Kapitel 40

76 18 45
                                    

Endlich brach der Morgen der lang verschobenen Walsafari an.

Nach einem kleinen Streit mit Sven war meine Laune nicht die Beste. Langsam bekam ich das Gefühl, dass er absichtlich Termine auf Wochenenden verschob, um nicht mit nach Narvik zu müssen. Am Vorabend hatte ich ihn darauf angesprochen, wobei er beteuerte, dass er sich nach den Kunden und Patienten richten musste und nichts dafür konnte. Natürlich wusste ich, dass sein Wunschjob genau wie das Hotelbusiness keine feste Arbeitszeiten hatte, doch ich wünschte mir, ihn nach etlichen Jahren endlich wieder mit nach Narvik zu nehmen.

Schlimmer als die Enttäuschung war allerdings der nachfolgende Sex gewesen. Verstimmt hatte ich ihn befriedigt und war ungewollt ein wenig gröber als sonst gewesen. Fast schon sah ich es als Strafe an, dass Sven daraufhin keinerlei Vorspiel machte, sondern mich einfach auszog und ohne zu fragen in mich eindrang. Das war das erste Mal gewesen, dass ich seit meiner Entjungferung Schmerzen verspürte. Kein Wunder, denn durch meine Laune und seinem Verhalten war ich keineswegs feucht oder entspannt gewesen. Ich hatte ihn angefaucht und von mir geschubst, was in einer endlosen, nichts führenden Diskussion voller Vorwürfe, Wut, Tränen und Türknallen endete. Meine Nerven waren zurzeit nicht so stark wie sonst.

Nicht ganz so enthusiastisch wie Adrian und Nic kam ich am Walzentrum an. Eingeölt wie Aale glänzten sie zwischen den anderen Touristen in der Sonne. Trotz des Herbstanfangs waren die Temperaturen angenehm und die seichten Wellen versprachen einen angenehmen Ausflug. Meist war der Wellengang rau und Massenübelkeit vorprogrammiert.

Aufgeregt schwatzten die Touristen in verschiedenen Sprachen, doch ich begegnete ihnen lediglich mit einem freundlichen Nicken.

„Bist du auf dem Weg zum Nordpol, Freyja?", feixte Adrian beim Anblick meiner Jacke.

Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. „Ich rate euch, ebenfalls eine anzuziehen. Auf dem Meer ist es weitaus kühler", meinte ich und konnte mir das Lachen nicht verkneifen, als beide einen Flunsch zogen.

„Wie sollen wir da braun werden?", wollte Adrian stirnrunzelnd wissen.

Gespielt nachdenklich legte ich meinen Finger an die Nase und sah in den Himmel. Wie schaffte er es nur, mich immer aufzuheitern? „Wenn ihr das Braunwerden mit einer ordentlichen Erkältung vorzieht, bitte sehr. Tut euch keinen Zwang an. Ich werde euch jedenfalls nicht pflegen", erwiderte ich grinsend mit einer Handbewegung zum Meer.

Triumphierend zog Adrian seine Lederjacke aus seinem Rucksack. „Ich habe an alles gedacht. Wobei ...", nun war er es, der nachdenklich auf das schwarze Kleidungsstück sah, „... der Gedanke, dass du uns pflegst, jede Erkältung wert wäre, nicht wahr, Nic?"

Sein Sohn schüttelte lachend den Kopf. „Ich lasse mich von Suvinna pflegen", meinte er spitzbübisch, doch ich sah, dass auch er einen Rucksack bei sich trug.

„So ist das also", murmelte ich mit einem tadelnden Blick zu Adrian. „Du forderst mich wirklich heraus? Eins sage ich dir: Wenn du krank bist, wirst du keine sanfte Pflegerin vorfinden. Ich bin erbarmungslos", warnte ich. Tatsächlich übertrieb ich nicht, denn in der Krankenpflege war ich unerbittlich. Jammern nahm ich gar nicht zur Kenntnis und wer meinen Regeln nicht folgte, bekam es zu spüren. Dafür waren Kranke innerhalt weniger Tage wieder auf den Beinen. Selbst Erik hatte sich stets vor dem Kranksein gehütet.

Adrian stupste seinen Sohn an. „Ich glaube, ich lasse mich doch lieber von Idun oder Suvinna versorgen", raunte er Nic zu, der daraufhin dunkel lachte. Mir fiel des Öfteren auf, dass sich ihr Lachen ähnelte. Auch die kleinen Grübchen, die sich beim spitzbübischen Grinsen zeigten, hatte Adrian vererbt.

„Dann sind wir uns einig. Kommt, es geht gleich los", sagte ich und trieb die beiden wie Schafe vor mir her. Sollte ich ihnen vielleicht Glocken um den Hals hängen, damit ich sie nicht verlor? Allein der Gedanke hob meine Laune. Nach dem Check-In gab es zuerst den obligatorischen Museumsbesuch, bei dem wir zahlreiche Walskelette begutachteten. Immer wieder hörte ich die erstaunten Ausrufe der Touristen, die ein Foto nach dem anderen schossen, im Gegensatz zu Adrian und Nic, die sich mit ihren Smartphonekameras zurückhielten. Ich fand es generell übertrieben, von ein und demselben Skelett dutzende Bilder zu machen.

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt