte in das strenge Gesicht von Sensei Garmadon. Musste er denn immer um mich herum schleichen!?

,,Jaja", murmelte ich und rieb mir den Kopf. Schon jetzt wusste ich, dass ich die Sache mit der Konzentration heute komplett vergessen konnte. 

,,Du weißt, dass besonders dieser Unterricht für dich wichtig ist."

,,Ich weiß." Ich wusste es sogar besser, als er ahnen mochte. Wer weiß, was gestern passiert wäre, hätte ich erneut die Kontrolle über mich verloren. Womöglich hätte ich noch die gesamte Akademie in Flammen gesetzt.

Er musterte mich eingehend. ,,Brauchst du Hilfestellung?"

,,Ich brauche keine Hilfe! Und schon gar nicht von Ihnen!"

Er seufzte schwer. ,,Ich scheue nicht davor zurück dich ein weiteres Mal zu bestrafen, wenn deine Respektlosigkeit mir gegenüber anhält."

Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn ich es einfach akzeptiert hätte, dass Sensei Garmadon jetzt nicht nur mein Sensei, sondern auch mein Onkel war. Doch das konnte ich nicht. 

,,Ich komme schon allein zurecht."

Ninjago: Blaue FlammenWhere stories live. Discover now