Kapitel 19

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Gähnend fuhr ich morgens zu Adrians Hütte und wartete geduldig in der Einfahrt. Der Wind hatte nicht nachgelassen und die Wellen teilweise weit auf die Straßen gebracht, die nun mit Schaum bedeckt waren. Nicht einmal der Regen war in der Lage, ihn zu beseitigen, sondern machte das Ganze schlimmer.

Das war kein Wetter für einen Motorradfahrer. Nur lebensmüde Menschen würden auf die Straße gehen und ich war froh, Adrian das Angebot gemacht zu haben, ihn und seinen Sohn mitzunehmen. So ersparte ich mir ein schlechtes Gewissen und das Bangen um seine Sicherheit.

Ich stellte den Motor aus, stellte aber das Radio an und trommelte im Takt zur Musik auf dem Lenkrad. Hupen wollte ich nicht, da ich davon ausging, dass die Männer pünktlich auf der Bildfläche erscheinen würden. Meine Ahnung wurde bestätigt, als sich die Tür öffnete und Adrian seinen Sohn hinausscheuchte.

Nicholas kam angerannt und öffnete die Tür, warf seinen Schulranzen auf die Rückbank und ließ sich mit einem Seufzen nieder, während sein Vater die Haustür abschloss.

„Guten Morgen, Freyja", grüßte Nicholas.

Mit einem Blick in den Rückspiegel lächelte ich. Er war mit diesem spitzbübischen Gesichtsausdruck seinem Vater unglaublich ähnlich. „Guten Morgen, Nicholas. Hat euch der Wind ordentlich durchgepustet?", erkundigte ich mich und beobachtete, dass Adrian noch einmal im Haus verschwand.

„Oh ja, mehr oder weniger. Gestern Abend sind die Terrassenmöbel im hohen Bogen über das Geländer geflogen", meinte Nicholas nüchtern. „Ist das Wetter normal in Norwegen?"

Glucksend hielt ich die Hand vor den Mund. „Das ist normal. Ich denke, bei euch gibt es auch den einen oder anderen Sturm?"

Was ist mit Adrian los? Hat er etwas vergessen?

„Ja, das haben wir auch", erwiderte Nicholas und ich hörte, wie er auf seinem Smartphone herumtippte.

Wie es wohl in Texas war? Heiß und im Winter eiskalt? Oder wie sollte ich mir den Bundesstaat vorstellen?

Endlich tauchte Adrian wieder auf und huschte schließlich ins Auto. „Verzeih, ich hatte etwas vergessen. Guten Morgen, Freyja."

Gütig lächelte ich ihn an, stellte jedoch keine weiteren Fragen. „Guten Morgen, Adrian. Können wir los?" Sein Nicken ließ mich den Motor starten und wir befanden uns kurz darauf auf der Hauptstraße durch Andenes. Zuerst setzten wir Nicholas ab, der während der Fahrt schweigend mit seinem technischen Gerät beschäftigt war. Nur wenige Minuten später erreichten wir das Hotel und ich bemerkte bereits einige Schäden, die auf den ersten Blick nicht der Rede wert und leicht zu beheben waren.

Als ich auf den Parkplatz fuhr, räusperte sich Adrian. „Ich wollte mich noch einmal bedanken, Freyja. Mir war nicht ganz wohl, bei diesem Wetter auf dem Motorrad mit Nicholas hinter mir zu fahren, nur wollte ich das nicht zugeben."

Ich zog meine Augenbrauen nach oben und ließ seine Worte sacken. Also hatte er lediglich auf cool gespielt, anstatt seine Bedenken zuzugeben. Einerseits verstand ich ihn, denn es war nicht einfach, eine Schwäche oder eine Angst zuzugeben. Andererseits konnte er vor Idun alles sagen, da sie verständnisvoll war und zuhörte. Sie schwieg und würde sich niemals deswegen lustig machen geschweige denn anderen davon erzählen. Wer ein Geheimnis hatte, konnte sich ihr anvertrauen und sicher sein, dass sie es mit ins Grab nehmen würde.

„Kein Problem, wirklich", antwortete ich und beobachtete den Wind, wie er die Bäume zum Biegen und die Blätter zum Flattern brachte. „Sie sollten verstehen, dass wir in Andenes Nachbarschaftspflege betreiben. Jeder hilft jedem, wir kennen uns alle und wissen, dass wir auf den anderen bauen können. Da liegt es nicht fern, dass ich Ihnen meine Hilfe anbiete. Es wäre fatal, wenn Sie einen Unfall bauen, weil das Wetter Ihnen zu schaffen macht."

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenWhere stories live. Discover now