Kapitel 69

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Gegen Mittag erreichten wir Narvik und ich war unendlich froh, dass sich der Räumdienst bereits um die Straße hinauf zur Hütte gekümmert hatte. Die restlichen Meter mussten wir selbst vom Schnee befreien, weil das Gefährt den schmalen Weg nicht bewältigen konnte, aber das machte mir nichts aus.

Fürs erste schaufelten wir nur eine Bahn frei, um unser Gepäck in die Hütte bringen und Feuer anmachen zu können. Das war die oberste Priorität.

Während ich den Kamin entzündete, räumte Adrian den Kühlschrank ein und holte einen weiteren Korb voll Holz. Das war bitter notwendig, wenn wir es gemütlich haben wollten.

Sobald das Feuer ohne mein Zutun brannte, begaben wir uns wieder nach draußen und veranstalteten ein Wettschippen, das ich haushoch gewann. Adrian ächzte angesichts der Schneemassen, die durch unsere Abwesenheit und Windverwehungen bis zu einem Meter hoch waren.

Sich Luft zufächelnd schnappte sich Adrian die Schlüssel und fuhr den Wagen das letzte Stück hinauf.

„Komm, ich mache uns erst einmal Kaffee und etwas zu essen", schlug ich lächelnd vor, als er leicht schwankend die Treppen hinaufkam.

„Ich glaube, ich brauche einen Schnaps", murmelte Adrian bibbernd.

„Tee mit Rum tut es auch", erwiderte ich ungerührt und reichte ihm meine Hand. „Wobei du auch ohne kaum gerade gehen kannst", kicherte ich. Das viele Schneeschippen laugte ihn aus, daher war eine Pause dringend notwendig.

Von drinnen schlug uns eine angenehme Wärme entgegen, die ich mit ein paar weiteren Holzstücken beibehalten wollte. Endlich konnten wir uns von den Jacken und Schuhen befreien, aber zur Vorsicht gab ich Adrian dicke Socken von meinem Vater. Kalte Füße führten schnell zu einer Erkältung und das war das Letzte, was ich wollte. Zusätzlich setzte ich Adrian vor dem Kamin ab.

„Gönn dir einen Moment der Ruhe, Adrian. Ich werde mich um alles kümmern", versprach ich, legte meine Arm von hinten um ihn und gab ihm einen Kuss auf die Schläfe. Ich genoss den Moment, mich an Adrian zu schmiegen, ihn zu wärmen und den Flammen zuzusehen, wie sie das Holz knisternd umzüngelten und die Rinde schwarz färbten.

Prompt stiegen mir Tränen in die Augen. Die vertraute Situation, die mich direkt in die Vergangenheit warf, ließ alles um mich herum verschwimmen und plötzlich fand ich mich mit Erik vor dem Kamin wieder.

Ich saß zwischen seinen Beinen und kuschelte mich an seine Brust. Bei einem Glas Wein plauderten wir über unser Malheur beim Ski-Ausflug, bei dem wir durch Unachtsamkeit mitten in der Pampa in eine Schneeverwehung gefahren und steckengeblieben waren. In dem Moment war es alles andere als lustig gewesen, bis zum Oberkörper im Schnee zu stecken und sich nicht bewegen zu können. Jetzt konnten wir darüber lachen und die Sache in die Kategorie der Missgeschicke einordnen.

Eine Bewegung holte mich ruckartig in die Gegenwart zurück und ich blinzelte den Tränenschleier weg.

„Hast du etwas gesagt?", fragte ich Adrian stotternd, als er sich halb zu mir umdrehte.

„Ich wollte wissen, ob du dich für einen Moment zu mir setzen möchtest", antwortete er und musterte mich ungeniert. „Du siehst aus, als würde dir eine kleine Pause und ein bisschen kuscheln guttun."

Ertappt lächelte ich und ließ mich langsam von ihm zwischen seine Beine ziehen. Zuerst befürchtete ich, dass mich die Vergangenheit erneut überrollen würde, doch nichts dergleichen geschah.

Sobald ich mich in Adrians Arme schmiegte, schloss ich meine Augen und lebte den Moment. Im Hier und Jetzt. Geräuschvoll sog ich seinen Geruch ein und seufzte leise.

Adrian schien instinktiv gewusst zu haben, was ich gerade am meisten brauchte, nämlich ihn. Er ließ seine Finger über meinen Arm tanzen und wirkte genauso in Gedanken versunken wie ich. Woran er wohl dachte?

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenWhere stories live. Discover now