Kapitel 12

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„Sven? Bist du schon zuhause?", rief ich, als ich die Haustür hinter mir zupfefferte, meine Schuhe in die Ecke schleuderte und wütend den Wohnraum betrat.

Der Tag mit Adrian hatte mich den letzten Nerv gekostet. Jeglicher Versuch, ihn abzuschieben und den anderen aufzudrängen, war fehlgeschlagen. Seine Stimmungswechsel hatten mir dermaßen zugesetzt, dass ich in den eigentlich ruhigen Minuten im Büro keine Konzentration gefunden und am Ende sogar geheult hatte. Wie konnten mir meine Eltern das antun? Ein überheblicher Amerikaner, der nichts vom norwegischen Leben verstand und auch nie verstehen würde.

„Ich bin oben", erklang die Antwort, zu der gleich darauf ein besorgtes Gesicht erschien. „Was ist los, Freyja?"

Ich stand an der Treppe und mein Versuch, alles mit einer normalen Stimme zu erzählen, scheiterte. In Rage beschrieb ich den Tag und die Neuigkeiten, die ich herausgefunden hatte so schnell, dass Sven vielleicht nicht alles verstand. Dabei wurde ich immer wütender, was ihn dazu trieb, hinunterzukommen und mich fest in den Arm zu nehmen. Allerdings sah auch er geschockt und nicht wirklich erfreut über die Neuigkeiten aus.

„Beruhige dich", bat er und schob mich zur Couch, drückte mich sanft nieder und setzte sich neben mich. „Ist das dein Ernst, dass deine Eltern einen Investor hatten und dir nie etwas gesagt haben?"

Bekümmert nickte ich und ballte meine Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten. „Es wäre nicht einmal das Schlimmste, aber dieser Adrian Da Silva ist ein echtes Arschloch!", zeterte ich und schlug mir auf den Oberschenkel. „Am liebsten würde ich ihm den Hals umdrehen und ihn in einem Paket zurück nach Amerika schicken!"

„Aber, aber", sagte Sven sanft und nahm meine Hand, die er mit vorsichtigen Küssen bedeckte. Das sorgte für ein flaues Gefühl im Magen, jedoch sagte ich nichts, da ich wusste, dass er mich lediglich beruhigen wollte. „Sag so etwas lieber nicht, Freyja. Ich verstehe, dass du in Aufruhr bist, aber ist er das wert? Meinst du nicht, dass er mit der Zeit lernt, wie unterschiedlich das Leben hier ist? Eventuell begreift er, dass es nichts für ihn ist und verkauft dir seinen Anteil."

Diese Überlegung hatte ich bereits angestellt, und doch hatte ich nicht das Gefühl, dass Adrian einfach so klein beigeben würde. Er wirkte wie ein Mann, der sich gerne über andere lustig machte und im schlimmsten Fall würde er absichtlich ein Jahr lang bleiben, um mein Leben zur Hölle zu machen.

„Du hast ja recht", murmelte ich, war jedoch nicht überzeugt. Meine Wut gegen Adrian würde mich tatsächlich unüberlegte Dinge tun lassen und ich hatte nicht vor, dafür ins Gefängnis zu gehen. Ob ich ihm vielleicht sein vorlautes Maul stopfen sollte? Bereits in Gedanken ging ich die Methoden durch, die wirksam und langanhaltend sein konnten. Svens Küsse, die nun meine Fingerspitzen erreichten, unterbrachen die Szenen in meinem Kopf.

„Ich habe deine Backzutaten eingekauft", wechselte Sven das Thema, ohne mit dem Küssen aufzuhören.

Das flaue Gefühl im Magen ebbte nicht ab, weshalb ich ihm meine Hand entzog. „Danke. Ich habe mit Birger gesprochen. Er ruft an, wenn er etwas gefangen hat", erklärte ich und rieb mir unwohl die Stellen. Dann stand ich seufzend auf. „Ich glaube, ich fahre zum Friedhof, meinen Kopf freibekommen."

„Soll ich mitkommen?"

„Nein. Ich möchte ein wenig allein sein", antwortete ich und bekam sofort ein schlechtes Gewissen, als Sven den Blick senkte. „Du kannst mitkommen", erklärte ich daraufhin hastig. Ich wollte nicht, dass er dachte, ich schob ihn von mir weg. Eigentlich tat ich das, weil ich oft nicht wusste, wie ich mit seinen Gesten umgehen sollte und manchmal hatte ich auch ein merkwürdiges Gefühl im Bauch, das ich einfach darauf schob, dass er Eriks Bruder war.

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt