Kapitel 55

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Der Dezember kam mit Schneemassen und Temperaturen, die ich gewohnt war. Dennoch ächzte ich mitunter beim Schneeschippen, das sich nicht nur auf mein Grundstück bezog. Im Hotel wechselten wir uns mehrmals täglich ab, damit es nicht zuviel wurde. Immerhin kamen jede Woche neue Gäste, die auf eine bezaubernde Winterzeit mit Polarlichtern, Saunaabenden und Schneemobil-Ausflügen hofften. Das und noch mehr konnten wir ihnen bieten und ich war dankbar, wenigstens dadurch eine kleine Ablenkung zu bekommen.

Ich fühlte mich so einsam wie nie zuvor. Während jeder in Andenes in Weihnachtsstimmung war, wurde ich immer stiller und zurückgezogener. Gerade jetzt wurde ich so viel an meine Eltern und Erik erinnert. Eine meiner liebsten Erinnerungen an die Adventszeit ist, wie ich mit ihnen an einem Sonntag durch Andenes zog und die bunten Lichter bestaunte.

Mein Haus hingegen war leer. Keinerlei Weihnachtslichter, die die dunklen Tage erhellen konnten. Oft überlegte ich, ob ich ein paar Girlanden aufhängen sollte, doch sobald ich sie in den Händen hielt, verließ mich die Lust. Selbst Svens Fragen, ob ich etwas zu Weihnachten unternehmen wollte und ob er mir etwas helfen konnte, vermochten mich nicht aufzuheitern.

Unter anderem lag das daran, dass die Polizei keine Fingerabdrücke gefunden hatte. Wer auch immer der Täter war, er war schlau vorangegangen und hatte darauf geachtet, keine Spuren zu hinterlassen. Wir standen sozusagen ganz am Anfang, denn bisher zeigten auch die Sicherheitskameras nichts Ungewöhnliches.

Mit jedem verstreichenden Tag wurde die ehemalige Wohnung meiner Eltern leerer, und die Restaurierungsarbeiten begannen. Obwohl Adrian weiterhin beharrlich schwieg und Idun ihm deswegen an den Kopf warf, er benähme sich wie ein Kind, hatten wir uns darauf geeinigt, Unterhaltungsräume zu schaffen. Da die Wohnung ebenerdig lag und die Gästezimmer im ersten Stock anfingen, fanden wir das die beste Lösung.

Auch ich fand Adrians Verhalten langsam albern, aber ich konnte es in gewisser Weise nachvollziehen, mein Bauchgefühl, das sich immer mehr gegen den Gedanken wehrte, er sei der Täter, hingegen nicht. Ich verstand es einfach nicht, doch anstatt etwas Unüberlegtes zu sagen, blieb ich stumm.

Ich ging davon aus, dass Brinjas Überweisung einer hohen Summe Anfang Dezember der Auslöser war. Kein Wort hatte Adrian davon verraten, weshalb ich ihn darum bat, mir ihre E-Mail oder Telefonnummer zu geben.

Daraufhin war ich in Kontakt mit Brinja getreten und bei unseren ersten E-Mails begann ich zu verstehen, warum Adrian plötzlich so merkwürdig war. Sein Cousin, dem er nahegestanden hatte, war bei einem Surfwettbewerb in Los Angeles ums Leben gekommen und als sei das nicht genug, musste Adrians erstes Pferd Bring-the-Sun-back eingeschläfert werden.

Dass sich Adrian allein mit den Dingen auseinandersetzte, drückte meine Stimmung gewaltig in den Keller. Er hatte zwar Nic und doch wollte ich in der schweren Zeit genauso für ihn da sein wie er damals für mich. Nur ließ er mich nicht an sich heran.

Als Brinja und ich schließlich telefonierten, hatte ich das Gefühl eine alte Freundin am anderen Ende der Leitung zu haben. Ob es richtig war, ihr von meinen Vorwürfen zu erzählen? Vielleicht nicht, aber Adrian hatte es bereits. Eine Rüge über mein Verhalten blieb aus. Tatsächlich konnte Adrians Großmutter meine Gedanken nachvollziehen und versicherte mir, dass sie an meiner Stelle wohl dasselbe gedacht hätte.

„Dennoch lege ich meine Hand ins Feuer, dass Adrian nichts damit zu tun hat."

Dieser Satz hatte sich beharrlich in meinen Kopf gebrannt. Natürlich konnte sie es auch nur sagen, um den Verdacht von Adrian abzulenken, aber so schätzte ich Brinja nicht ein. Wahrscheinlich war ich zu naiv, weil sie eine Norwegerin war ...

Umso schlimmer war für mich, Adrian täglich kurz zu begegnen und zu sehen, wie er stumm litt. Ich wollte ihm so gerne sagen, dass er nicht allein war. Selbst Idun wusste nichts von den schlechten Neuigkeiten und sie begann, sich Vorwürfe zu machen, nicht nachgehakt zu haben. Sie und die anderen mochten Adrian und sahen ihn als vollwertiges Mitglied des Hotels an. Mit ihnen ging er weiterhin freundlich um, hielt aber Informationen über sich selbst zurück.

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenWhere stories live. Discover now