Kapitel 74

71 18 48
                                    

Es war nicht nötig, Adrians Großmutter einfliegen zu lassen. All die Befürchtungen, dass die Behörden gegen unsere Pläne sein könnten, waren umsonst gewesen. Wir konnten sie mit unseren stichhaltigen Argumenten überzeugen. Dabei erfuhr ich endlich, dass sie bei dem Termin mit meinen Eltern noch zu keiner Einigung gekommen waren. Es hatten lediglich ein paar Kleinigkeiten gefehlt, ansonsten wäre das Projekt reibungslos über die Bühne gelaufen und der Bau hätte noch im letzten Jahr begonnen. Jetzt war er fürs Frühjahr geplant, sobald die Schneedecke verschwunden war.

Nach dem erleichternden Gespräch mit den Behörden verlief der Januar ruhig und angenehm. Adrian und ich arbeiteten neben all den eintrudelnden Buchungen an unserer Homepage fürs Hotel. Wir rekonstruierten sie, wobei wir beide Eriks Wissen gebraucht hätten. Unsere Rettung war Bjørn, der einiges davon wusste. Ohne ihn wäre unser Versuch in einer Katastrophe geendet.

Die ruhigen Wochen waren Balsam auf meiner Seele, denn die Verhandlung gegen Merrit und Kristina bereitete mir und Sven Magenschmerzen. Wir hatten Angst, der Mörderin unserer Geliebten in die Augen zu sehen und ihre Worte voller Eifersucht zu hören, die sie zu dieser Tat getrieben hatten.

Gerade in der Zeit der Unruhe waren Sven und ich füreinander da. Unser Zusammenleben funktionierte problemlos und wir waren zu einer kleinen Familie zusammengewachsen. Adrian tröstete nicht nur mich, sondern auch Sven, wenn er verzweifelte und weinte.

Da bei Nic und Suvinna alles glatt lief und sie ihren Teil der Vereinbarung einhielten, musste sich Adrian keine zusätzlichen Gedanken machen. Er stand mit seinem Sohn in regem Kontakt und wir sahen uns täglich, da Nic entweder mit seiner Freundin im Hotel oder zuhause vorbeikam.

Bei Idun übernahmen sie freiwillig und ohne zu murren einen Großteil des Haushalts, wobei wir vermuteten, dass die beiden für ein späteres Zusammenleben in einer eigenen Wohnung übten. An sich fand ich das Ganze wunderbar, doch die Unsicherheit, wie es in wenigen Monaten weitergehen würde, nagte an mir.

Wie so oft fragte ich mich, ob Adrian mit Nic zurück nach Amerika ging oder nicht. Dazu schwiegen sie sich aus, was meine Hoffnung schürte, aber auch gleichzeitig vernichtete. Ich wusste ihr Verhalten nicht zu deuten.

Bereits zwei Tage vor der Verhandlung fuhren Sven, Adrian und ich nach Narvik, da Andenes zum Vesterålen-Bezirk gehört und sie daher im Bezirksgericht Midtre Hålogaland abgehalten wurde. Es wäre mühsam, über vier Stunden Fahrt für eine Aussage auf sich zu nehmen, deshalb hatten wir beschlossen, uns keinen Stress zu machen.

Mit den Angestellten im Hotel hatten wir uns abgesprochen, sodass die Tage problemlos verliefen. Diejenigen, die nur eine Kurzaussage hatten, bekamen die Erlaubnis, über eine Videokonferenz ihre Angaben zu machen. Das war unüblich, aber da das Hotel nicht unbesetzt bleiben konnte und nicht jeder die lange Fahrt auf sich nehmen konnte, war eine Ausnahme gemacht worden.

Nicht wie sonst war ich während der Fahrt fröhlich und sang lauthals zu den Liedern aus dem Radio mit. Sven auf der Rückbank schwieg und schien seinen Gedanken nachzuhängen, aber ich ahnte, wie es in ihm aussah. Als wir eine kleine Pause auf einem Parkplatz einlegten, beobachteten wir den späten Sonnenaufgang. Seit dem 14. Januar wurden die Tage wieder heller und ich bemerkte, wie der spektakuläre Farbenwechsel des Himmels Balsam auf meiner Seele war.

In Adrians Arme gekuschelt sah ich zu, wie der Stern über den Horizont lugte und die Schleierwolken rosa und orange färbte. Hinter uns hingegen hingen schwere, bleigraue Wolken, die durch das Licht fast schwarz wirkten.

„Alles wird gut", murmelte Adrian an meine Schläfe, als ich leise seufzte.

„Dessen bin ich mir sicher, was Merrit angeht", erwiderte ich flüsternd und warf Sven einen Blick zu. Eriks kleiner Bruder lehnte am Auto und hatte seine Hände tief in seinen Taschen vergraben. Als sich unsere Augen trafen, lächelte er mir zu.

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenWhere stories live. Discover now