Kapitel 82: Kai

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Bevor Margarethe dazu kam, die Türen zu öffnen, wurden sie von außen aufgestoßen. Ein paar Zentimeter mehr und sie hätten sie getroffen. Ich hätte es ihr gegönnt.

„Um Himmels Willen, was ist denn hier heute los?", rief Sappheire aufgebracht. Ihr Blick klebte an der halben Versammlung vor ihrer Tür. 

Ich entdeckte Lloyd, Cole mit seiner Truppe und diesen John. Und das schlimmste, Dawood.

„Verehrte Gräfin, Ihr Sohn -", stammelte einer des Wachpersonals und sah immer wieder zu mir rüber. „Was hat das zu bedeuten?" 

Die Wut auf Sappheires Gesicht war Verwirrung gewichen. Auch ihr Blick wechselte immer zwischen dem echten Dawood und meiner Wenigkeit. Letztendlich blieb er aber an John hängen. „Erkläre mir dies!"

„Dämonisches Teufelswerk!", schimpfte Margarethe. Beinahe hatte ich ihre Anwesenheit vergessen. „Der Junge hat seinen Verstand verloren." Sie schielte zu mir rüber. „Hast du Teufel dich endlich von deinem menschlichen Körper losgesagt, um dir nun das zu nehmen, was du begierst. Sappheire, das ist das nahende Ende, das ich dir vorhergesagt habe."

„Hier liegt ein großes Missverständnis vor!", schaltete sich John ein. „Eine Verwechslung, mehr nicht!"

„Was für eine Verwechslung?", fragte Sappheire und beäugte mich misstrauisch. Inzwischen hatte sie mir gegenüber eine Abwehrhaltung eingenommen. „John, was ist mit meinem Sohn passiert?"

„Er schläft nur", sagte ich. Meine Stimme klang ruhig. „Keine Sorge, er wird wieder aufwachen. Ich habe das nur getan, um mich ungehindert als er ausgeben zu können."

„Wie konntet ihr das nicht erkennen?", lallte Cole. „Die sehen sich doch überhaupt nicht ähnlich."

„Ich dachte -", ihr Blick nahm etwas Feindseliges an. „Wer bist du? Und warum hast du dich als meinen Sohn ausgegeben?"

„Er ist hinter dem Erbe her, das liegt doch auf der Hand!", sagte Margarethe. „Wachen, ergreift ihn!"

„Nein, nicht!", rief Lloyd. „Wir taten das nur, um unseren Freund zu retten."

„Das kann ja jeder behaupten!", fuhr Margarethe ihn an. „Was hat er euch versprochen? Anteile am Erbe?" Sie sah John an. „Steckst du mit ihnen unter einer Decke?"

„Ich sagte doch bereits, dass es sich hierbei um ein Missverständnis handelt", wehrte er ab.

„Missverständnis", spuckte sie. „Wen willst du hier für dumm verkaufen?"

„Welchen Freund wollt ihr eigentlich retten?", fragte Cole.

„Dich, du Idiot", murmelte Lloyd.

Margarethes Blick schwebte über die restliche Versammlung. „Ich konnte die Phantoms noch nie leiden. Hat euch euer Reichtum nicht gereicht? Müsst ihr nun auch noch kommen, um meiner Schwester das Erbe zu entreißen?"

„Wir sind nicht die Phantoms", sagte der Schwarzhaarige unter ihnen.

Sappheire fasste sich an ihre Schläfe. „Wer ist hier überhaupt der, der er vorgibt zu sein?" Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich wieder auf ihrem Thron nieder. Ihre Augen suchten die meinen. „Wie ist dein Name?"

„Kai", antwortete ich. Ich nahm die Kopfbedeckung runter und verbeugte mich leicht. „Es tut mir leid, dass wir mit unserer Rettungsaktion so einen Tumult ausgelöst haben."

„Kai", sagte sie. „Erzähl mir davon. Erzähl mir, wie es hierzu kommen konnte. Ich will es hören."

„Aber Sappheire -"

„Du schweigst, Margarethe. Ich möchte es von ihm hören. Die Wahrheit."

Die Wahrheit, dachte ich. Was war denn die Wahrheit? Und erinnerte mich an Sensei Irohs Worte: Ein Ninja ist ein Spion, ein Saboteur, ein Meuchelmörder. Sie agieren im Verborgenen, greifen ihre Gegner aus dem Hinterhalt heraus an. Sie sind skrupellos, niederträchtig und ehrenlos.

Ninja waren hier in der reichen Stadt Bernello genauso wenig willkommen wie Dämonen. Und ich war beides.

Lloyd und ich wollten Cole retten. Aber haben wir richtig gehandelt? Wir haben gelogen, gestohlen und ein Feuer nach dem anderen entzündet. Es fühlte sich falsch an.

Sappheire sah mich noch immer auffordernd an. Und ich konnte nicht länger schweigen, ohne die Situation noch schlimmer zu machen. Irgendetwas musste ich sagen. Und das tat ich.

„Lloyd, Cole und ich gehen auf eine Akademie für Kampfkünste, um zu Kriegern im Kampf gegen die Dämonen ausgebildet zu werden." Das war die Wahrheit. Aber ich entschied mich dazu, ein paar Details wegzulassen. „Unser Freund Cole ist eines Tages plötzlich verschwunden." Ich wies in seine Richtung. „Und unser Schulleiter gab Lloyd und mir den Auftrag, ihn zurückzuholen."

„Cole?", fragte der Stämmigste seiner Truppe. „Ich dachte Corin."

„Deine Geschichte war also die ganze Zeit gelogen?", fragte das Mädchen.

„Haben wir nicht alle gelogen?", sagte Cole.

„Also sind Lloyd und ich aufgebrochen", erzählte ich weiter. „Wir erfuhren, dass er und seine neuen Kameraden auf den Weg in diese Stadt waren. Und sind ihnen gefolgt. Hier angekommen, haben wir uns angepasst und sind im Restaurant auf sie gestoßen." Dann erläuterte ich ihr meinen Plan, Cole so weit zu alkoholisieren, dass wir ihn mühelos mitschleppen konnten. Und wie dieser Plan durch ein unglückliches Missgeschick und einen riesen Irrtum aus dem Ruder gelaufen ist.

Margarethe war die Erste, die sprach. „Diese Geschichte stimmt doch hinten und vorne nicht. Das alles ist Betrug, eine weitere Täuschung, um an dein Erbe zu kommen, Schwester!"

Sappheire hob die Hand und bedeutete ihr, zu schweigen. Dann wandte sie sich an die Wachen. „Bringt sie hinaus. Und Dawood nach oben in sein Zimmer." Ich wollte auch gehen und hatte mich bereits umgedreht. „Kai, du nicht."

Nachdem die Wachen die anderen – unter Margarethes Gezeter - nach draußen geleitet hatten, war ich allein mit Sappheire.

Sie musterte mich eine Zeit lang, ehe sie zu sprechen begann. „Du hast nur die halbe Wahrheit erzählt."

„Ich -"

„Um dich und deine Freunde zu schützen, das ist mir durchaus bewusst. Daher kann ich auch nichts dagegen einwenden."

Was wusste sie? Und woher?

„Auf welche Akademie gehen du und deine Freunde?"

„Die Ryumosho Academy." Ich wusste nicht weshalb, vermutlich Intuition, vielleicht ihre Augen, aber ich vertraute ihr. Hoffentlich war das kein Fehler, den ich später bereuen würde.

„Ihr seid also Elementarmeister", sagte sie, nicht im Geringsten überrascht.

„Woher wissen Sie darüber Bescheid?"

„Sagen wir es so, ich habe überall meine kleinen Vögelchen sitzen. Geld verleiht Macht. Merke dir das gut. Die meisten Menschen kannst du für Geld kaufen. Das sind diejenigen, die dem Materialismus zum Opfer gefallen sind. Auch ich bin nicht frei von ihm, niemand ist es. Das gilt nicht nur für Menschen."

In meinem Kopf läuteten alle Alarmglocken. Sie wusste etwas. Sie wusste etwas, das sie nicht wissen sollte. Unbewusst trat ich einen Schritt nach hinten.

„Dawood ist auch einer", fuhr sie fort. „Vermutlich hast du das bereits mitbekommen." Ihr Blick hallte wie das Echo von tausend Stimmen in meinem Ohr wider. Sie schrien: Ich weiß, was du bist! Ich weiß, welches Monster sich hinter deiner Fassade versteckt! Aber das sagte sie nicht.

Sie sagte: „Es ist mir egal, ob jemand Mensch, Dämon oder anderes ist. Was wirklich zählt, sind doch die inneren Werte, meinst du nicht auch?" 

Und ich erinnerte mich an ihre Worte von vorhin: Er ist mehr Mensch, als es die meisten Menschen jemals sein werden.

Und ich fragte mich, was ist es, was einen Menschen zum Menschen machte? Was war denn menschlich?

„Ich glaube, du und Dawood habt vieles gemeinsam. Vielleicht solltet ihr beiden euch einmal unterhalten. So ein Gespräch kann manchmal Wunder bewirken."

Ninjago: Blaue FlammenWhere stories live. Discover now