Kapitel 97: Kai

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Ich war so ein Idiot. Ich hatte meinen Vater verloren, mein Zuhause. Und nun war ich dabei auch Lloyd zu verlieren.

Ich ging einen Schritt vorwärts. Stolperte und fiel hin. Das Schwert landete klappernd neben mir. „So eine Scheiße!", fluchte ich und schlug die Faust auf den Boden.

Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich blinzelte sie weg und kämpfte mich wieder hoch. Hob das Schwert wieder auf. Versuchte, einen geraden Stand zu finden.

Mein Blick wanderte über den Kampfplatz. Es gab mehrere Verwundete. Noch mehr Tote. Ich entdeckte Grimar und schwankte zu ihm. Seine Augen waren halbgeöffnet, sein Atem ging flach. Ich kniete mich zu ihm und er nahm meine Hand. Sie zitterte.

„Du bist einer von ihnen", murmelte er. „Du warst es die ganze Zeit und hast uns nichts gesagt."

„Ich bin nicht wie die", flüsterte ich und drückte seine Hand. „Bitte, glaub mir. Ich bin nicht wie die."

„Ich weiß", hauchte er. „Deshalb bleibe stark. Glaube an dich. Kämpfe. Vielleicht bist du der Einzige, der es aufhalten kann. Weil du die Seiten beider Welten in dir vereinst."

„Der was aufhalten kann?"

Aber er antwortete nicht mehr. Seine Hand erschlaffte. Der Glanz in seinen Augen erlosch. Und sein Körper regte sich nicht mehr.

Ich wandte mich von ihm ab. Trauerte im Stillen. Er hatte recht. Lloyd hatte recht. Ich konnte hier nicht rumsitzen und rumheulen. Ich musste aufstehen und handeln. Etwas tun. Das tun, das ich schon die ganze Zeit tun wollte.

Ich packte den Griff meines Schwerts fester. Bis die Knochen hervorstachen. Dann rannte ich los. Mein Körper entflammte. Verwandelte sich weiter. Weiter in einen Dämon.

Skylor erreichte ich als Erstes. Kämpfend. Mitgenommen. Über ihrem rechten Auge blutete sie. Ich deutete einen Angriff mit dem Schwert an, drehte mich, wirbelte meinen linken Arm herum und bohrte ihrem Gegner meine Krallen tief in seinen Hals.

Dann rannte ich weiter. Zum nächsten Kampf. Zum nächsten Dämon. Zu meinem nächsten Opfer.

Wieder ein angedeuteter Angriff. Wieder meine Krallen im Hals des Gegners. Dann der nächste Dämon. Das gleiche Spiel. Ich tötete sie nicht. Ich verletzte sie nur tödlich. Den Rest übernahmen die anderen.

Dann hörte ich einen Schrei. Er kam aus dem Wald. In sah in die Richtung, aus der er gekommen war und entdeckte blaues Feuer. Der Wald brannte. Und jemand steckte darin fest.

Ohne zu zögern, stürmte ich los. Schlitzte einem weiteren Dämon auf meinem Weg die Kehle auf und erreichte die ersten Bäume. Ich kletterte hinauf und hangelte mich von Ast zu Ast weiter.

Wieder ein Schrei. Dieses Mal deutlich näher. „Halt dich fern von mir! Ich bring dich um! Hörst du? Ich bring dich um!"

Ich wurde schneller. Erreichte das Feuer. Den Dämon. Und ihn. „Lloyd!"

„Was willst du hier?", blaffte er und brachte Abstand zwischen sich und dem Dämon.

Der Dämon hingegen musterte mich umso interessierter. „Noch so ein Halbdämon. Von denen scheint es hier ja regelrecht zu wimmeln."

„Und, ein Problem damit?", fragte ich, sprang auf den Boden und stellte mich an Lloyds Seite.

„Lass das", fauchte Lloyd. „Ich werde allein mit ihm fertig."

„Du wirst mich trotzdem nicht los", sagte ich und spreizte meine Krallen, bereit zum Angriff.

„Hör auf, dich so aufzuspielen."

In diesem Moment griff der Dämon an. Spie sein Feuer auf uns und hieb mit seinen Krallen nach uns. Ich packte Lloyd und sprang in Deckung.

„Verdammt, Kai, lass mich los!" Er befreite sich aus meinem Griff und ging zwei Schritte zurück. „Ich kann alleine kämpfen."

Der Dämon preschte vor. „Du hattest recht", sagte ich und wehrte seinen Angriff ab. „Mit der Wahrheit. Ich habe sie verdrängt, bin weggelaufen und habe sie irgendwann vergessen. Und als ich mich wieder an sie erinnert habe, hatte ich Angst davor, sie auszusprechen."

„Menschen", seufzte der Dämon. „Sie müssen immer so viel reden. Offenbar gilt das auch für Halbmenschen." Er holte aus und schleuderte mich mit seinem Schwanz gegen einen Baumstamm. Kurz darauf war er bei mir und versenkte seine Krallen tief in meiner Schulter. Sie war noch nicht ganz verheilt und so traf mich der Schmerz doppelt so stark.

„Kai, nein!"

„Bleib zurück, Halbmensch!", fauchte der Dämon. „Oder dein Tod wird lang und qualvoll."

Ich trat mit meinem Fuß nach ihm, dem inzwischen ebenfalls Krallen gewachsen waren, aber er wehrte ihn mühelos ab. Dann wanderte seine Aufmerksamkeit zurück zu meiner Schulter, versenkte seine Krallen abermals darin und schlitze sie langsam nach oben hin auf.

Ich schrie und sank auf die Knie. Tränen schossen in meine Augen. „Warte!"

„Was?", blaffte er. „Willst du ein paar letzte Worte sagen? Mann, wieso nur stehen die Menschen auf solch einen Scheiß!"

„Beantworte mir eine Frage."

„Hä?" Er legte den Kopf schief. „Was soll das denn jetzt?"

Ich versuchte, in seinen leeren Augen etwas zu erkennen. Einen Funken Wärme, Hoffnung. Aber da war nichts. Nur Finsternis. „Warum tut ihr das?"

„Warum tun wir was?"

„Na, das alles hier. Ihr dringt in unsere Welt ein, schlachtet die Menschen ab als wären sie Vieh, zerstört alles. Warum?"

„Wegen des Sturms."

„Welchen Sturms?"

„Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen, wertloses Menschenkind!" Er hob die andere Hand und holte zum letzten Schlag aus.

„Das wirst du nicht tun!", schrie Lloyd und versenkte sein Schwert im Rücken des Dämons. Dieser schrie und brüllte und fuhr herum. Lloyd zog das Schwert heraus, holte aus und durchtrennte seinen Hals. Der Körper sackte zusammen. Der Kopf rollte auf den Boden. Überall war Blut.

Jetzt war es Lloyd, der schrie. Er sank auf die Knie. Sein ganzer Körper zitterte. Er schrie und weinte und schrie.

Ich krabbelte zu ihm und zog ihn in eine Umarmung.

„Du hattest recht", schluchzte er. „Verdammt nochmal recht! Man kann nicht einfach jemanden töten und sich dann gut damit fühlen!"

„Ich weiß." Beruhigend streichelte ich seinen Rücken. „Aber du hattest auch recht. Um die Welt und die Menschen, die wir lieben, zu retten, müssen wir es tun." Ich drückte ihn an mich, ließ dann los und sah ihn an. „Gemeinsam schaffen wir es. Du und ich, wie du gesagt hast."

Er nickte leicht. „Tut mir leid." Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, aber es kamen neue. „Tut mir leid wegen vorhin."

„Nein, mir tut es leid. Du hast recht. Ich bin dir noch eine Antwort schuldig. Und es ist unfair, dass ich dich so lange hab warten lassen. Kannst du mir verzeihen?"

Ohne seine Antwort abzuwarten, beugte ich mich vor. Zuerst berührten sich unsere Nasenspitzen, dann unsere Lippen. Ich schloss die Augen und küsste ihn.

Ninjago: Blaue FlammenWhere stories live. Discover now